Mehr als nur ein "kurzer Prozess"
Mohammed Bouyeri, Sohn marokkanischer Einwanderer, trug wesentlich dazu bei, dass der Prozess rasch vorüberging: Er wollte keinen Verteidiger, bekannte sich zu seiner Tat und erklärte, dass er es wieder tun würde: Er hat den Filmemacher Theo van Gogh ermordet, die Abgeordnete Hirsi Ali bedroht und Polizisten in Lebensgefahr gebracht.
Was bleibt einem Rechtsstaat da weiter übrig, als den Angeklagten mit der Strafe zu belegen, die einzig dafür vorgesehen ist? Dabei ist "lebenslänglich" möglicherweise keine milde Strafe.
Denn der Täter hatte es bewusst darauf angelegt, nach dem Mord von der Polizei erschossen zu werden. Er wollte wohl als "Märtyrer" in die Geschichte eingehen. Diese Stelle im Himmel mit einer Zelle in einem niederländischen Zuchthaus einzutauschen, ist sicher nicht, was er sich erhofft hatte.
In der Heimat seiner Eltern wie auch in den meisten muslimischen Staaten hätte er für die Tat an sich die Todesstrafe bekommen - wohl aber nicht dafür, einen "Ungläubigen" umzubringen. Und hier liegt sicher der große Unterschied:
Bouyeri - der in den Niederlanden immer noch rücksichtsvoll "Mohammed B." genannt wird - wäre in so manchem muslimischen Staat möglicherweise ein Held. Weil sein Opfer offen den Koran, den Islam, die Muslime und auch den Propheten auf übelste Weise verunglimpft hatte. Unbesehen wäre er dafür in den meisten muslimischen Staaten mit mildernden Umständen davon gekommen.
In Amsterdam aber wurden diese Umstände gar nicht erst erörtert. Dies soll kein Plädoyer für Milde sein – die kann ein solcher Mörder nicht erwarten und verdienen. Aber es wäre doch angebracht gewesen, sich auch vor Gericht etwas mehr mit den Umständen des Mordes zu beschäftigen.
Zum Beispiel mit der Frage, ob Gotteslästerung und Verunglimpfung religiöser Minderheiten und ihrer Gefühle tatsächlich gesetzlich geschützt und ob sie Teil der "künstlerischen Freiheit" sein können und dürfen.
Hätte Bouyeri sich verteidigen lassen, dann wäre diese Diskussion sicher vor dem Gericht eröffnet worden und hätte auch der Politik zu denken gegeben, die nach dem Mord dieses Thema rasch beiseite schob und zur Tagesordnung überging.
Die Politiker – und sicher auch viele Bürger – waren froh, dass die so lange gefeierte multikulturelle Gesellschaft der Niederlande nicht Platz machte einem offenen "Kampf der Kulturen". Und man ging zur Tagesordnung über: Man hatte den Täter, dieser war geständig. Warum sollte man da weiter in sich gehen und Motivforschung betreiben?
Der Alltag auf den Straßen Amsterdams und den Haags scheint dieses Verhalten zu rechtfertigen. Aber es stimmt doch auch, dass der Mord an van Gogh eine Reihe von Mängeln aufgedeckt hat, die man besser beseitigen sollte. Nicht nur in den Niederlanden, sondern eigentlich in allen europäischen Staaten mit muslimischen Minderheiten.
So gerechtfertigt das Urteil von Amsterdam auch sein mag: Es ist nicht die Antwort auf diese Probleme. Diese Antwort kann nicht von Gerichten gegeben werden. Sie muss von der Politik und der Gesellschaft kommen.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
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