Der Körper des Propheten als Spender von Segenskraft

In seinem jüngsten Buch „Mohammads Körper: Netzwerke der Segenskraft und prophetische Gemeinschaft“ geht Michael Muhammad Knight detailliert der Glaubensvorstellung nach, dass der Körper Mohammads Segen spenden könne und gespendet habe. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Die Vorstellung, dass der physische Körper des Propheten Mohammad für die Verbreitung seiner Botschaft ebenso wichtig sei wie seine Worte und Taten, ist einerseits kompliziert, aber auch auf merkwürdige Weise fesselnd. Sie scheint auf den christlichen Glauben nach römisch-katholischem Verständnis zurückzugreifen, dass während der Kommunion die Gläubigen Leib und Blut Christi in Form des gewandelten Brots und Weins zu sich nehmen und dadurch mit seinem Wesen eins werden.

Damit würde man es sich allerdings zu einfach machen, wie Knight in seinem Buch Muhammad's Body: Baraka Networks and the Prophetic Assemblage (dt. Mohammads Körper: Netzwerke der Segenskraft und prophetische Gemeinschaft) darlegt, das von der University of North Carolina Press herausgegeben wird. Hier geht es (nach den Worten des Autors) um weit mehr als um die geradezu „simple“ Vorstellung, die der Kommunion zugrunde liegt.

Wie bei allen neueren Büchern von Knight, die sich mit den Feinheiten seines selbstgewählten Glaubens befassen, nimmt er den Leser mit auf eine gut recherchierte und tadellos mit Quellen belegte Reise. Zudem macht er uns mit dem Konzept der Baraka vertraut, das den meisten Nicht-Muslimen neu sein dürfte.

Baraka als Konzept der Segenskraft

Baraka lässt sich nicht so einfach definieren. Da Baraka für die im Buch behandelten Konzepte eine zentrale Rolle einnimmt – nämlich zur Übermittlung der Botschaft des Propheten Mohammad durch seinen Körper und sein Wirken – legt Knight diesen Begriff sehr sorgfältig und ausführlich aus. Bereits in der Einleitung geht er detailliert auf die verschiedenen anwendbaren Bedeutungen ein.

Die Baraka lässt sich vereinfacht mit „Segenskraft“ übersetzen. Ihr liegt allerdings eine weitaus komplexere Idee zugrunde. Der Autor nennt verschiedene Definitionen, die Gelehrte und Philosophen im Laufe der Jahre erarbeitet haben – von einer wohltätigen Kraft göttlichen Ursprungs bis hin zu der heiligen Macht, die einer Heiligenfigur zu eigen ist.

Wenn wir den Propheten Mohammad als heilige Person betrachten, dem eine segensreiche Kraft göttlichen Ursprungs innewohnt, entstammt alles, was er seinen Anhängern übermittelt, einem heiligen Ort. Die im Titel genannten „Netzwerke“ bezeichnen die Gefährten des Propheten, also diejenigen, die ihn persönlich kannten und mit ihm persönlich in Kontakt gestanden haben und somit Empfänger seiner Baraka gewesen waren, in welcher Form oder Gestalt auch immer.

Buchcover "Muhammad's Body: Baraka Networks and the Prophetic Assemblage"; Quelle: The University of North Caroline Press
"Works like "Muhammad's Body: Baraka Networks and the Prophetic Assemblage" give readers a deeper understanding of the complexity of Islam in particular and religious belief in general," writes Richard Marcus

Die Segenskraft nach dem Tod des Propheten

Die Übertragung der Segenskraft ist jedoch nicht auf den tatsächlichen physischen Kontakt mit Mohammad beschränkt, sondern kann sich auch in anderen Zuständen manifestieren. Knight beschreibt zu Anfang, was den paschtunischen Autor Mushin Khan dazu veranlasste, den Koran sowie die Hadithe ins Englische zu übersetzen. Khan träumte, der Prophet sei schweißüberströmt zu ihm gekommen. Instinktiv habe er Mohammad versucht zu helfen, indem er seinen Schweiß trank.

Wenn Mohammad jemandem im Traum erscheint, sei dies Ausdruck von Mohammads Willen. So steht es geschrieben. Khan suchte daher Rat bei einem salafistischen Gelehrten. Dieser sagte ihm, er solle der Sunna dienen. Der Schweiß des Propheten wurde als Anweisung an Khan ausgelegt, das Wissen und die Lehre des Propheten durch eine neue englische Übersetzung des Korans weiter zu verbreiten und so das Netzwerk der Überlieferungen fortzusetzen.

In den folgenden Kapiteln zeigt Knight beispielhaft auf, wie Mohammads Körper den Mittelpunkt bei der Entstehung dieses Netzwerks aus Wissen und Bewusstsein bildete, noch bevor er selbst als Prophet wahrgenommen wurde. Schon im Mutterleib, so heißt es, konnte man das Leuchten seiner Heiligkeit durch das Licht sehen, das von seiner Mutter ausging.

Die Hadithe als Informationsquelle

In seinem Werk untersucht Knight umfassend, wie Mohammads Körper und das Korpus aus Wissen und Inspiration, das in seinem Namen zusammengetragen wurde, nahezu untrennbar miteinander verbunden sind – ganz gleich, ob das Wissen durch Worte, durch Informationsaustausch unter Gefährten und deren Nachfolgern, durch die Hadithe oder durch Botschaften übermittelt wurde, die sein Körper an die Menschen weitergab.

Auch zeigt Knight auf, wie die Informationen über den Körper des Propheten und seine Ausströmungen vorwiegend in den Hadithen und nicht im Koran zu finden sind. Somit beruht die gesamte Lehre vom Körper Mohammads auf persönlichen Berichten von Menschen, die ein Interesse daran haben könnten, mit ihren Darstellungen ihre eigene Glaubensvorstellung zu vermitteln.

Knight weist zudem darauf hin, dass die Baraka mitunter dazu verwendet wird, das eigene Ansehen als frommer Muslim zu fördern. Dies mag eine stark vereinfachte Lesart sein, doch ganz offensichtlich gehen mächtige Organe in der schiitischen und sunnitischen Welt so vor, um ihren Anspruch auf Legitimität der vom Propheten überbrachten Botschaft zu untermauern.

Komplex aber ausgewogen

Für Leser, die nicht Teil der akademischen Welt sind, mag das Buch aufgrund der Sprache und der gewählten Begrifflichkeiten etwas sperrig zu lesen sein. Allerdings ermöglicht genau diese Sprachwahl, die Gedanken und Begriffe, die in dem Buch behandelt werden, rational und leidenschaftslos darzustellen. Selbst in seiner Schlussfolgerung achtet Knight auf größtmögliche Ausgewogenheit.

In seinem Buch greift Knight durchweg auf eine Vielzahl von Quellen zurück – theologische und philosophische, innerhalb und außerhalb der muslimischen Gemeinschaft –, die seine Argumentation belegen. Sei es in der Diskussion über die geschlechtsspezifische Darstellung in der Frage, wer was erkennen kann und wie Engel und andere dargestellt werden, oder in der Diskussion darüber, wie der Prophet Wasser aus seinen Händen in ausreichender Menge erzeugen konnte, um seine Anhänger zu erfrischen: Knight belegt diese Ereignisse sorgfältig anhand ihrer Ursprünge in den Hadithen.

Brücken bauen

Knight hat unabhängig davon, ob der Leser gläubig ist oder nicht, wunderbare Arbeit geleistet und aufgezeigt, wie sich die Glaubensvorstellungen im Laufe der Jahre entwickelten und wie sie die Ausbreitung des Islam in der ganzen Welt beeinflussten. Seit der Veröffentlichung seines Romans Taqwacore ist Knight in der muslimischen Welt umstritten. Möglicherweise ist es nun an der Zeit, ihn nach seinem aktuellen Wirken zu beurteilen und nicht nach dem, was vorher war.

Werke wie Muhammad's Body: Baraka Networks and the Prophetic Assemblage vermitteln dem Leser ein tiefgehendes Verständnis der Komplexität des Islam im Besonderen und des religiösen Glaubens im Allgemeinen. Je mehr wir die Glaubensvorstellungen des anderen verstehen, desto besser werden wir einander verstehen. Genau aus diesem Grund brauchen wir mehr Werke wie dieses, die dabei helfen, immer wieder Brücken zwischen uns zu bauen.

Richard Marcus

© Qantara.de 2020

Aus dem Englischen von Peter Lammers