Der Blues aus den Bergen

Emanzipation von der Protestmusik: Kurdische Sängerinnen wie Aynur, Nilüfer Akbal und Rojin bringen einen neuen Ton in die Musikszene der Türkei und öffnen die kurdische Musik auch neuen Einflüssen. Von Daniel Bax

Aynur Dogan, Foto: Kalan Müzik
Aynur Dogan ist eine der bekanntesten kurdischen Sängerinnen der jungen Generation

​​In dem Musikfilm "Crossing the Bridge", der im vergangenen Jahr in die deutschen Kinos kam und der dem Sound von Istanbul nachspürte, gibt es eine Szene, die in einem alten Hamam, einem türkischen Bad spielt. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin trifft dort die kurdische Sängerin Aynur, die gerade ein Stück probt.

In der besonderen Akustik des Gewölbes klingt das Lied, das sie singt, besonders eindringlich, und auch ihre Geschichte fällt etwas aus dem Rahmen der übrigen Musiker-Anekdoten. Als Außenseiterin kam Aynur einst nach Istanbul, doch nun ist auch sie ein Teil der Musikszene der Stadt geworden.

Aynur Dogan ist nur die markanteste aus einer ganzen Reihe kurdischer Sängerinnen, die in der Türkei für einen neuen Ton sorgen. Geboren wurde sie 1975 im Südosten des Landes, in der kurdisch geprägten Region von Tunceli, wo sie mit der traditionellen Musik, den Mythen und Poesie der religiösen Minderheit der Aleviten aufwuchs, die dort bis heute die Alltagskultur prägen.

Im Zuge des Bürgerkriegs, der in den Neunzigerjahren eskalierte, waren ganze Dörfer gezwungen, in den Westen der Türkei umzusiedeln. Auch Aynurs Familie zog 1992 nach Istanbul, wo sie bald darauf die Musikschule von Arif Sag besuchte, der als Guru an der Langhalslaute Saz gilt, dem türkischen Traditionsinstrument schlechthin.

Mit ihren Alben "Seyir" und "Kece Kurdan" konnte Aynur in den vergangenen Jahren einen Ruf weit über kurdische Kreise hinaus, und sogar internationale Beachtung erlangen. Das britische Magazin Folk Roots nahm sie 2004 aufs Cover, und auch in der Londoner Times schmückte ihr Foto eine Beilage über den "musikalischen Reichtum der Türkei".

Kurdisch im Exil

Das hat natürlich eine gewisse Ironie, ist es doch noch nicht so lange her, dass kurdische Musik in der Türkei gänzlich verboten war. Wer als Kurde dennoch musikalische Karriere machen wollte, der sang eben auf Türkisch und verhielt sich besser unpolitisch.

Wer dagegen auf Kurdisch sang, der ging ins Exil nach Westeuropa und veröffentlichte dort Kassetten, die in der Türkei nur unter der Hand zirkulierten. Erst vor vier Jahren wurden die letzten Verbote aufgehoben, die der kurdischen Sprache noch im Wege standen.

Doch seitdem hat sich eine Menge getan. Moderne kurdische Songwriterinnen wie Aynur, Nilüfer Akbal oder Rojin, die sogar in Radio und Fernsehen vordringen, sind dafür nur der sichtbarste Ausdruck.

Alle drei lösen sich dabei aus vorgefassten Rollen: Weder bewegen sie sich in den engen Grenzen reiner Folklore, noch wollen sie ihre Songs als politisches Statement verstanden wissen, auf das die kurdisch Musik so lange festgelegt war.

Kurdischer Blues mit Weltmusik-Ästhetik

Aynur und ihre Schwestern verstehen sich eher als moderne Singer bzw. Songwriterinnen nach westlichem Vorbild. Zwar greifen sie auch gerne mal auf alte Lieder aus der Tradition der anatolischen Wandersänger zurück. Doch sie öffnen die kurdische Musik auch für neue Einflüsse, für europäische und internationale Klänge.

CD-Cover, Aynur Dogan Kece Kurdan
Der kurdischen Tradition treu geblieben ist die Sängerin Aynur, deren musikalisches Repertoire auch deutliche Einflüsse aus der Weltmusik reflektiert

​​Aynur ist dabei die Sängerin, die der kurdischen Tradition noch am nächsten geblieben ist. Allerdings poliert sie das überkommene Repertoire und ihre eigenen Kompositionen durch eine bewährte Weltmusik-Ästhetik auf, indem sie eine breite Palette akustischer Folk-Instrumente einsetzt.

Bass und Perkussion verleihen den spröden und elegischen Balladen sogar einen luftigen Zug zum Jazz. So bekommt der schwere Blues aus den kurdischen Bergen bei ihr eine gewisse Weltläufigkeit verpasst.

Bonus für Exotinnen

Nilüfer Akbal, die einige Zeit in Deutschland lebte, orientiert sich dagegen stärker an westlichen Mustern. Am Anfang ihrer Karriere, als sie nur mit Gitarre auf die Bühne trat, erinnerte sie an eine kurdische Joan Baez.

Auf dem Cover ihres neuen Albums ist sie nun kaum wieder zu erkennen: Der Look ist poppig und kaum noch zu unterscheiden von dem anderer türkischer Sängerinnen. Auch die Musik, die Anleihen bei Reggae, Pop und Jazz sucht, klingt hörbar urban. Auf diese Weise spiegelt Nilüfer Akbal das Lebensgefühl der Kurden in den Städten.

Die Sängerin Rojin scheint dagegen eher von der türkischen Musik geprägt, auf ihrem Album halten sich die türkischsprachigen und die kurdischen Songs fast die Waage. Ihre Biografie gleicht einer klassischen Aschenputtelgeschichte, stammt sie doch aus extrem ärmlichen Verhältnissen und wurde vom Vater quasi verstoßen, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nahm. Auch das ist eine kurdische Realität, von der sich die neuen Sängerinnen abheben.

In der türkischen Presse wird ihnen dafür ein gewisser Exotinnenbonus zuteil. Im Vergleich zu den männlichen kurdischen Sängern sind sie ein neues Phänomen, und so wird ihnen auch mehr Aufmerksamkeit zuteil.

Auf dem Index

Das heißt aber nicht, dass es keine Widerstände gibt. Das jüngste Album der Sängerin Rojin wäre schon viel früher erschienen, hätte ihr wegen eines kurdischen Songs nicht eine Klage gedroht, wodurch sich die Veröffentlichung verschob. Aber auch danach weigerte sich der türkische Musiksender Kral TV, ihre Musikclips zu spielen.

Auch Aynur stand eine Weile lang auf dem Index. Mehr als ein Jahr, nachdem ihr Album "Kece Kurdan" erschienen war, entschied ein Provinzgericht in Dyarbakir, das es aus den Musikregalen der Türkei verbannt gehöre.

Die Begründung: Das Titelstück "Kece Kurdan", das davon handelt, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, "ermutige junge Frauen, in die Berge zu gehen und sich dem kurdischen Widerstand anzuschließen", so die Interpretation der Richter. Erst im September 2005 wurde die Entscheidung von einer höheren Instanz aufgehoben.

Daniel Bax

© Qantara.de 2006

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