Die Türkei sucht ihre Rolle in Nahost
"Ein gutes Signal für die Stabilität der ganzen Region": So bezeichnete der deutsche Außenminister Heiko Maas das Ergebnis der Gespräche mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu am Montag in Ankara. Auch Cavusoglu zeigte sich zufrieden. Das Gespräch hätte in einer "positiven Atmosphäre" stattgefunden, erklärte er.
Im Zentrum der Unterredung hatte der Konflikt um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer gestanden. Seit deren Entdeckung streiten die EU-Mitglieder Griechenland und Zypern mit der Türkei um deren Ausbeutung. Beide Seiten erheben Anspruch auf die Seegebiete. Im vergangenen Jahr wäre dieser Streit beinahe militärisch eskaliert.
Zu der jüngsten Entwicklung dürfte neben der Notlage der türkischen Wirtschaft auch der Machtwechsel in Washington beigetragen haben, sagt Hürcan Aslı Aksoy, stellvertretende Leiterin des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS) der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, gegenüber der DW: "Die kommende Biden-Administration wird mit der EU wieder verstärkt zusammenarbeiten, und Erdogan will bei dieser Annäherung auf der richtigen Seite sein."
"Die Türkei braucht wieder Verbündete"
Dieser Gedanke dürfte die Regierung in Ankara auch dazu veranlasst haben, ihre bisherige Politik im Nahen Osten zu überdenken. Zudem sei die Türkei in weiten Teilen des Nahen Ostens isolierter denn je, sagt Aksoy mit Blick auf die Konflikte im östlichen Mittelmeer, dem Südkaukasus, Syrien und Libyen. "Die Türkei braucht wieder Verbündete, um das beizubehalten, was Erdogan der türkischen Bevölkerung als geostrategische und geoökonomische Erfolge präsentiert. Bei dem derzeitigen Kurswechsel spielen also auch innenpolitische Faktoren eine Rolle."
Aus türkischer Sicht gewichtige Veränderungen hatten sich zuletzt auf der arabischen Golfhalbinsel ergeben. Dort hatten sich zu Jahresbeginn Katar, Ankaras engster Partner in der Region, sowie Saudi-Arabien und dessen Partner - die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Ägypten - wieder die Hand gereicht.
Vorausgegangen war ein rund dreieinhalb Jahre währender Boykott Katars durch Saudi-Arabien und seine Partner. Für die Türkei, die Katar während des Boykotts durch Lebensmittellieferungen unterstützt hatte, bedeutet dies, dass sie ihre Beziehungen zu beiden Seiten neu ordnen muss. Das birgt Chancen und Risiken zugleich.
Versöhnung trotz Differenzen?
Grundsätzlich begrüßt die Regierung in Ankara die Versöhnung am Golf. "Durch sie erhofft man sich diplomatische Vorteile für die Türkei wie auch für die Golfstaaten", sagt Aksoy. "Die Annäherung zwischen Katar und Saudi Arabien kann dazu beitragen, auch die politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Saudi Arabien, den VAE und eventuell Ägypten wieder auf einen besseren Weg zu bringen und ihre Isolation zu überwinden. Katar kann dabei eine Vermittlerrolle spielen."
Tatsächlich hat Katar seine Bereitschaft zu entsprechenden Bemühungen bereits signalisiert. Allerdings dürfte eine nachhaltige Annäherung zwischen der Türkei und den Golfstaaten beiden Seiten erhebliche Kompromisse abfordern. So ist die Regierung in Ankara weiterhin empört über den von saudischen Staatsdienern verübten Mord am Journalisten Jamal al-Khashoggi im Oktober 2018 in der saudischen Botschaft in Istanbul.
Saudi-Arabien und seine Partner sind hingegen verstimmt über die engen Beziehungen der Türkei und Katars zu den Muslimbrüdern. Mit ihrer religiös-sozialrevolutionären Agenda gelten diese in Saudi-Arabien, den VAE und in Ägypten als Terrororganisation." Aus diesem Grund führt Saudi-Arabien gegen die Türkei einen offiziell nicht erklärten Wirtschaftsboykott. Diesen will die wirtschaftlich stark gebeutelte Türkei rückgängig machen.
Actually the relationship between #Qatar and #Turkey is a lot more pragmatic and institutional than people make it out to be - the ideological component of that relationship has often been overstated - the relationship is win-win so far but has limits https://t.co/GzU7oaPR7n
— Dr Andreas Krieg (@andreas_krieg) January 24, 2021
Konfrontation in Libyen
Bewegen müssen sich beide Seiten auch mit Blick auf ein anderes Land: das vom Bürgerkrieg zerrissene Libyen. Dort unterstützt die Türkei die Einheitsregierung von Fajis al-Sarradsch. Dessen Regierung ist auch von den Stimmen islamistischer Akteure abhängig - auch solchen der Muslimbrüder. Auch aus diesem Grund stehen Saudi-Arabien und seine Verbündeten an der Seite von General Chalifa Haftar, dessen Truppen der Exilregierung in Tobruk verbunden sind.
Sollten sich die Türkei und Saudi-Arabien nun aufeinander zubewegen, tun sie dies in einer Phase außenpolitischer Ungewissheit. Denn noch ist nicht klar, welchen Kurs der neue US-Präsident Joe Biden gegenüber Saudi-Arabien einschlagen wird. Im US-Wahlkampf hatte er sich ausgesprochen kritisch über das Königreich geäußert. Wie sich das Verhältnis zwischen den beiden bisherigen Partnern künftig gestalten wird, ist derzeit offen.
Neue Töne gegenüber Israel
Auch zu Israel strebt die Türkei nach Jahren eines angespannten Verhältnisses offenbar bessere Beziehungen an. Wiederholt hatte Erdogan in den vergangenen Jahres seine Distanz zu Israel bekundet. Als US-Präsident Trump im Dezember 2017 erklärte, die USA würden Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen, reagierte Erdogan scharf. "Wir werden die gesamte islamische Welt in Bewegung setzen", erklärte er auf einem Sondergipfel der Organisation für islamische Zusammenarbeit in Istanbul.
Als Reaktion auf tödliche Zusammenstöße der israelischen Streitkräfte mit palästinensischen Demonstranten verwies die Türkei den israelischen Botschafter des Landes. Israel forderte im Gegenzug den türkischen Gesandten auf, das Land zu verlassen.
Und als sich im Sommer andeutete, dass Israel und die VAE ihre Beziehungen normalisieren würden, drohte Erdogan, die diplomatischen Beziehungen mit den VAE zu kappen. Als Marokko Mitte Dezember vergangenen Jahres erklärte, Israel als Staat anerkennen zu wollen, beschränkte sich der türkische Außenminister Cavusoglu dann aber auf die Bemerkung, die Annäherung dürfte nicht zu Lasten der Palästinenser gehen.
Noch reagiert Israel auf die türkischen Annäherungssignale verhalten. Es gebe zwar eine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Neujustierung der beidseitigen Beziehungen, sagt der Politologe Hay Eytan Cohen Janarcak vom Jerusalemer Institut für Strategie und Sicherheit dem Polit-Magazin Al-Monitor. Dafür müssten aber drei Bedingungen erfüllt sein. "Israel möchte, dass der türkische Botschafter zurückkehrt. Israel erwartet, dass die Türkei die Hamas nicht mehr unterstützt und dass Erdogan Israel gegenüber keine feindlichen Erklärungen mehr abgibt."
© Deutsche Welle 2021
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