Sie sind anders
Die 1960er Generation der US-amerikanischen Schriftsteller wurde durch ein Marokko geprägt, das in den Werken von William S. Burroughs, Jack Kerouac, Paul Bowles und vielen anderen erscheint. Dieses Marokko war verstörend, einladend, exotisch, sinnesbetäubend und völlig "neuartig". Es war ein Raum, der nicht nur gelesen, sondern geschrieben werden musste.
Durch die so entstandenen Werke wurden viele junge Reisende inspiriert, und die marokkanische Küste entwickelte sich zum beliebten Ziel von Aussteigern, Hedonisten, Künstlern und anderen Vertretern der amerikanischen und europäischen Gegenkultur.
Dies ging an den marokkanischen Künstlern und Schriftstellern natürlich nicht unbemerkt vorbei. Muhammad Zafzaf (1945-2001), der „Pate der marokkanischen Literatur“ des 20. Jahrhunderts, war in den 1960ern ein junger Schriftsteller, Student und später Hochschullehrer in Casablanca.
Sein Roman "The Elusive Fox" ("Der ungreifbare Fuchs") von 1989 beruht möglicherweise auf einigen seiner eigenen Erfahrungen und Beobachtungen, wie der Übersetzer Mbarek Sryfi in seinem Nachwort bemerkt. Das Buch beschreibt einen Sechziger-Jahre-Sommer in der Küstenstadt Essaouira. Es handelt von den Hippies, die zu dieser Zeit durch Marokko reisen, ist aber aus der Perspektive von Ali geschrieben, eines langhaarigen Sportlehrers aus Casablanca, der an die Westküste des Landes fährt, da auch er Haschisch rauchen, Wein trinken, die freie Liebe genießen und nackt im Meer baden möchte.
Voller Widersprüche
Im Buch werden viele der Spaltungen und Widersprüche der "globalen" Gegenkulturbewegung beschrieben, wie sie sich in einer Kleinstadt an der marokkanischen Küste ereignen. Zu Beginn trifft Ali eine robuste und "jungenhafte" marokkanische Frau. Er ist auf der Suche nach einem Schlafplatz, und sie sagt zu einem Hotelangestellten, Ali könne bei ihr im Zimmer übernachten. "Ich habe ein Bett übrig."
Die Widersprüche folgen sofort: Der Angestellte verbietet ihr, mit einem fremden Mann das Zimmer zu teilen, und droht ihr mit Rauswurf. Als sie argumentiert, die europäischen Hippies täten dies ebenfalls, meint er zu ihr, "Dem Chef geht es nur ums Geld". Und warum darf sie es nicht? "Du bist eine muslimische Frau."
Fatima Hajjouj, diese weibliche Hauptfigur, erscheint zunächst als stark und mutig. Sie ist bereit, fast alle Regeln sexuellen und körperlichen Verhaltens zu brechen. So verhält sie sich in der Gesellschaft europäischer Hippies und der Landbevölkerung.
Ist sie aber mit Azeddine zusammen, einem reichen Marokkaner von gesellschaftlichem Rang, wird sie plötzlich schwach und unterwürfig und erlaubt ihm, sie zu verspotten. Zuerst ist Ali schockiert. Aber dann vermutet er, dass Fatima lediglich "die Giftschlange in sich versteckt, genau wie ich meinen eigenen Fuchs versteckt und alles, was geschieht, mit kühler Besonnenheit beobachtet habe".
Auch die Wahrnehmung der Armut scheint sehr unterschiedlich zu sein – je nachdem, ob man Europäer oder Marokkaner ist. Alis Geldknappheit als Hochschullehrer macht es ihm fast unmöglich, durch das Land zu reisen.
Die "mittellosen" Europäer hingegen mögen zwar pleite sein, haben aber immer noch genug Geld, um Alkohol oder Haschisch zu kaufen und unterwegs zu sein.
"So sind sie alle", meint eine der Romanfiguren. "Sie haben keinen Penny mehr, aber sie reisen immer noch. Ich weiß nicht, wie sie das machen. Ein oder zwei Monate später schicken sie dir Postkarten von irgendeinem anderen Ort der Welt."
Unvermeidliche Spannungen
Aus diesen Widersprüchen resultiert schließlich Gewalt, ebenso wie in den Romanen von Paul Bowles. In dessen Roman "Himmel über der Wüste" scheint die Gewalt einfach aus der „tiefsten Natur“ und der Instabilität Marokkos zu kommen. In "The Elusive Fox" hingegen hat die Gewalt sehr klare Ursachen. An einer Stelle hört Ali, als er gemeinsam mit einer Gruppe europäischer Hippies in der Sonne liegt, wie im Gebüsch fünf Beduinen angewidert über die nackten Sonnenbadenden sprechen. Insgeheim macht sich Ali über die Ansichten der Dorfbewohner lustig, aber er versteht auch ihre konservative Erziehung. Kurz bevor sie aus dem Gebüsch laufen, um die Hippies zu verprügeln, macht er sich aus dem Staub.
Für die Beduinen aus dem Dorf, deren Angriff mit Leichtigkeit abgewehrt wird, endet die Geschichte nicht gut. Der letzte Angreifer "konnte in Richtung Meer fliehen, blutete aber am Hals und zog sein Bein nach wie ein verwundeter Wolf in einer Falle".
Eine europäische Frau hält mit benommenem Blick ein Messer in die Luft, und Ali sagt sich, dass sie vielleicht keinen Unterschied zwischen ihm selbst und dem Beduinen erkennen kann. "Als ich mit Sicherheit sagen konnte, dass das Messer, das sie hielt, nicht der ‚Fremden’ gehörte, rannte ich wie ein Irrer über die Wiese und durch den Wald, bis ich wieder zurück in der Stadt war".
Die Natur der Wahrheit
Kurz darauf hört Ali von einem der örtlichen Haschischverkäufer, dass drei Hippie-Frauen ermordet wurden. Ob die beiden Ereignisse in Zusammenhang stehen, ist unklar, aber Brahim, der Haschischverkäufer, meint zu Ali, er müsse fliehen, da die örtliche Polizei jeden aufspüren würde, den sie des Mordes beschuldigen könne. "In Dyabat haben die Festnahmen bereits begonnen, und bald werden sie auch Essaouira erreichen. Wenn wir hier bleiben, sind wir verloren, und den Rest überlasse ich deiner Vorstellungskraft."
Während er mit dem Haschischverkäufer auf Reisen ist, beginnt Ali, an Brahims Geschichte zu zweifeln. Bereits vor ihrem Aufbruch war er nicht sicher, ob Brahim die Geschichte vielleicht nur erfunden hat oder gar für die Morde verantwortlich ist.
In diesem Moment erkennt der Sportlehrer aus Casablanca, wie viel er zu befürchten hat: von Brahim, von den staatlichen Behörden, von seiner eigenen Armut. Er äußert eine Ansicht, die derjenigen der Hippies am Strand grundlegend widerspricht: "Jeder, der behauptet, die innere Welt kontrolliere die äußere Welt und er könne sie formen, bestimmen, ändern oder etwas in dieser Richtung tun, ist ein Lügner."
Dieser kurze, kluge Roman in seiner gekonnten Übersetzung von Sryfi und Roger Allen zeichnet ein dichtes und vielschichtiges Porträt Marokkos der 1960er Jahre und beschreibt, wie das Privileg, „frei“ zu sein, von Reichtum und Macht bestimmt wird.
Marcia Lynx Qualey
© Qantara.de 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Muhammad Zafzaf: „Elusive Fox“, Syracuse University Press, 102 Seiten, ISBN: 978-0-8156-1077-9