Statt der Angst die Wut
Die im Fernsehen gezeigten Standbilder aus dem Video, das die Verbrennung des jordanischen Piloten Muas al-Kasasba zeigte, waren so entsetzlich, dass ich den vom "Islamischen Staat" übers Internet verbreiteten Film gar nicht anschauen wollte. Die Abscheu über solche Grausamkeit war mächtiger als meine Leidenschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und bis heute habe ich es nicht fertiggebracht, das Video anzusehen; ich begnügte mich mit der weitgehend aufs Mündliche beschränkten Beschreibung am Fernsehen.
Dabei verspürte ich – nicht nur als Bürger Jordaniens, sondern ganz einfach als menschliches Wesen – eine Taubheit, eine Lähmung, die meinen ganzen Körper erfasste. Versteinert und zunehmend verständnislos stand ich da, während ein Reporter das Video Szene für Szene schilderte – bis hin zu den Momenten, da man Muas al-Kasasba umsonst gegen die Flammen ankämpfen sieht, die seinen Leib verschlingen, bis nur noch ein Haufen schwarzer Asche übrig ist.
Das Gegenteil erreicht
Der Mensch ist nicht dazu gemacht, solche Dinge mit anzusehen. Entsprechend war der Schock der Jordanier, als sie vom grauenvollen Sterben des Piloten erfuhren, der nach einem Absturz in die Gefangenschaft des IS geraten war. Ein Schock, der das Volk zunächst zu entzweien und gegen die Regierung aufzubringen schien.
Manche vertraten die Meinung, Jordanien hätte sich gar nie in den Kampf gegen den IS einmischen sollen, der uns ja nichts angehe; andere fanden, dass die Regierung nicht genug getan habe, um al-Kasasba freizubekommen, etwa durch die vom IS geforderte Freilassung der Qaida-Terroristin Sajida al-Rishawi, die 2005 einen Selbstmordanschlag auf ein Hotel in Amman hatte verüben wollen und sich seither in jordanischer Gefangenschaft befand. Das Todesurteil gegen sie wurde unmittelbar nach Bekanntwerden von al-Kasasbas Ermordung vollstreckt.
Aber dann schien sich die Wirkung, die der IS mit den Verbrechen angestrebt hatte, in ihr Gegenteil zu verkehren. Die sich abzeichnenden Meinungsdifferenzen in der Bevölkerung, der Groll gegenüber der Regierung klangen ab; stattdessen rückten die Menschen zusammen, die Rufe nach einem bedingungslosen Krieg gegen den IS wurden lauter.
König Abdallah hatte die Gruppierung mehrfach als Terroristenbande gegeißelt, die sich unzulässigerweise mit den Symbolen des Islam und dem Begriff "Kalifat" schmücke. Anlässlich seines Besuchs bei al-Kasasbas Familie versprach er, den Krieg gegen den IS nicht eher zu beenden, als bis die Organisation vernichtet und das Leben des auf so bestialische Art ermordeten Piloten gerächt sei.
Der Islam, hob Abdallah hervor, verbiete explizit die Tötung von Kindern, Alten, Frauen und Kriegsgefangenen. Und während man den König im Kreis der Angehörigen al-Kasasbas sah, hörte man im Hintergrund den Lärm der Kampfflugzeuge, die über der Gegend kreisten – ein Signal, welches den Menschen versichern sollte, dass der Krieg gegen den "Islamischen Staat" von nun an mit aller Bitterkeit, Ausdauer und Zielgerichtetheit geführt werde.
Aus den Reaktionen der Menschen auf der Straße, aus den Kommentaren und Zeitungskolumnen wurde offensichtlich, dass die Jordanier die Botschaft, welche der IS mit dem grauenvollen und unmenschlichen Video hatte aussenden wollen, sehr wohl verstanden hatten – als Einschüchterung und Drohgebärde, als Versuch, den Soldaten noch mehr als der Zivilbevölkerung des Landes Angst einzujagen.
"Rechtslehre des Blutes"
Muhammad Abu Rumman, ein Experte für radikalislamistische Bewegungen, erklärte, wie der "Islamische Staat" vom Prinzip der "Einbindung von Gewalt und Zerstörung" zu einer "Rechtslehre des Blutes" übergegangen sei; beide Termini sind Titel von Schriften, die von Vordenkern des IS aufgesetzt wurden.
Die erstere bezieht sich auf das Werk des berühmten muslimischen Gelehrten und Politikers Ibn Khaldun, der sich in seinen "Muqaddima" betitelten Betrachtungen zur Weltgeschichte auch über den Umgang mit den negativen Energien äußert, die bei der Gründung eines Staatswesens fast unweigerlich mitspielen. Die zweite von Abu Rumman erwähnte Schrift speist sich aus dem fundamentalistischen sunnitischen Denken; sie postuliert das Recht der Islamisten, bei der Errichtung des Kalifats "Ungläubige" – seien es nun Schiiten, Nichtmuslime oder Andersdenkende – zu töten.
Tatsächlich wird der IS nicht müde, jeden umzubringen, der seine Weltsicht nicht zu hundert Prozent teilt – und seien es eigene Anhänger. Dieser ideologische Purismus dürfte den Führern der Terrororganisation mittlerweile weniger zur Gewinnung neuer Mitglieder dienen als vielmehr dazu, die Reihen ihrer Gefolgsleute zu schließen, indem die Tötungsmaschinerie auf immer höhere Touren gebracht und jede begangene Untat über Internet und Social Media verbreitet wird.
Denn wenn der IS mit seiner jüngsten Barbarei überhaupt etwas gewonnen hat, dann sind es erbitterte Feinde. Und wenn sich irgendwo die Reihen geschlossen haben, dann zum einen in Jordanien, zum andern aber auch bei den arabischen Staaten, die sich dem internationalen Bündnis zur Bekämpfung der Terrororganisation angeschlossen haben. Diese mag bei den Sunniten in Syrien und im Irak infolge der dort herrschenden Konflikte gewisse Sympathien finden, aber in Ländern wie Jordanien hat sie so gut wie keinen Rückhalt in der Bevölkerung.
Mit der Ermordung von Muas al-Kasasba dürfte sich der IS zudem einen Teil seiner allfälligen Sympathisanten entfremdet haben. Oder diese werden zumindest gut daran tun, mit ihren Überzeugungen hinterm Berg zu halten, denn jetzt haben sie nicht nur den ausgesprochen effizienten jordanischen Geheimdienst zu fürchten, sondern obendrein den gerechten Zorn ihrer Mitbürger.
Im Auge des Hurrikans
Jordanien allerdings steht nun im Auge des Hurrikans. Es ist noch schwer abzuschätzen, ob es der Regierung auf die Dauer gelingen wird, das Volk hinter sich zu scharen und es die latenten Spannungen und Zwiste zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ebenso vergessen zu machen wie die wirtschaftliche Dauerkrise und die ständig steigenden Lebenskosten.
Klar ist aber, dass das Land jetzt – in einem noch vor wenigen Tagen unvorstellbaren Maß – in den Krieg gegen eine Terrororganisation involviert ist, die vor nichts zurückschreckt. Nicht vor Massakern, nicht davor, einen Menschen in einen eisernen Käfig zu sperren und ihn lebendigen Leibes zu verbrennen, und nicht davor, sich im Angesicht der ganzen Welt mit dieser Untat zu brüsten.
Fakhri Saleh
Fakhri Saleh war als Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer lange in seiner Heimat Jordanien tätig und hat diverse literaturwissenschaftliche Studien veröffentlicht. Er ist derzeit Leiter der arabischen Abteilung im Unternehmen Bloomsbury Qatar Foundation Publishing.
Aus dem Arabischen von Angela Schader
© Neue Zürcher Zeitung 2015