"Journalisten riskieren ihr Leben"
Der Tschetschenienkrieg gerät hierzulande immer mehr in Vergessenheit. Sowohl auf russsicher als auch auf tschetschenischer Seite werden unabhängige Medien mundtot gemacht. Indes gibt es keine Hoffnung auf eine Intervention seitens der EU. Ein Interview mit der Journalistin Mainat Abdulajewa, die wegen Morddrohungen nach Deutschland geflohen ist.
Wie würden Sie die derzeitige Presse- und Medienlandschaft in Tschetschenien charakterisieren?
Mainat Abdulajewa: In Tschetschenien gibt es mehr als 50 Zeitungen und verschiedene Fernsehsender. Die dortigen Medien berichten über alles, was auf der Welt passiert. Über Prinz Charles und seine Söhne, über Jennifer Lopez und so weiter. Eben über alles.
Mit einer Ausnahme. Sie berichten nicht über das, was tatsächlich in Tschetschenien passiert. Es ist eine zensierte und staatlich kontrollierte Presse, die ausschließlich die Erfolge der neuen tschetschenischen Regierung bejubelt, den Wiederaufbau, die schönen neuen Häuser. Eine kritische, freie Berichterstattung ist nicht erwünscht.
Seit Jahren wird ein derartiger Druck ausgeübt, dass sich schon lange kein unabhängiger Journalist mehr der Gefahr aussetzt, sein Leben zu riskieren. Besonders nach dem Mord an Anna Politkowskaja. Das war ein ritueller Mord, der allen kritischen Journalisten signalisieren sollte, dies geschieht jedem, der es wagt, die Wahrheit zu berichten.
Also ist nicht nur in Tschetschenien, sondern auch in Russland die Pressefreiheit eingeschränkt?
Abdulajewa: Tschetschenien spiegelt die Situation in Russland wider. In Russland existieren freie Medien nur im Internet. Unabhängige, gute Journalisten sind gezwungen, ihren Beruf aufzugeben. Diejenigen, die Prinzipien haben und es ablehnen, Teil der offiziellen Lügenmaschinerie zu sein, können nicht mehr publizieren.
Wie sehen Sie die Entwicklung der letzten Jahre?
Abdulajewa: Es wird tagtäglich mehr Druck ausgeübt. Ich habe Kontakt zu russischen Kollegen, die mir berichten, wie dramatisch die Lage mittlerweile ist. Die sagen mir: 'Vergiss es, du kannst auf keinen Fall hierhin zurückkehren und weiter als Journalistin arbeiten. Seit du nach Deutschland gegangen bist, hat sich alles noch weiter zugespitzt.'
Jetzt, kurz vor den Parlamentswahlen ist jede Meinungsäußerung, die auch nur einen Hauch von der offiziellen Linie abweicht, tabu.
Was halten Sie vom Engagement der EU?
Abdulajewa: Tatsache ist, dass die Regierungschefs der EU-Staaten den guten Geschäften mit Russland mehr Bedeutung beimessen als den Menschenrechten. Ich mache mir schon lange keine Illusionen mehr darüber, dass die EU ernsthaft bei Putin interveniert.
Das russische Gas ist wichtiger als die Meinungsfreiheit in Russland, und es ist auch wichtiger als das Blut, das in Tschetschenien vergossen wurde. Fast 200.000 Menschen, darunter schätzungsweise 40.000 Kinder wurden in den letzten Jahren getötet. Und das bei einer Bevölkerung, die insgesamt nur eine Million Menschen zählt. Aber darüber spricht Europa nicht. Zumindest nicht die Regierungsvertreter.
Die bringen Tschetschenien höchstens ganz vorsichtig ins Spiel, falls es mal Verhandlungsschwierigkeiten mit Putin gibt. Im nächsten Moment ist das Thema dann aber auch wieder vergessen.
Welche Rolle spielt Ihres Erachtens die Tatsache, dass die Tschetschenen Muslime sind?
Abdulajewa: Ich bin mir ganz sicher, dass dies neben den Wirtschaftsinteressen ein weiterer Grund dafür ist, warum Europa nichts von Tschetschenien wissen will. Es ist heutzutage sehr schwer, dem hysterischen Geschrei über islamischen Terrorismus zu begegnen. Wobei diese Bedrohung meiner Meinung nach eher hypothetisch als realistisch ist.
Aber mit diesem Szenario der Bedrohung können Regierungen hervorragend manipulieren. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung können sie ganz einfach die Meinungsfreiheit und die Freiheit insgesamt beschneiden. Die brauchen dieses Feindbild.
Wenn man das so sagen darf, ist es ein weiteres Unglück der Tschetschenen, dass sie Muslime sind. Putin hat nach dem 11. September dafür gesorgt, dass sie in die Schublade "islamischer Terrorismus" gesteckt wurden. Und die Welt hat das einfach hingenommen.
Dabei hat der Konflikt ganz andere Ursachen. Die Tschetschenen haben erst vor 200 Jahren den Islam angenommen, aber den Kampf um ihre Unabhängigkeit führen sie schon seit 400 Jahren.
Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?
Abdulajewa: So lange in Russland Putin oder eine seiner Marionetten regiert, wird es keine Besserung geben. Die tschetschenische Bevölkerung ist müde, hoffnungslos. Die Menschen wollen nur noch überleben, keine Bombardierungen mehr ertragen müssen. Also irgendeine Form von Frieden, egal wie.
Und im Exil, gibt es da Kräfte, die von außen etwas bewirken möchten?
Abdulajewa: Es gibt mehrere Internetseiten, wo verschiedene Gruppen sich artikulieren. Teilweise treten diese Websites für die Unabhängigkeit ein, teilweise bieten sie einfach nur ein Forum für Menschen, die eine andere Meinung vertreten als die derzeitige Regierung. Aber besonders organisiert oder strukturiert ist das alles nicht.
Wie bewerten Sie es, dass der Asylantrag des tschetschenischen Dichters Abti Bisoultanov in Deutschland, der bereits seit vielen Jahren hier lebt, jetzt abgelehnt wurde?
Abdulajewa: Das hat mich gar nicht verwundert. Ich kenne viele Menschen, die aus Deutschland abgeschoben und dann in Tschetschenien und Russland verfolgt und gefoltert wurden. Sie wurden dorthin geschickt, trotz der offensichtlichen Gefahr für ihr Leben.
Andererseits hatte ich doch erwartet, dass Abti Bisoultanovs internationales Renommee ihm zumindest ein wenig helfen würde. In Literaturkreisen ist er schließlich sehr bekannt. Trotzdem wurde sein Antrag mit einer fadenscheinigen Begründung abgelehnt.
Er hat keinerlei Verbindung zu Terroristen, er war als Sozialminister für Krankenhäuser und ähnliches zuständig. Es gibt keinerlei Fakten, die gegen ihn sprechen, die Ablehnung seines Asylantrags beruht auf unbelegten Spekulationen.
Gleichzeitig wird durch dieses Urteil auch die damalige, vom tschetschenischen Volk frei gewählte Regierung in die Verbrecherecke gestellt. Ohne jegliche Beweise für diese Einschätzung.
Wie beurteilen Sie die Haltung der deutschen Medien zu den Ereignissen in Tschetschenien?
Abdulajewa: Ich habe es schon so oft gesagt, es ist ein vergessener Krieg. Auch die Journalisten berichten nur darüber, wenn etwas ganz Grauenhaftes passiert, ein Selbstmordattentat oder ein Geiseldrama. Oder zuletzt der Mord an Anna Politkowskaja. Es ist so furchtbar, dass das Thema nur interessant ist, wenn ein Mensch wie Anna Politkowskaja ermordet wird. Und selbst dann ist es nur eine Woche in den Medien. Danach setzt wieder das Vergessen und Verdrängen ein.
Wie lange werden Sie noch als Stipendiatin des Programms "Writers in Exile" in Deutschland bleiben können?
Abdulajewa: Das Stipendium wurde dreimal verlängert, das ist das absolute Maximum, es läuft Ende 2007 aus.
Werden Sie anschließend Asyl beantragen?
Abdulajewa: Ich will auf keinen Fall Asyl beantragen. Obwohl es mir in Deutschland recht gut geht, möchte ich hier kein Rentnerdasein führen, sondern als Journalistin arbeiten. Und ich möchte nach Tschetschenien oder Russland zurückkehren, sobald es möglich ist.
Würden Sie es denn als sicher erachten, wenn Sie jetzt nach Tschetschenien reisen?
Abdulajewa: Natürlich ist nicht sicher, ob ich zurückfahren kann oder darf, weil Tschetschenien sich de facto immer noch im Kriegszustand befindet. Der Krieg hat eine andere Form angenommen, ist weniger offensichtlich. Aber es ist nach wie vor ein Ort wo Gewalt herrscht. Wo Meinungsfreiheit nicht existiert. Wo tagtäglich Leute spurlos verschwinden. Wo Menschen getötet werden.
Ariana Mirza
© Qantara.de 2007
Als Korrespondentin der Moskauer Zeitung "Nowaja Gazeta" und freie Berichterstatterin war Mainat Abdulajewa seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Nordkaukasus tätig. Ihre Artikel wurden auch in deutschen Zeitungen wie der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Süddeutsche Zeitung" veröffentlicht. Nach mehreren Morddrohungen gegen sie und ihr Kind verließ die Journalistin Russland im November 2004 und lebt seither als Stipendiatin des Deutschen Pen Zentrums in Deutschland.
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