Die Konzelmänner von Karatschi
Insbesondere nach den Anschlägen vom 11. September vermitteln viele deutsche Medien ein völlig verzerrtes Bild Pakistans. Oft werfen die Berichte ein Schlaglicht auf mangelnde Landeskenntnisse der Reporter und deren selektiven Blick. Eine Analyse von Thomas Bärthlein
Die deutschen Medien sprangen schnell auf den Zug auf, als sich die internationale Aufmerksamkeit nach den Anschlägen vom 11. September – und besonders nach dem Beginn des Afghanistan-Kriegs – auf Pakistan richtete. Wer jene Tage in Peschawar, in der Nordwest-Grenzprovinz, verbrachte, konnte Szenen beobachten, die für die Pakistan-Wahrnehmung in Europa und Amerika bis heute symbolischen Charakter haben: In den Straßen der Stadt kam es immer wieder zu kleinen Anti-Kriegs-Demonstrationen einiger meist bärtiger Männer, denen stets ein mindestens genauso großer Tross westlicher Fotografen und Kameraleute auf den Fersen war.
Besonders die Fernsehberichte waren von den daraus entstandenen Bildern beherrscht, während einige Zeitungen ehrlicher waren und frühzeitig klarstellten, dass es sich bei den Protestierenden um eine kleine Minderheit handelte. Doch bis heute wird die Bedeutung pakistanischer Islamisten in der deutschen Medien-Wahrnehmung maßlos übertrieben – als ob die Reporter gezielt auf der Suche nach ihnen seien.
Windige Reporter als Korrespondenten-Ersatz
Kein deutsches Medium hat permanente Vertreter in Pakistan, sieht man einmal von der Nachrichtenagentur dpa ab, die Berichte lokaler Stringer aber auch über das Korrespondenten-Büro in Neu-Delhi an die Hamburger Zentrale übermittelt. Zeitungen, der ARD-Hörfunk und die verschiedenen Fernseh-Sender haben ihren für Pakistan zuständigen Korrespondenten entweder in Delhi oder gar in noch weiter entfernten asiatischen Metropolen, wie Bangkok oder Singapur, stationiert. Sie besuchen Pakistan regelmäßig, aber solche Reisen sind natürlich von einer vorher festgelegten Agenda bestimmt und führen seltener zu spontanen, vielfältigen Impressionen als die kontinuierliche eigene Beobachtung.
Diese Einschränkungen in der journalistischen Infrastruktur mag ein wichtiger Grund dafür sein, dass die Berichterstattung über Pakistan ein äußerst überschaubares Themenspektrum abdeckt: Bei der systematischen Durchsicht der Berichte und Kommentare der führenden deutschsprachigen Zeitungen seit dem 11. September 2001, stoßen wir auf zwei Themen, die kontinuierlich im Vordergrund stehen: Zum einen islamistische Bewegungen und Terrorismus, und zum anderen der indisch-pakistanische Konflikt.
Mit allen anderen Themen befassen sich im genannten Zeitraum nur wenige Artikel. Selbst wenn man keineswegs unterstellen kann, dass die meisten erschienenen Artikel ihrem Thema nicht gerecht werden, muss alleine schon diese einseitige Prioritätensetzung zu einem grob verzerrten Bild führen.
SPIEGEL-Reporter wissen mehr… - der "Steinzeit-Islamist"
In vielen Fällen ist allerdings auch die Betrachtungsweise zu bemängeln. Wenn westliche Reporter über Islamismus und seine Rolle in Pakistan schreiben, Ihre Meinung
Welche Medien tragen mit ihren Reportagen zu einer ausgewogenen, sachlichen Berichterstattung bei?
Schreiben Sie uns!geschieht oft zweierlei: Zum einen fehlt es an genuiner Beobachtung. Die wird bisweilen durch reine Phantasie ersetzt: Ein SPIEGEL-Reporter sieht, wie die Polizei ein paar Männer in flatternden Gewändern ("mutmaßliche Sektierer") verhaftet. Er zieht daraus die Schlussfolgerung, in Islamabad sei "die Stimmung unruhig, von einer lauernden Spannung erfüllt, wie sie einem Sturm vorangehen mag" (SPIEGEL, 24.9.2001).
Das zweite, damit zusammenhängende Problem ist Distanz: Derselbe Reporter besucht einen Ort die Nordwest-Grenzprovinz und bemerkt, er scheine "in einer anderen Welt zu liegen". In dem Artikel ist von "Steinzeit-Islamisten" die Rede – eine offensichtlich unsinnige Formulierung. Denn sind Bewegungen wie die Taliban nicht mindestens in einigen Aspekten ein ausgesprochen modernes Phänomen?
Insgesamt hinterlässt der Artikel beim Leser den Eindruck von unüberbrückbarer Distanz und das Gefühl: "Bei diesen Menschen und politischen Bewegungen gibt es für uns nichts zu verstehen; denn sie kommen aus der Steinzeit oder einer anderen Welt, die mit unserer nichts gemeinsam hat."
"Madrassas", also Koranschulen, sind ein Lieblings-Ort vieler Reporter. Sie suchen sich aber gezielt nur solche dabei aus, wo sie Schreckens-Geschichten schreiben können über Kinder, die mit radikalen Ideologien indoktriniert und auf den Märtyrer-Tod im Jihad vorbereitet werden. Eine seriöse Einschätzung, wie repräsentativ diese Schulen sind, gibt es nicht. Und auch keine Reportagen über andere Schulen, religiös oder nicht, die von der Mehrheit der Kinder besucht werden.
Manchmal tragen Artikel auch einfach den falschen Titel: Der Autor führt im Detail aus, dass Fundamentalisten nur eine kleine, bisher nicht gerade einflussreiche Minderheit der pakistanischen Muslime stellen, die Überschrift aber lautet: "Pakistan hat noch kein Konzept gegen den Islamismus gefunden" (FAZ, 6.10.2001).Karatschi – mal im Chaos, mal als Krebsgeschwür
Der nukleare Showdown zwischen Indien und Pakistan nahm 2002 in den deutschen Zeitungen breiten Raum ein. In vielen Leitartikeln war von unmittelbar drohender Kriegsgefahr die Rede, wobei bisweilen mehr oder weniger deutlich die äußerst fragwürdige Befürchtung mitschwang, man könne sich in Indien und Pakistan nicht auf rationales Verhalten verlassen. Doch selbst Analysen, die sich rational mit der Gefahr auseinander setzten und beispielsweise darauf hinwiesen, dass Pakistans Atomwaffen wohl kaum in die Hände von Islamisten oder gar Terroristen fallen würden, hinterlassen den vagen Eindruck von Pakistan als einem Ort voller Gefahren.
Wenn Reporter über die Stadt Karatschi schreiben, wählen sie durchweg Überschriften wie "Chaos in Karatschi" (SZ, 26.9.2002) oder Sätze wie "Karatschi ist ein Monstrum", "wächst wie ein Krebsgeschwür" (SPIEGEL, 7.10.2002): Es ist die Diktion eines Urteils, nicht einer Beobachtung mit offenen Augen.
Da positive Geschichten völlig fehlen, müssen sich die Leser hilflos und bedroht vorkommen. Eine Überschrift auf der Meinungsseite der "Süddeutschen" drückt das so aus: "Pakistan im Chaos – Der Westen blickt mit Empörung und Hilflosigkeit auf den Verbündeten im Kampf gegen den Terror" (SZ, 12.8.2002). Ein anderer Kommentar-Titel nennt Pakistan einfach nur "Die wirkliche Gefahr" (FR, 13.8.2002).
Insgesamt entsteht aus dieser Art der Berichterstattung der Eindruck von Pakistan als einem äußerst gefährlichen Land, das von einer massiven Welle des islamistischen Terrors bedroht ist, zugleich einen Brennpunkt der nuklearen Konfrontation mit Indien darstellt und schließlich einen Hort der Intoleranz und Kriminalität, insbesondere gegen Frauen.
Es kann nicht bestritten werden, dass Probleme der genannten Art in Pakistan existieren und von Journalisten auch thematisiert werden müssen. Aber sie ergeben zusammengenommen auch nicht annähernd ein repräsentatives Bild des Landes. Alle anderen Entwicklungen und Themen fehlen beinahe völlig in deutschen Medien-Berichten: So z.B. wirtschaftliche und soziale Entwicklung, regionale Konflikte, Alltagsleben in Städten und Dörfern, Kultur und Kunst, Bildung.
Ebenfalls fehlt das gesamte Spektrum des Islam in Pakistan, das eben nicht nur aus radikalen Gruppen besteht, die traditionellen politischen Parteien, die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivisten, die Medienlandschaft, die sich mit der Einrichtung privater Fernsehsender dramatisch verändert hat. All das kommt praktisch nicht vor.
Islam und das Klima der Angst
Wie lässt sich diese irreführende Vereinfachung erklären? Man kann den Reportern und verantwortlichen Redaktionen keine Absicht unterstellen. Medienwissenschaftler führen derart stereotype und verengte Perspektiven auf ein "Framing" zurück: Journalisten beschreiben die Realität in der Regel innerhalb eines Rahmens, der sich meistens im Laufe der Zeit unbewusst etabliert. Im Falle Pakistans spielen dabei vor allem zwei Faktoren eine Rolle:
Zum einen müssen wir gerade an diesem Beispiel konstatieren, dass es im Westen spätestens seit dem 11.9.2001 eine paranoide Züge annehmende Furcht vor dem radikalen Islam gibt, verstärkt natürlich durch politisch-militärische Kampagnen einerseits und weiterer Anschläge andererseits. Tragischerweise ist diese Entwicklung genau der angebliche "Kampf der Kulturen", den auch die Terroristen herbei bomben wollen.
Auch in Pakistan profitiert so mancher von den übertriebenen Ängsten des Westens, und schürt sie ab und an sogar. Präsident Musharraf erhofft sich etwa eine Stärkung seiner Position, indem er sich dem Ausland als einziger möglicher Stabilitäts-Anker verkauft. Solche Manipulationen werden leider von der deutschen Presse nicht genügend in Frage gestellt.
Stattdessen dominiert die fragwürdige Darstellung, dass die Islamisten großen Rückhalt in der Bevölkerung hätten und Musharraf nur deswegen nicht so entschlossen gegen sie vorgehen könne, wie er es gerne täte.
Mit zweierlei Maß
Noch schwerer ist zu verstehen, warum die Pakistan-Berichterstattung in den deutschen Medien sogar noch verengter wahrgenommen und negativer dargestellt wird, als bei den muslimischen Nachbarländern Afghanistan oder Iran. Deutschen Zeitungslesern wird nicht deutlich, dass es sich um ein pluralistisches Land handelt, wesentlich pluralistischer und freier jedenfalls als der Iran oder arabische Staaten.
Aus Iran und vor allem Afghanistan lesen wir viel buntere und vielfältige Berichte, Porträts der verschiedensten Menschen. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ist durch die Medien geradezu zum Symbol für den "anderen Iran" und die Vielfalt der iranischen Gesellschaft geworden.
Es wäre nicht schwer, Menschen wie sie auch in Pakistan zu finden. Dass sie in den deutschen Medien nicht vorkommen, lässt sich vielleicht paradoxerweise gerade mit der Komplexität der politischen Situation erklären. Wörter wie "verwirrend" und "undurchschaubar" tauchen immer wieder in den Zeitungsartikeln über Pakistan auf.
Der journalistische Weg des geringsten Widerstands
Doch anstatt das als Ansporn zu verstehen, sich länger im Land aufzuhalten, neigen viele Autoren zu starken Vereinfachungen, vielleicht auch, um die Geschichte ihren Redaktionen leichter verkaufen zu können. Klischees wären nach dieser Interpretation ein Symptom für die mangelnde Bereitschaft, sich mit komplexen Verhältnissen auseinander zu setzen – das ist in der Südasien-Berichterstattung insgesamt seit langem zu beobachten.
Eine journalistische Alternative läge in der Entwicklung des Formats Reportage, wie das in Indien auch passiert. Es gibt seltene Ansätze wie z.B. eine Reportage in der "Süddeutschen Zeitung" über den Waffenhandel im pakistanischen Stammesgebiet, bei der kein Problem unter den Teppich gekehrt und trotzdem ein vielfältiges Bild von Individuen und ihren Motivationen vermittelt wird (24.11.2001).
Warum gibt es nicht mehr davon? In Sachen Presse-Freiheit hat Pakistan nichts mit Saudi-Arabien gemeinsam. Der grausame Mord am "Wall Street Journal"- Korrespondenten Daniel Pearl mag abschreckend auf viele Kollegen gewirkt haben. Dennoch sind die Sicherheitsrisiken in Pakistan nicht mit dem Irak vergleichbar, wo sich die Reporter auf den Füßen stehen.
Niemand wird von deutschen Zeitungslesern erwarten, dass sie sich im Detail für die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Pakistan interessieren. Aber Pakistan ist auch nicht irgendeine Bananenrepublik, sondern eine Atommacht mit 150 Millionen Einwohnern. Gründliche, ausgewogene Information sollte man da nicht als Luxus ansehen...
Thomas Bärthlein, © Qantara.de 2003