Den Propheten in Erinnerung rufen
Bevor wir über Michael Muhammad Knights Buch "Muhammad: Forty Introductions" (dt. Mohammed: vierzig Einführungen) sprechen, sollten wir zunächst zwei Begriffe klären. Diese Begriffe sind nicht nur für Format und Titel des bei Soft Skull Press erschienenen Buchs von Bedeutung, sondern auch für den Islam selbst. Es sind die Wörter Hadith und Arba'in.
Hadith bedeutet wörtlich Nachricht oder Bericht und bezeichnet insbesondere die Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed, wie sie entweder von seinen Gefährten oder deren Nachkommen überliefert wurden. Diese Hadithe sind die einzige heute noch existierende Aufzeichnung aus dem Leben des Propheten.
Es gibt Tausende davon. Und obwohl einige Hadithe von Menschen überliefert wurden, die fünf oder mehr Generationen nach dem Propheten Mohammed lebten und somit etwas überlieferten, was dieser vor Hunderten von Jahren getan oder geäußert haben soll, trägt jeder Hadith dazu bei, unser Bild von Mohammed als Mensch und als Prophet zu prägen. Je tiefer unsere Einsicht in den Menschen hinter der Botschaft, desto tiefer unser Verständnis der aus seiner Botschaft hervorgegangenen Religion.
Wenn man sich vor Augen hält, was ein Hadith ist, versteht man auch die Verbindung zu Mohammed. Aber was ist mit Arba'in? In seiner von ihm als "Einführung" in die "Einführungen" (Introductions) genannten Erläuterung erklärt Knight den Zusammenhang mit dem Buchinhalt. Ein Arba'in bezeichnet eine bestimmte literarische Gattung, nämlich eine Sammlung von 40 Hadithen.
Dieser Begriff geht auf einen Hadith zurück, in dem Mohammed wie folgt zitiert wird: "Wer für meine Gemeinschaft 40 Hadithe aus der Sunna bewahrt, dem werde ich am Tag der Auferstehung als Fürbitter zur Seite stehen".
Ausdruck der Hingabe
Diese Anleitung oder Anweisung geht auf eine Zeit zurück, als Mohammeds Worte noch durch mündliche Überlieferung bewahrt wurden. Die Aufgabe, 40 seiner Aussprüche auswendig zu lernen, muss damals für einen gewöhnlichen Menschen eine Lebensaufgabe gewesen sein. Die Bedeutung dieser Aufgabe erschließt sich vor allem aus der Hingabe, die sie symbolisiert.
Eine solche Sammlung heute zusammenzustellen, erfordert wohl nicht die gleiche Anstrengung. Dennoch bleibt es anspruchsvoll, aus Tausenden von Hadithen exakt 40 auszuwählen, die ein bestimmtes Thema besonders treffend behandeln. Noch schwieriger ist es, solche Hadithe auszuwählen, die jenen Menschen ein klares Verständnis des Propheten vermitteln, die mit Mohammed oder dem Islam überhaupt nicht vertraut sind.
Im Unterschied zum Christentum gibt es im Islam keinen nennenswerten Bestand an gegenständlichen Kunstwerken, die wir betrachten können, um vage begreifen zu können, wie verschiedene Menschen Mohammed zu seinen Lebzeiten gesehen haben könnten. Einige Darstellungen christlicher biblischer Gestalten mögen uns heute durchaus sonderbar erscheinen, aber sie unterstützen doch zumindest unsere Vorstellungskraft.
Dagegen wissen Menschen außerhalb der Gemeinschaft von Mohammed nicht nur wenig darüber, wer Mohammed war oder wofür er stand, wir wissen nicht einmal, wie er aussah. Wir alle können gedankliche Vorstellungen von Jesus und anderen Gestalten aus der jüdisch-christlichen Bibel abrufen, egal wie exotisch einige von ihnen sein mögen. (Wer glaubt schon, dass Moses aussah wie Charlton Heston aus "Ben Hur"...). Aber wie viele von uns können sich ein Bild von Mohammed machen, das nicht auf Stereotypen beruht?
Keine verbindliche Beschreibung von Mohammed
Für Knight besteht das Problem darin, dass es keine verbindliche Beschreibung von Mohammed gibt. Nicht einmal die, die ihm am nächsten standen, nämlich seine Frauen, geben uns darüber Auskunft. Nach Beschreibungen aus verschiedenen Hadithen schien er nicht besonders groß gewesen zu sein. Sein Haar war weder ausgesprochen dünn noch lockig. Und sein Gang wirkte, als ginge er ständig bergab. Seine Hautfarbe wird in den Überlieferungen mal als dunkel, mal als hell und mal als rötlich beschrieben.
Knight sagt zu Recht, dass die verschiedenen Berichte über die Hautfarbe wahrscheinlich auf die Herkunft des jeweiligen Autors des Hadiths zurückzuführen sind. Ebenso wie italienische Maler Jesus als Italiener malten, hätte ein Perser den Propheten Mohammed wohl nach seinen tradierten Vorstellungen beschrieben. Hier ging es nicht darum, die Wahrheit zu verdrehen. Vielmehr ist es einfach eine Tatsache, dass wir das malen – oder eben beschreiben – was wir kennen.
Doch was bleibt, wenn uns keine konkrete Beschreibung vorliegt? Laut Knight gibt es da einiges. In der 18. Einführung stellt er Folgendes fest: Mohammed ist tot. Der Hadith besagte: "Der Prophet (Gott segne ihn und schenke ihm Frieden) starb in meinem Haus". Im Unterschied zum Christentum, das seine zentrale Gestalt vergöttlicht, war Mohammed ein Mensch. Er lebte, hatte Frauen und Kinder und starb schließlich. Seine Worte und Gedanken leben weiter, aber seine leibliche Hülle ist längst aufgefahren.
Die von Knight für seine Einführungen ausgewählten Hadithe sind mehr als nur Beschreibungen des Mannes oder seiner Persönlichkeit. Sie sind auch danach ausgewählt, was sie uns über Mohammed und die Welt, in der er lebte, zu sagen haben. Mit diesen Hadithen als Ausgangspunkt kann Knight unser Verständnis vieler Aspekte vertiefen: Von der sozialen, politischen und religiösen Verfassung der Welt im Umfeld des Propheten bis hin zur Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten, die die Politik der Region bis heute prägt.
Ausgangspunkt für weitere Überlegungen
Auch wenn einige an der Echtheit der Hadithe als Quelle einer historisch genauen Darstellung zweifeln mögen, kann dieser Aspekt in Glaubensfragen nicht das Hauptanliegen sein. Knights Buch versucht, Menschen mit einer Persönlichkeit vertraut zu machen, die für eine Religion von zentraler Bedeutung ist. Schließlich geht es hier nicht um einen Heeresführer oder weltlichen Machthaber. Wenn wir bereit sind, Geschichten über Jesus und Buddha zu akzeptieren, die auf einer vergleichbaren Quellenlage beruhen, dann müssen wir der Hadith-basierten Lehre die gleiche Legitimation zubilligen.
Knight hat eine enorme Anstrengung unternommen, indem er Tausende und Abertausende von Hadithen durchsuchte und 40 herausgriff, von denen er glaubt, dass sie uns als Einführung zu Mohammed dienen können. Selbstverständlich ist er ehrlich genug, um anzumerken, dass dies seine Sicht auf den Propheten ist. So sagt er: "Mit der Zusammenstellung der Arba'in erschloss sich mir die Möglichkeit, mir selbst den Propheten wieder vorzustellen".
Die jüngsten Bücher von Knight, sowohl seine persönlichen Betrachtungen zu seinem Glauben als auch seine akademischen Werke, zeigen ein bemerkenswertes Gleichgewicht zwischen dem ruhigen, objektiven Wesen der Wissenschaft und der menschlichen Note, die sein Schreiben einem breiteren Publikum zugänglich macht.
Richard Marcus
© Qantara.de 2019
Aus dem Englischen von Peter Lammers