Die Blicke der anderen
Ein sonniger Samstagnachmittag in der Shopping-Meile von Köln. Die Menschen drängeln sich durch Straßen und Geschäfte.
In einem edlen Schuhladen unweit des Kölner Doms werden die Highlights der Sommerkollektion präsentiert. Ich blicke neugierig ins Schaufenster. Ein Paar neue Schuhe zum Sommerbeginn - keine schlechte Idee. Vielleicht ist etwas Passendes für mich dabei.
Der Laden ist gut gefüllt, fast nur Frauen. Ich sehe in viele Gesichter. Einige lächeln, andere wirken gehetzt oder gestresst - nur in meinem Gesicht kann heute niemand so einfach etwas lesen. Eine junge Verkäuferin drängt sich durch die Menge. Sie bringt mir aus dem Lager drei Paar Schuhe, nach denen ich gefragt habe, und hilft mir, meine Füße in ein Paar enge Ballerinas zu zwängen.
Sie lächelt, scheint aber auch verunsichert. Kein Wunder, denn jedes Mal, wenn sie an meine Füße will, muss sie mein Gewand kurz anheben. Und wenn sie dann fragend zu mir hochblickt, ob das soweit in Ordnung ist, dann kann sie nur ein Paar Augen sehen, umgeben von dunklem Stoff. Eine ungewohnte Situation für sie.
"An das Kopftuch bei muslimischen Frauen sind wir hier gewohnt", sagt die Verkäuferin später, als mein Begleiter und Kollege Hicham sie über ihre Empfindungen in der Situation befragt. "Aber dass eine Frau sich mit einer Burka verhüllt, das ist schon ganz anders." Die Unsicherheit habe sich aber gelegt, als sie gemerkt habe, dass ich Deutsch spreche.
Burka oder Niqab?
Alle hier sagen Burka. Obwohl das, was ich trage, streng genommen ein Niqab ist: ein dunkler Gesichtschleier, der im Gegensatz zur Burka immerhin einen Augenschlitz freilässt.
Diese Art Kleidung trage ich heute zum ersten Mal in meinem Leben und ich muss mich selbst erst daran gewöhnen. Ein bodenlanges und dunkles Gewand umhüllt meinen Körper.
Meine Haare habe ich mit einem großen schwarzen Kopftuch bedeckt, das bis zu den Hüften reicht. Dazu ein paar hellgraue Handschuhe, damit auch an den Händen und Armen keine Haut mehr zu sehen ist.
Derart verschleiert, bewege ich mich einen Tag lang durch das ganz normale öffentliche Leben einer deutschen Großstadt - ein journalistisches, aber auch ein sehr persönliches Experiment. Denn es ist ein echter Perspektivwechsel. Man fühlt sich anders, man sieht Dinge anders. Und man wird auch anders wahrgenommen und anders angeguckt.
Kulturelle Vielfalt des Großstadtlebens
Nach dem Schuhkauf setzen wir uns in ein Café in der Fußgängerzone. Am Nachbartisch sitzt eine Gruppe von fünf Männern und Frauen. Sie essen, trinken, unterhalten und amüsieren sich ausgelassen. Als sie mich bemerken, wird es an ihrem Tisch plötzlich leise. Glaube ich zumindest. Oder bilde ich es mir vielleicht nur ein? Ich bin selbst verunsichert.
Ein leises Tuscheln ist auf jeden Fall zu hören, als ich versuche, einen Schluck aus der Kaffeetasse zu nehmen, ohne zu kleckern und ohne mein Gesicht zu zeigen. Aber das sieht wohl auch tatsächlich etwas komisch aus.
Eine Frau, schätzungsweise Mitte 40, sitzt weiter hinten an einem anderen Tisch und lächelt mir freundlich zu. Später sagt sie, sie habe noch nie eine verschleierte Frau in einem deutschen Café oder Restaurant gesehen. Sie finde dies ungewohnt, aber auch sehr begrüßenswert, denn das bringe die kulturelle Vielfalt des Großstadtlebens zum Ausdruck. "Ich bin so erzogen worden, dass ich andere akzeptiere."
Ähnlich argumentiert Doris, die Kellnerin. Sie hatte zunächst vermutet, ich sei eine Touristin aus den Golfstaaten. "Das Erste, was ich dachte, war: Das sieht ja sehr ungewohnt und fremdländisch aus! Aber ich reise selbst sehr gerne in fremde Kulturen und möchte unbedingt einmal den Iran oder Irak besuchen."
Toleranz, Neugierde und Aufgeschlossenheit seien ihr nicht nur beim Reisen sehr wichtig. "Aber als ich gesehen habe, wie schwer das Kaffee-Trinken fällt, da habe ich mir schon gedacht: Das ist doch viel zu umständlich!"
Unerwartete Schwierigkeiten
Umständlich ist es später auch in einer Parfümerie. Ich kann keinen Lippenstift testen und keine Crèmes auftragen. Denn es gibt in einem europäischen Land wie Deutschland natürlich keinen getrennten Bereich, wo eine verschleierte Frau fernab fremder männlicher Blicke Make-ups testen könnte.
Lediglich das Parfüm kann ich auf einen Teststreifen sprühen. Aber durch den Schleier kann ich kaum etwas riechen. Als eine junge Dame das mitbekommt, schmunzelt sie. "Ohne Schleier geht das bestimmt besser", sagt sie durchaus freundlich.
Später erklärt sie uns, dass sie nicht recht verstehen kann, warum manche muslimische Frauen sich verschleiern. "Ich denke, das ist doch viel zu warm für die Frauen! Und es ist doch irgendwie auch schade: Wenn sie hübsch sind, warum wollen sie sich dann nicht zeigen?"
Ein junger Mann, Anfang 30, mischt sich in das Gespräch ein: "Ich bin der Meinung, wenn man hier lebt, dann muss man sich auch anpassen." Religiöse und kulturelle Bedürfnisse müssten natürlich respektiert werden, das mache die Sache kompliziert. "Aber wenn wir in anderen Ländern unterwegs sind, dann müssen wir uns dort ja auch anpassen."
Dabei sieht man voll verschleierte Frauen in Europa eher selten, das Kopftuch ist weitaus gängiger. Trotzdem gibt es eine leidenschaftliche Debatte über den Gesichtsschleier, bis hin zur Forderung nach Burka-Verboten in der Öffentlichkeit, wie Belgien und Frankreich sie in gesetzlicher Form vorbereiten.
Es gibt viele strittige Fragen: Ist Verschleierung ein Sicherheitsrisiko? Ein Integrationshemmnis? Ein Symbol für Frauen-Unterdrückung? Oder gilt es umgekehrt, die religiöse Freiheit und das Recht muslimischer Frauen auf freie Kleidungswahl zu respektieren?
Klaus, ein Student, bezieht klar Position: "Entscheidend ist für mich, ob die Burka freiwillig getragen wird", betont er. Jede freiwillige Entscheidung einer Frau müsse respektiert werden. "Hauptsache, sie werden zu nichts gezwungen."
Mein Tagesausflug in die Perspektivwelt einer verschleierten Frau nähert sich dem Ende. Mein Begleiter Hicham und ich betreten eine U-Bahn-Station, ich setze mich erschöpft neben eine junge Frau auf eine Wartebank. Sie steht sofort auf und stellt sich woanders hin.
Ich denke nach: Hat sich diese Frau mir gegenüber demonstrativ diskriminierend verhalten? Hatte sie Angst? War sie verunsichert? Oder wollte sie ohnehin gerade aufstehen und hat mich gar nicht weiter beachtet?
Ich kann es nicht herausfinden, aber ich fühle mich irgendwie unbehaglich und für einen kurzen Moment auch sehr einsam. Auch später in der U-Bahn bleibt der Platz neben mir frei, die ganze Zeit über. Vielleicht ein Zufall. Ich weiß es nicht.
Chamselassil Ayari
© Deutsche Welle 2010
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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