Dialoge gegen die Mauern des Schweigens und der Feindschaft
"Dialog unter Beschuss" hat Dan Bar-On die Zusammenarbeit mit dem palästinensischen Erziehungswissenschaftler Sami Adwan genannt. Denn ihre Freundschaft und die gemeinsame Arbeit über die Trennmauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten hinweg war vielen Belastungsproben ausgesetzt: den immerzu scheiternden Nahost-Friedensgesprächen, der Gewalt und dem Druck jener gesellschaftlichen Strömungen, die der Ansicht sind, mit "dem Feind" spreche man nicht.
Der israelische Psychologe, der an der Ben Gurion Universität lehrte, war gegenüber den asymmetrischen Machtverhältnissen zwischen Israelis und Palästinensern sehr sensibel. Er bestand auf Parität, denn es war ihm zuwider, zu bevormunden, er thematisierte es aber auch, wenn er sich von seinem Kollegen politisch vereinnahmt fühlte. Um der Polarisierung ihrer Gesellschaften entgegen zu arbeiten, gründeten die beiden Männer PRIME, das Peace Research Institute in Beit Jala.
Eine gemeinsame Sprache finden
Dan Bar-On und Sami Adwan entwickelten gemeinsam mit palästinensischen und israelischen Lehrern ein Geschichtsbuch, das die verschiedenen historischen Narrativen der verfeindeten Bevölkerungen nebeneinander stellt – ein innovatives Projekt, das in mehrere Sprache übersetzt wurde und auch in anderen Konflikten pädagogisch genutzt wird.
Dan Bar-On kam 1938 in Haifa zur Welt. Seine Eltern stammten aus Hamburg, wo sie 1933 vor den Nazis flohen. Er studierte erst Landwirtschaft, dann Psychologie, danach lebte und arbeitete 25 Jahre in einem Kibbuz im Negev. Er war ein rastloser Mensch, der die Konfrontation mit sich selbst und seiner Umwelt nicht scheute. Schon früh befreite er sich von den gesellschaftlichen Zwängen des Kollektivs, um seinen eigenen Weg zu gehen. Er war ein politischer Mensch und engagierte sich gleich nach dem Sechstagekrieg für einen palästinensischen Staat an der Seite Israels.
In den 1970ern interviewte er die Kinder von Holocaust-Überlebenden. Mutig setzte er diese Pionierarbeit fort, obwohl er in Israel dafür wenig Rückendeckung bekam – mit diesen schmerzhaften Erfahrungen wollte man sich nicht belasten. Als Bar-On 1985 nach Deutschland reiste, stellte er ähnliche Verdrängungsprozesse fest: über die Vergangenheit sprach man hier noch immer nicht. Die Gespräche mit den Kindern von Nazi-Tätern, die er dann ausfindig machte, veröffentlichte er 1993 unter "Die Last des Schweigens". Das waren Dokumente peinigender Auseinandersetzungen mit der Schuld der Eltern. Für den Psychologen, der perfekt Deutsch sprach, war es die Last des Zuhörens.
Vom Monolog zum Dialog
1992 wagte er als erster den Schritt, die interviewten Nachkommen der Opfer und Täter in einer Gruppe zusammenzubringen. Sie nannte sich To Reflect and Trust – Reflektieren und Vertrauen. Trotz aller Traumata gelang es den Teilnehmern (darunter der Sohn des NS-Reichsministers Martin Bormann) in jahrelangen Gesprächen, sich durch das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte näher zu kommen und ihre Schutzmauern einzureißen. Es ging dabei um rein Biographisches, nicht um das Aufrechnung von Fakten. Das Reflektieren über die eigene Familiengeschichte und die eigene Identität, der Monolog, führte zum Dialog.
Dieser von Bar-On entwickelte Ansatz macht selbst mit einem Feind Berührungspunkte möglich, weil er verdeutlicht, dass persönliche Lebenserfahrungen, unabhängig von historischen, politischen, religiösen oder ethnischen Grenzen, sich oft sehr ähnlich sind. Dass Leid nicht gegeneinander aufgewogen werden kann und Kategorien von Opfer oder Täter nicht statisch sind, weil sie sich je nach Kontext verschieben und mitunter in derselben Person vereinigen können, gehört zu den vielen Themen, die er im "Spannungsdreieck" von Israelis-Deutschen- Palästinensern bearbeitete.
Über die Jahre entwickelte er ein fast untrügliches Gespür für die versteckten und verdrängten Spuren des Zweiten Weltkriegs, die die Menschen, ihr Fühlen und Handeln bis heute unbewusst prägen.
Hoher Anspruch, gepaart mit Empathie
Bar-On weitete sein Dialogmodell "Storytelling" später auf internationale Konflikte aus. Sein letztes großes Werk war das dreijährige Dialog-Training, das er mit Teilnehmern aus verschiedenen Kontinenten in der Körber-Stiftung in Hamburg, der Heimatstadt seiner Eltern, leitete. Er war ein disziplinierter, zäher Arbeiter, der von sich und anderen viel verlangte. Sein hoher Anspruch war stets gepaart mit Empathie für die Befindlichkeiten seines Gegenübers, und so unnahbar er manchmal wirken konnte, so empfindsam und charmant war er. Das Zuhören gehörte zu seinen größten Fähigkeiten.
Mit seiner stillen Zuwendung und seinen präzisen Analysen hat er international unzählige Kinder und Enkel des Zweiten Weltkrieges ermutigt, die eigene Familiengeschichte zu erforschen. Kaum ein anderer hat mit dieser Basisarbeit so viel für die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, für die palästinensisch-israelische Verständigung und für einen konstruktiven, zukunftsgerichteten Dialog getan wie er.
Bar-On, der mit Preisen wie dem Deutschen Bundesverdienstkreuz, dem Erich Maria Remarque-Friedenspreis oder dem Alexander Langer-Preis geehrt wurde, erlag am 4. September in Tel Aviv seiner schweren Krebserkrankung. Als Sami Adwan auf der Beerdigung sagte, dies sei einer der dunkelsten Tage seines Lebens, sprach er nicht nur für sich und Bar-Ons Familie, sondern auch für alle, die ihm nahe gestanden und mit ihm zusammen gearbeitet haben. Ein außergewöhnlicher Mann ist gestorben, sein intellektuelles Erbe lebt jedoch weiter.
Alexandra Senfft
© Qantara.de 2008
Alexandra Senfft ist freie Publizistin. Sie ist Autorin von "Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte", claassen Verlag 2007, und mit John Bunzl Herausgeberin von "Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost", VSA 2008. In den vergangenen drei Jahren hat sie eng mit Dan Bar-On, den sie seit 1991 kannte, im Hamburger Dialogprogramm "Storytelling in Conflicts" zusammen gearbeitet.
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