Zwischen Träumen und Gewalt
Ausgebreitet liegt sie da, die anmutige, quirlige Stadt, Heimat der tausend Dächer, Mauern, Zinnen, der Moscheen, Paläste, Plätze. So könnte sie aussehen, die ideale orientalische Ortschaft, Stätte unentwegten Lebens und zugleich voll magischer Ruhe. Eingetaucht in ein weiß-silbriges Farbenspiel, wie umhüllt von mildem Sonnenlicht, liegt sie da, diese Stadt der Träume, jenes "Fantasy Village", wie der Künstler Jamil Molaeb sein Gemälde aus dem Jahr 2011 nennt.
Es könnte Baysour darstellen, die Stadt im Libanongebirge, wo Molaeb 1948 geboren wurde. Bilder einer Kindheit, Produkt der Erinnerung und, der Titel deutet es an, der Vorstellungskraft. Auf jeden Fall ein idyllisches Bild – und damit eher eine Ausnahme auf dem gegenwärtigen libanesischen Kunstmarkt. Denn die meisten Künstler setzen auf eine ganz andere Ästhetik, die des Krieges nämlich und der Gewalt.
"A history of violence"
Vielleicht ist etwas anderes auch nicht möglich. "Die meisten jungen Künstler wurden zur Zeit des libanesischen Bürgerkriegs geboren", erklärt Saleh Barakat, Direktor der Beiruter Galerie "Agial". "Sie wuchsen in ihm auf und waren seiner Gewalt ausgesetzt. So prägte er diese Generation von Künstlern natürlich."
Ist der Libanon ohne Gewalt überhaupt vorstellbar? Es scheint nicht so, legen zumindest die beiden 1972 und 1974 geborenen Künstler Issam Barhouch und Zena Assi nahe. Sie haben mit "Beirut One by One" ein trügerisches, weil nur vordergründig anmutiges Werk geschaffen.
Zahllose aufeinander gelegte Papierstreifen stellen die historischen Schichten Beiruts dar, die politischen und kulturellen Ordnungen, die sich in der dem Mittelmeer und seinen Seefahrern großzügig öffnenden Stadt im Laufe ihrer langen Geschichte übereinander legten. Fetzen von Kunstrasen lugen hie und da aus den Papierstreifen hervor, versinnbildlichen die ewigen, weil natürlichen Rhythmen, in denen die Stadt (auch) lebt. Allerdings kennt sie noch ganz andere Rhythmen – Rhythmen der Gewalt, die sie regelmäßig erschüttern.
Zwischen den Papierlagen sprießt darum nicht nur Gras, dazwischen haben sich auch etliche Patronen geschoben. Echte Patronen, in jedem Krieg verwendbar, garantiert tödlich, hier aber in Bestandteile eines Kunstwerks verwandelt. Insignien einer endlosen "history of violence", deren letzter Bestandteil der Krieg der Hisbollah gegen Israel war, der Teile der Stadt in Schutt und Asche legte. Inzwischen hätten die Künstler Anlass, ihrem Kunstwerk weiter Schichten hinzuzufügen. Die Raketen jedenfalls, die Ende November erneut in Richtung Israel flogen, lassen nichts Gutes vermuten.
Wiedergeburt unter düsteren Vorzeichen
"Rebirth", "Wiedergeburt" nannte sich eine große Ausstellung zur libanesischen Gegenwartskunst im Sommer 2011. Doch wie lange der Aufschwung unter diesen Vorzeichen halten mag, ist alles andere als gewiss. Und so sind und bleiben Krieg und Gewalt zentrale Themen der libanesischen Gegenwartskunst. "Die jungen Künstler setzen sich mit dem Leben im heutigen Libanon, im heutigen Beirut auseinander", erklärt Saleh Barakat. "Ihre Erfahrungen übersetzen sie in eine persönliche künstlerische Form. Natürlich stellen sie die Dinge entsprechend ihrer Biographie dar. Und das führt eben zu Bildern der Gewalt."
Und diese Gewalt hat Konjunktur. Im April dieses Jahres erzielte ein Gemälde des 1975 geborenen Künstlers Ayman Baalbaki in der Dubaier Filiale von Christie's einen Wert von 206 500 US-Dollars – erwartet hatte das Auktionshaus einen Wert von 50 – 70 000 Dollar. Das Gemälde mit dem Titel "Let a Thousand Flowers Bloom" zeigt einen finster dreinblickenden jungen Mann, das Gesicht weitestgehend von einem Palästinensertuch verhüllt. Die kitschigen Blumen im Hintergrund vermögen seine Miene nicht aufzuhellen.
Kultur der Gewalt
Wie auch? Sie sind hilflose Dekoration vor einer langen Tradition des Kriegs. Gewalt, die längst ihre eigene Kultur entwickelt hat, die manche Menschen bis heute in Beschlag nimmt. In seinem Roman "Yalo" hat der Schriftsteller Elias Khoury gezeigt, wie sehr der Bürgerkrieg gerade junge Männer gefesselt hat, sie auch dann nicht von der Gewalt lassen konnten, als der Krieg bereits eine Weile vorüber war.
"2:15 PM" heißt ein weiteres Gemälde Baalbakis, das sich der Kultur des Krieges stellt. Dass die Folgen dieses Krieges noch nicht überwunden sind, zeigt in ihren Aufnahmen auch die Fotografin Dalia Khamissy. Auf der Kunstmesse Menasa Art-Fair zeigte sie diesen Sommer Bilder von Menschen, die bis heute am Krieg leiden. Das Bild einer alten Frau etwa, der von ihren vier Söhnen nichts geblieben ist als ein paar Erinnerungsgegenstände. Die Söhne selbst kamen um. "
Der Älteste war 31 Jahre alt, der jüngste 13", erklärt Khamissy. "Um Aziz, so der Name der Mutter, hat einige der persönlichen Habseligkeiten ihrer Söhne aufbewahrt, ganz kleine, eigentlich völlig unbedeutende Dinge. Sie sind das einzige, was von ihnen geblieben ist. Wie ihr geht es vielen Libanesen. Sie wollen wissen, was aus ihren Kindern geworden ist und wo sie ihre sterblichen Überreste finden können."
Der Krieg als Kunst-Fetisch?
Der Krieg und die Kunst. Ist diese Gleichung tatsächlich zwingend? Die Gegenwartskünstler erhöben den Krieg zum Fetisch, erklärte vor zwei Jahren bereits der libanesische Architekt Bernard Khoury – und entsprächen damit den "neokolonialistischen" Vorstellungen des Westens.
Die Künstler inszenierten ihre Kriegserfahrungen auch deshalb, weil dies im Westen, wo die maßgeblichen Galleristen Kuratoren und Sammler säßen, so gewünscht würde. "P.O.W." – "Prisoners of Warner" nannte er darum eine 2008 geschaffene Installation, in der er nicht zeigt, welche Macht der Krieg, sondern vielmehr dessen vom Markt gewünschte Inszenierung über die libanesischen Künstler hat.
Ähnlich äußert sich auch die französische Kuratorin Catherine David. Die Ästhetisierung des Krieges unter (vermeintlich) kritischen Vorzeichen sei ein globales Phänomen, erklärt sie. "Es geht hier um Fetische. Das betrifft viele junge Märkte, auf denen nicht noch allzu viel Geld vorhanden ist." Die Darstellung düsterer Realitäten hätte der Markt zunächst von afrikanischen und chinesischen Künstlern haben wollen. "Jetzt sind die Araber dran. Ihm gegenüber gibt es gewisse Erwartungen: Gewalt, Krieg, die Diktatur – und jetzt der Arabische Frühling."
Marktdruck einerseits und Versuche der Vergangenheitsbewältigung andererseits: Zwischen diesen beiden Polen changiert die libanesische Gegenwartskunst, zumindest in jenem großen Sektor, der sich mit dem Bürgerkrieg und seinen Folgen auseinandersetzt. Um einen gewissen Voyeurismus kommen die Künstler nicht herum. Anlass eigentlich, mehr "Fantasy Villages" auf die Leinwand zu bringen.
Kersten Knipp
© Qantara.de 2011
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de