Vereint in der Trauer, vereint gegen den IS
Die große jordanische Fahne, die hoch über der Hauptstadt Amman weht, steht auf Halbmast. Das Land trauert um den ermordeten Piloten Muas al-Kasasba, der von den Terrormilizen des "Islamischen Staats" lebendig verbrannt wurde. Die Fahne ist gut zu sehen vom Aussichtspunkt der Al-Rainbow-Straße in einem beliebten Ausgehviertel in der Innenstadt von Amman. Es ist Mittagszeit, vor allem junge Leute treffen sich hier auf einen Kaffee, genießen die warme Wintersonne.
Eigentlich scheint der Terror des IS weit weg, doch auch hier macht man sich so seine Gedanken. "Eigentlich war das nicht unser Krieg, aber es ist jetzt auch zu unserem Problem geworden", sagt Oraib Majali, eine junge Studentin. "Ich habe keine Ahnung, was hier als Nächstes passieren wird." Auch andere machen sich Sorgen, dass Jordanien nun tiefer in den Krieg in den Nachbarländern Irak und Syrien mit hineingezogen werden könnten. "Die richtige Antwort wäre, wenn alle arabischen Länder zusammenarbeiten würden, nicht nur Jordanien", sagt Muhammed Qtoush, der in Ägypten studiert. "Was der IS macht ist schlimm. Da müssten alle etwas dagegen tun."
Bedrohung rückt näher
Mit dem Tod des Piloten sind für viele Jordanier der Krieg und das politische Chaos seiner Nachbarn Syrien und Irak ein erhebliches Stück näher gerückt. Das Video, das über 22 Minuten lang die Verbrennung des jungen Mannes zeigt, hat sich in das nationale Gedächtnis eingeprägt. Jordaniens König Abdallah II. hatte nach der Ermordung des Piloten einen "gnadenlosen Krieg" gegen den IS angekündigt und die Einheit des Volkes beschworen.
Seitdem fliegt Jordaniens Luftwaffe verstärkt Angriffe, abgesichert vom Bündnispartner USA. Ab und an donnern jordanische Kampfflieger jetzt sogar auch über die sonst so beschauliche Hauptstadt. Bei einem der "Vergeltungsangriffe" auf IS-Stellungen soll am Freitag (06.02.2015) auch eine amerikanische Geisel umgekommen sein, die sich seit letztem August in den Händen der Dschihadisten befand. Die Entwicklungshelferin aus den USA sei durch einen jordanischen Luftangriff in der Nähe der nordsyrischen Stadt Rakka getötet worden, behaupten zumindest die IS-Terroristen.
Möglicherweise versuche der "Islamische Staat" mit solchen Nachrichten das US-geführte Bündnis zu spalten, glauben Beobachter. Doch diese Fragen interessieren in Jordanien momentan kaum. "Diese grausame Art der Ermordung des Piloten gibt Jordanien eine freiere Hand, gegen den IS vorzugehen", meint Sicherheitsexperte Amer al-Sabaileh. "Das Land kann militärisch härter durchgreifen als bisher und es wird seine Optionen nutzen. Jordanien sitzt ja quasi in der Mitte all dieser Konflikte, umgeben von Syrien, Irak und dem Sinai."
Breite Unterstützung für Militäreinsatz
Viele Jordanier verfolgten bislang mit Skepsis die Beteiligung ihrer Streitkräfte an der US-geführten Allianz gegen die IS-Miliz. Neben Bahrain, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist Jordanien nur einer von vier arabischen Staaten, die seit September militärisch gegen den IS vorgehen. Die Regierung in Amman hielt sich öffentlich zurück, wenn es um das militärische Engagement in dieser Allianz ging. Das änderte sich mit dem Absturz des jordanischen Jagdflugzeugs und der Geiselnahme des 26-jährigen Piloten Muas al-Kasasba durch den IS.
Al-Kasasba war vermutlich schon Anfang Januar getötet worden. Seit am Dienstagabend das Video auftauchte, kann Jordaniens König Abdullah auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zählen - auch wenn es verhaltene Kritik gibt. "Die Leute sind sehr wütend und emotional, das kann ich verstehen, aber man sollte nie nur aus einem Rachegedanken heraus handeln", sagt Mothana Ghariabeh, der sich selbst als "linker Aktivist" bezeichnet. "Es sollte schon etwas differenzierter sein und auch die Probleme unseres Landes berücksichtigen."
Er würde sich vor allem eine breitere Koalition der arabischen Staaten wünschen, um gegen den IS vorzugehen. Ein von den USA allein geführtes Bündnis spiele vor allem denen in die Hände, die dem Westen vorwerfen, nur die eigene Agenda durchsetzen zu wollen.
Auch von den jordanischen Muslimbrüdern kommt Zustimmung für die Luftangriffe. Sie hatten sich bereits in der Vergangenheit offen gegen den IS ausgesprochen. "Wir unterstützen die Luftangriffe", sagt Mohammed Qudah, ein Vertreter der Muslimbrüder. "Wir sind aber klar dagegen, wenn es um eine Beteiligung an einer Bodenoffensive geht." Darüber wird aber zumindest offiziell noch gar nicht gesprochen.
Ausweitung der Militäroffensive?
Militärexperten gehen davon aus, dass Jordanien die Luftangriffe weiter intensivieren wird. Auch über spezielle Einsätze gegen die Anführer des IS wird spekuliert. "Die Jordanier werden sich darauf einstellen müssen, dass dies kein Konflikt ist, der in einem Monat zu Ende sein wird", sagt Kommentator Amer al-Sabaileh. "Schließlich geht nicht nur um eine militärische Intervention, sondern auch um den Kampf gegen eine Ideologie, die in unserer Gesellschaft verankert ist."
Denn auch in Jordanien gibt es in salafistischen Dschihadisten-Kreisen Unterstützer des IS. In einer Umfrage des Centers for Strategic Studies in Amman hatten im September noch zehn Prozent der befragten Jordanier Sympathien für den IS geäußert. Rund 80 Prozent wiederum sahen damals die Terror-Miliz aber auch als größte Bedrohung für die Stabilität des Landes.
Um die 2.000 Jordanier sollen gegenwärtig schätzungsweise für den IS in Syrien und Irak kämpfen, nach Saudi-Arabien und Tunesien wären sie damit die drittstärkste Gruppe. In den vergangenen Monaten hatten jordanische Sicherheitskräfte Dutzende von Personen festgenommen, die in sozialen Netzwerken Sympathien für den IS geäußert hatten. Beobachter befürchten auch, dass der Kampf gegen den Terror die internen Probleme des Landes und Reformvorhaben in den Hintergrund drängen.
Noch aber stehen die Trauer und Wut über die Tat im Vordergrund. Und der Ruf des Königs nach Einigkeit findet Zuspruch. Einige Tausend Jordanier sind nach dem Freitagsgebet durch die Innenstadt von Amman gezogen - bei einer der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre, so lokale Medien. Überall Fotos des ermordeten Piloten - aber auch von König Abdallah. Sogar Königin Rania mischt sich kurzerhand unter die Demonstranten.
"Wir sind alle Muas", rufen die Demonstranten an diesem Freitag in Sprechchören und "Lang lebe König Abdallah". "Muas hat sein Leben für uns gelassen, und wir müssen jetzt Einigkeit zeigen", sagt eine junge Frau, in der Hand ein Foto des getöteten Piloten. Der 15-jährige Khalid Fouary ist mit seinem Vater zur Demo gekommen, um ein Zeichen zu setzen. "Ich will damit den König unterstützen, damit er den IS zerstören kann. Der IS zerstört den Ruf des wahren Islam", sagt der Jugendliche mit ernstem Gesicht. Die Umstehenden nicken zustimmend.
Tania Krämer
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