Wilhelms Wallfahrt
Schluss mit lustig. Nach Erscheinen der "Palästina-Nummer" galt es im Kaiserreich ein Exempel zu statuieren. 1898 wurden gegen den Verleger Albert Langen, den Karikaturisten Thomas Theodor Heine und den Lyriker Frank Wedekind Haftbefehle wegen "Majestätsbeleidigung" erlassen, ein Gesetz heute in Abwandlung bekannt unter dem Namen Paragraph 103 des deutschen Strafgesetzbuches.
Schon als der deutsche Kaiserhof im Frühjahr 1868 mit den konkreten Vorbereitungen der Pilgerfahrt des Kaiserpaares in das Heilige Land begann, wurde dies von wilden Spekulationen seitens der internationalen Presse begleitet. So mutmaßten französische Zeitungen, dass der deutsche Kaiser gar die französischen Ansprüche auf Palästina in Zweifel ziehen wolle oder einen Flottenstützpunkt in Haifa plane.
Auf den Spuren der Väter
Der deutsche Kaiserhof wurde indes nicht müde, den privaten Charakter der Reise zu betonen. Wilhelm II. wollte den Spuren seines Vaters und Großvaters folgen, die ebenfalls Palästina und die Heiligen Stätten besucht hatten. Zudem galt es, die Erlöserkirche in Jerusalem, deren Bau von Wilhelms Vater Friedrich III. initiiert worden war, einzuweihen.
So reiste das deutsche Kaiserpaar im Oktober desselben Jahres über Konstantinopel nach Palästina, besuchte die deutschen Aussiedler in der Region, verweilte im deutschen Konsulat in Haifa, besuchte Betlehem und weihte schließlich die neue Kirche Jerusalems ein. Zwar versicherte Wilhelm II. den in Palästina lebenden Deutschen seine Solidarität und seinen Schutz, doch abgesehen von einem kurzen Treffen mit dem osmanischen Sultan Abdülhamid in Konstantinopel war die Reise unpolitisch.
Dies merkte auch Theodor Herzl, der mit einer Delegation von Gleichgesinnten beim deutschen Kaiser vorsprach und versuchte, ihn für die zionistische Idee eines jüdischen Staates in Palästina zu gewinnen. Auch hier versicherte Wilhelm II. seine Bewunderung und Unterstützung für die Leistungen der jüdischen Siedler, aber das Bündnis des deutschen Kaiserreichs mit dem Osmanischen Reich war außenpolitisch viel zu wichtig, als dass er Herzls Idee auch nur länger erwog.
Zurück in Berlin begann man bald die Palästina-Reise des Kaiserpaares durch Postkarten, Prachtausgaben und sogar Kinderbücher zu mystifizieren. Schließlich war Wilhelm II. der erste deutsche Kaiser seit 670 Jahren, der als Kaiser das Heilige Land besucht hatte. Der vorherige war der legendäre Stauferkaiser Friedrich II. gewesen, während Wilhelms direkte Vorfahren es lediglich als Kronprinzen in den Nahen Osten geschafft hatten.
Vom Mythos zum Skandal
Gegen eben diesen Mythos richtete sich der Spott der Satirezeitschrift "Simplicissimus". Nur wenige Jahre zuvor von Albert Langen gegründet, entwickelte sich bald aus der braven Literaturrevue ein bissiges Satireblatt. Bevorzugte Ziele des "Simplicissimus" waren neben der wilhelminischen Politik vor allem die für diese Epoche so charakteristische konservativ, militaristische Gesellschaft.
Mit Zensurbehörden im Allgemeinen hatte der "Simplicissimus" schon früh Bekanntschaft gemacht. So verbot der österreichische Staat, wo die Zeitschrift ebenfalls erschien, bereits die vierte Ausgabe, da Langen ein Gedicht von Georg Herwegh, einem der Wortführer der Revolution 1848/49 und späterem Mitbegründer des Deutschen Arbeiter Vereins, abdruckte. Trotzdem wunderten sich die Zeitgenossen und nicht zuletzt die Macher der Zeitschrift, wie weit sie bisweilen mit ihrer Satire gehen konnten.
In der "Palästina-Nummer" hingegen machten sie sich über das Staatsoberhaupt direkt lustig. Das Cover zeigt eine Karikatur von Thomas Theodor Heine, die einen sich vor Lachen krümmenden Kaiser Friedrich Barbarossa zeigt, der eine preußische Pickelhaube in der Hand hält, während der neben ihm stehende Kreuzritter Gottfried von Boullion diesen mit den Worten "Lach nicht so dreckig, Barbarossa! Unsere Kreuzzüge hatten doch eigentlich auch keinen Zweck." tadelt. Dem nicht genug, verspottete Frank Wedekind die Kreuzfahrerallüren und die Eitelkeit des deutschen Kaisers in dem Gedicht "Im Heiligen Land".
Eine derart direkte Verhöhnung des deutschen Kaisers wollte der Staat nicht zulassen und schon kurz nach Veröffentlichung wurde die Ausgabe konfisziert und verboten. Zudem erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen den Herausgeber Albert Langen, den Karikaturisten Thomas Theodor Heine und Unbekannt, da Frank Wedekind sein Gedicht mit einem Pseudonym unterzeichnet hatte. Der Vorwurf lautete "Majestätsbeleidigung".
Während Heine sich den Behörden stellte und Langen über Zürich nach Paris floh, wurde Wedekind erst nach einer Durchsuchung der Redaktionsräume des "Simplicissimus" in München enttarnt. Doch auch ihm gelang die Flucht über Österreich nach Paris. Von Gewissenbissen geplagt entschied sich jedoch auch Wedekind bald, nach Deutschland zurückzukehren und sich den Behörden zu stellen. Dort wurde er, wie Heine, der Majestätsbeleidigung für schuldig befunden und zu Festungshaft verurteilt, die beide auf der Festung Königstein in Sachsen verbrachten.
Während Wedekind und Heine nach etwa sechs Monaten begnadigt wurden, verbrachte Langen bis 1903 im Pariser Exil und durfte erst nach der Zahlung von 30.000 Mark nach Deutschland zurückkehren. Alle drei wurden durch den Skandal um die "Palästina-Nummer" zu Legenden der deutschen Zeitungsgeschichte, während sich die Auflage des "Simplicissimus" verdoppelte.
Christine Pfeilschifter
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