Vertrauen wieder herstellen
Es wurde auch höchste Zeit. Der Prozess gegen die Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe beginnt am 6. Mai, endlich. Nach einer jahrelangen Mordserie, mit Tätern, die sich selbst gerichtet haben, soll nun endlich Klarheit geschaffen werden. Und, noch wichtiger: Gerechtigkeit, mittels Urteil über die eine überlebende Straftäterin.
Klarheit über die tatsächlichen Tathergänge bei den Morden, Klarheit über die Täter – und die Täterin –, die Helfershelfer, die stummen Mitwisser. Klarheit über das politische Umfeld, das nach wie vor existiert. Klarheit über die mehr als dubiose Rolle vieler Behörden, die eigentlich für die Verfolgung dieser Straftaten zuständig waren, aber – wie es den Anschein hat – eher unterstützend als aufklärend wirkten. Klarheit über all diese auffälligen Zufälle, die dazu beitrugen, dass die Zwickauer Terrorzelle zehn Jahre lang unentdeckt morden konnte: geschredderte Akten, Spitzel, die Verdächtigte warnten, Verfassungsschützer, die unkontrolliert Gelder an Neonazis zahlten.
Und Gerechtigkeit soll hergestellt werden. Strafe für die Schuldigen, so denn sie noch am Leben sind, Bestrafung ihrer Helfer, Unterstützer und Mitwisser, Offenlegung des rechtsradikalen Sumpfes und seinen Verbindungen zu Politik und Beamten. Und auch das gehört zu Gerechtigkeit: Endlich ernsthafte Konsequenzen für die Behörden – Polizei, Verfassungsschutz und so weiter –, die Hinweisen nicht nachgingen und stattdessen die Opfer kriminalisierten.
Krise des Rechtsstaates
Angesichts eines rassistisch motivierten Serienmordes sind Aufklärung und Gerechtigkeit nicht zu viel verlangt, und dennoch: die Erwartungen sind zu hoch gesteckt. Dieser Prozess soll alles leisten, ersetzen und aufholen, was in der Vergangenheit versäumt oder verspielt wurde. Das ist unmöglich.
Die jahrelange Untätigkeit der Behörden, die rassistisch motivierte Verdächtigung der Verwandten der Opfer, die Vertuschung der Fehler auf Seiten der Polizei und des Verfassungsschutzes, die Vorverurteilung der Opfer durch die Presse – all dies hat eine tiefe Krise bei den ethnischen Minderheiten in Deutschland ausgelöst. Das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat – den gerade viele türkischstämmige Einwanderer hatten, die die Türkei noch als Militärstaat kennen – ist zutiefst erschüttert; wie tief, kann nur die Zukunft zeigen.
Der Eindruck, dass die deutsche Polizei Morde an Migranten nicht so wichtig nimmt, ist nicht irrational, sondern ein Fazit, zu dem man zwangsläufig kommt, wenn man die vielen Ermittlungspannen und die systematische Kriminalisierung der Opfer betrachtet.
Es ist äußerst wichtig, dass dieser Prozess die überfällige Klarheit und Gerechtigkeit betreffs der NSU-Mordserie schafft, aber neues Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat und die deutsche Gerichtsbarkeit zu schaffen, das kann ein Prozess allein nicht leisten.
Schutz von Leib und Leben
Auf der symbolischen Ebene jedoch kann man vieles ausgleichen. Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit können nicht ungeschehen gemacht werden, aber eine gute Absicht zu zeigen, den klaren Willen, Dinge in Zukunft besser zu machen – dies könnte der Prozess durchaus leisten.
Dafür muss man sich jedoch der politischen Dimension bewusst sein. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein, wie die fehlende Sensibilität des Oberlandesgerichts München bezüglich der Platzvergabe für ausländische Medien zeigt.
Sicher, man kann nach "Schema F" verfahren, so wie es leider häufig gemacht wird. Zugegeben, ein Gericht sollte unabhängig bleiben und sich nicht öffentlichem Druck beugen.
Aber ein Gericht sollte sich auch der politischen Dimension bestimmter Prozesse bewusst sein und entsprechende Maßnahmen ergreifen – und zwar im Vorfeld, und nicht erst dann, wenn man mit beiden Füßen in allen Fettnäpfchen steht. Kam es für das Oberlandesgericht München wirklich so überraschend, dass türkische Medien den Prozess vor Ort verfolgen wollten? Wäre es nicht möglich gewesen, auf die internationalen Irritationen flexibel zu reagieren, als ein weiteres Mal zu zeigen, dass bürokratische Verfahrensweisen Vorrang haben vor den Belangen der ethnischen Minderheiten?
Kein Prozess wie jeder andere
Dies ist kein Prozess wie jeder andere. Es ist ein politischer Prozess, aber nicht nur, weil es um Neonazis geht, die aus ideologischen Gründen, aus tiefstem Rassismus heraus, ihnen unbekannte türkisch- und griechischstämmige Männer ermordeten.
Es ist vor allem ein politischer Prozess, weil hier auf die drastischste Weise den ethnischen Minderheiten in Deutschland gezeigt wird, ob ihr Leib und Leben kompromisslos geschützt wird oder nicht. Ob nicht nur die Mörder bestraft werden, sondern auch deren Unterstützer.
Und auch diejenigen, die diese Mordserie über Jahre hinweg haben geschehen lassen: Die Polizei, die offenbar auf dem rechten Auge blind war. Die Beamten, die entscheidende Akten schredderten. Die Behörden, die gut bezahlte Verbindungsmänner in die Neonazi-Szene schleusten. Bei diesem Prozess geht es nicht nur – und nicht einmal hauptsächlich – darum, ob Beate Zschäpe mutmaßlich eine Mörderin ist oder nicht.
Es geht um ein Signal an die ethnischen Minderheiten in Deutschland, sich in Zukunft wieder sicher fühlen zu können. Egal welche Migrationsgeschichte oder Hautfarbe jemand hat, der deutsche Staat schützt unser Leib und Leben, wie bei jedem anderen Bürger auch. Dafür muss man diesen Prozess offen, fair, nach allen Regeln der Gerichtsbarkeit, aber auch mit politischem Fingerspitzengefühl führen. Und alle – und zwar wirklich alle – Verantwortlichen für die Verbrechen müssen bestraft werden.
Dieses Zeichen ist auch ein Signal an die internationale Gemeinschaft: Wann immer Neonazis hier ihr Unwesen treiben – der deutsche Rechtsstaat wird sie und ihre Unterstützer mit aller Härte verfolgen. Keine andere Botschaft sollte in Deutschland möglich sein.
Sheila Mysorekar
© Qantara.de 2013
Die Journalistin Sheila Mysorekar wuchs in Indien und Deutschland auf und war elf Jahre lang als freie Korrespondentin für die ARD in Argentinien tätig. 2008 veröffentlichte sie gemeinsam mit dem Kabarettisten Fatih Çevikkollu das Buch "Der Moslem-TÜV".
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de