Der Terror ist zurück
Die Terroranschläge der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP) sind vielen in Pakistan bis heute noch frisch in Erinnerung. Die TTP war 2007 als pakistanischer Ableger der Taliban-Bewegung entstanden. Sie ist dabei keine einheitliche Organisation, sondern vielmehr ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen, die mitunter um die Vormacht innerhalb der TTP kämpfen.
Auf das Konto der Terrororganisation gehen hunderte Anschläge mit tausenden Opfern, darunter bekannte Angriffe wie auf das Armeehauptquartier in Rawalpindi (2009), die Ahmadiyya-Moscheen in Lahore (2010) oder auf die Aktivistin und spätere Nobelpreisträgerin Malala Yousafzai (2012).
Einen der schlimmsten Anschläge verübte die TTP 2014 auf eine Schule in Peschawar, bei dem 130 Schulkinder massakriert wurden. Der brutale Angriff führte zu einem merklichen Stimmungswechsel in Pakistan. Die politische Führung verabschiedete als Reaktion auf den Anschlag den "National Action Plan“, der ein konsequentes Vorgehen beschreibt, um die Terrororganisationen im Land entschieden zu bekämpfen. Die kurz zuvor gestartete Militäroperation Zarb-e-Azb gegen Terrorgruppen in den unzugänglichen Stammesgebieten an der afghanischen Grenze wurde darauf intensiviert.
In den folgenden Jahren gelang es der pakistanischen Armee in zähen und verlustreichen Kämpfen, die TTP weitestgehend aus Pakistan zu verdrängen. Viele Anführer und Kämpfer der TTP flohen über die Grenze nach Afghanistan und die Terroranschläge ebbten allmählich ab.
Zeitgleich führte die Tötung mehrerer TTP-Anführer durch amerikanische Drohnenangriffe zu internen Machtkämpfen und einer Fragmentierung der TTP. Dennoch war die Organisation nicht zerschlagen. Ihre enge ideologische und historische Verbindung zu den afghanischen Taliban ermöglichte ihr das Überleben.
Immer wieder gelang es der TTP von Afghanistan aus, Anschläge auf pakistanische Grenzposten zu verüben, was zu Spannungen zwischen den Regierungen in Islamabad und Kabul führte. Pakistan verlangte von Kabul ein entschiedenes Vorgehen gegen die Terror-Gruppe. Im Gegenzug warf die damalige afghanische Regierung dem pakistanischen Geheimdienst vor, die afghanischen Taliban zu unterstützen und ihre Präsenz in Pakistan zu dulden.
Auch die Versuche der pakistanischen Führung, die afghanischen Taliban von einer Auslieferung der TTP-Anführer an Pakistan zu überzeugen, scheiterten trotz der engen Beziehungen kläglich. Besonders die einflussreiche Haqqani-Fraktion der afghanischen Taliban, die enge Beziehungen zur TTP pflegt, lehnte dies ab.
Es gilt mittlerweile als gesichert, dass auch der ehemalige afghanische Geheimdienst NDS, der nach der Machtübernahme der Taliban aufgelöst wurde, heimlich Beziehungen zur TTP pflegte, um sie als Faustpfand gegen Pakistan einzusetzen. Das zumindest behauptete 2017 der ehemalige Sprecher der TTP, Ehsanullah Ehsan, in einem Bekennervideo.
Konsolidierung der TTP
Nach der Tötung von TTP-Chef Mullah Fazlullah bei einem US-Drohnenangriff im Jahr 2018 ist sein Vize Noor Wali zum neuen Anführer der Gruppe ernannt worden. Unter ihm begann ein Prozess der Konsolidierung innerhalb der TTP. Noor Wali gelang es, die verfeindeten Fraktionen innerhalb der TTP weitestgehend unter seiner Führung zu einigen. Er gilt als ein altgedienter Kämpfer der Terrororganisation.
2017 hatte er in einer Publikation behauptet, verantwortlich für den tödlichen Anschlag auf Benazir Bhutto gewesen zu sein. Bhutto war 2007 bei einem Selbstmordanschlag in der Garnisonsstadt Rawalpindi getötet worden. Die militärischen Erfolge der afghanischen Taliban stärkten zusätzlich die TTP. Nach Einschätzung der US-Sicherheitsbehörden aus dem Jahr 2019 ist die TTP mittlerweile zwischen drei- und fünftausend Mann stark.
Als die Taliban im Sommer 2021 blitzartig Afghanistan eroberten und die afghanische Armee sich praktisch auflöste, herrschte zunächst unter islamistischen Parteien und Teilen des Militärs in Pakistan eine gewisse Euphorie. Der damalige Premier Imran Khan sah dadurch seine Sicht bekräftigt, dass eine militärische Lösung des Afghanistan-Konflikts nicht möglich sei.
Khan kommentierte die Machtergreifung der Radikalen mit den Worten: “Die Taliban haben die Ketten der Sklaverei gesprengt.” Mit den Taliban marschierten damals auch Kämpfer der TTP in Kabul ein. Stolz posierten sie mit erbeuteten Militärfahrzeugen der afghanischen Armee. Pakistan forderte damals vergebens ein härteres Vorgehen der neuen Machthaber in Kabul gegen ihren pakistanischen Ableger oder zumindest eine Garantie, dass afghanisches Territorium nicht für Anschläge in Pakistan benutzt werden würde.
Verhandlungen zwischen der TTP und Pakistan
Auf Druck der Taliban verkündete die TTP im Mai 2022 einen Waffenstillstand und zeigte sich bereit, mit der von der Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) geführten Regierung Imran Khan zu verhandeln. Einige TTP-Kämpfer kehrten wieder in die pakistanischen Regionen Swat und Dir zurück, von wo sie 2007 nach einer blutigen Militäroperation vertrieben worden waren. Trotz anderslautender Verlautbarungen hatte wohl die Regierung Khan im Gegenzug für einen Waffenstillstand einer Rückkehr der TTP-Kämpfer zugestimmt.
Don't be fooled by TTP distancing itself from today's attack. It was claimed by Jamaat-ul-Ahrar , which is very much a part of TTP after a brief split some years ago. It's one of TTP's most brutal factions & is happy to do things (like attack mosques) that TTP claims it rejects.
— Michael Kugelman (@MichaelKugelman) January 31, 2023
Anfang 2023 bestätigte Imran Khan bei einem Symposium, dass seine Regierung damals bereit war, bis zu 5000 TTP-Kämpfer mit ihren Familien zurückzunehmen. Die Zivilbevölkerung zeigte sich schockiert über die Präsenz der Radikalen. Viele befürchteten eine Rückkehr in alte Verhältnisse, als die TTP große Gebiete von Swat besetzt und eine Terrorherrschaft eingeführt hatte.
Bei den anschließenden Militäroperationen mussten Hunderttausende ihre Häuser verlassen. In einer ohnehin wirtschaftlich schwierigen Lage hätte eine erneute militärische Auseinandersetzung für die Menschen katastrophale Folgen bedeutet. In der Grenzprovinz Khyber Pakhtunkhwa kommt es jüngst immer wieder zu Demonstrationen der lokalen Bevölkerung gegen eine Rückkehr der TTP.
Zunahme von Terroranschlägen
Die Verhandlungen zwischen der TTP und der pakistanischen Regierung scheiterten im November 2022 endgültig, woraufhin die TTP ihren Waffenstillstand aufkündigte. Seitdem haben die Angriffe der Terroristen merklich zugenommen. Fast täglich kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen pakistanischen Sicherheitskräften und der TTP.
Mit Angriffen auf Polizeistationen oder Militärposten versuchen sie, ihre Schlagfertigkeit zu demonstrieren. Der verheerendste Anschlag ereignete sich im Januar 2023 in Peschawar, als sich ein Selbstmordattentäter der TTP in einer Moschee, die überwiegend von Polizeibeamten besucht wurde, in die Luft sprengte. Bei dem Anschlag kamen über hundert Menschen ums Leben.
Angesichts der Sicherheitslage bekräftigte der pakistanische Premier Shehbaz Sharif am 7. April in einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, noch härter gegen die Terroristen vorgehen zu wollen. Doch die Bekämpfung extremistischer Ideologien im Land wird außer Acht gelassen. Radikale Mullahs können auch heute noch in Pakistan frei ihre Ansichten verbreiten, ohne dass der Staat ernsthaft gegen sie vorgehen würde. Armut und fehlende Perspektiven machen sie attraktiv für junge Menschen.
De-Radikalisierung ist allein durch militärische Operationen nicht zu bewältigen, daher fordern seit Jahren Menschenrechtsaktivisten wie Yasser Latif Hamdani eine Rückkehr zu den säkularen Idealen von Gründervater Mohammed Ali Jinnah. Dafür müssten fundamentale Veränderungen vorgenommen werden. Von der Verfassung bis zu den Schulcurricula müsste ein Prozess der Islamisierung wieder rückgängig gemacht werden, der - von Zulfikar Ali Bhutto angestoßen und unter der Diktatur von Zia-ul-Haq vollendet - wie ein Krebsgeschwür die pakistanische Gesellschaft von innen auffrisst.
© Qantara.de 2023
Mohammad Luqman ist Islamwissenschaftler und Südasienexperte mit einem besonderen Forschungsschwerpunkt auf Pakistan.