Eine Lektion für die Mächtigen und Entmachteten
Die iranischen Wahlen zum Parlament und zum Expertenrat vom vergangenen Freitag werden die iranische Politik wohl nachhaltig prägen. Zugegeben, dies hört sich zunächst übertrieben an. Denn man könnte einwenden, das Parlament im Iran sei doch nicht der Ort, wo wirklich über Grundlegendes entschieden wird. Außerdem verfügten die gewählten Reformer und moderaten Kräfte über keinen ernsthaften Plan, die zahlreichen Probleme der iranischen Gesellschaft zu beseitigen.
Diese Argumente sind zweifelsohne richtig. Man könnte sogar noch hinzufügen, dass diese gewählten moderaten Kräfte oder Reformer auch keineswegs die Islamische Republik in ihren Grundfesten ändern wollen, denn sie waren ja selbst die Architekten und Diener des Gottesstaates - und sie sind es noch bis heute. Eine politische Kehrtwende ist von ihnen daher nicht zu erwarten. Und ohne einen radikalen Wandel der Innen- und Außenpolitik ist ein Ende der iranischen Misere nicht in Sicht. Wahlen sind im Iran nicht ein Prozess zur Bestimmung von Führungspersonen mit umfassenden Entscheidungsgewalten. Darin sind sich alle Beobachter einig. Dennoch waren die vergangenen Wahlen eine lehrreiche Lektion für alle Iraner – sowohl für die Mächtigen als auch die Ohnmächtigen des Landes.
Schallende Ohrfeige für Khamenei
Allen voran für den mächtigsten Mann des Landes, Ayatollah Ali Khamenei. Er musste bei den Wahlen erneut erfahren, dass die Mehrheit der Iraner nicht hinter ihm steht. Mehrfach hatte er sich im Verlauf des einwöchigen Wahlkampfes ohne Umschweife für die radikalen Kräfte eingesetzt und sie offen unterstützt. Die offizielle Parteinahme wurde tausendfach von den offiziellen Medien orchestriert.
Doch die Iraner wählten mehrheitlich anders als Khamenei sich dies gewünscht hatte. Die Wahlen waren daher für ihn eine besonders schmerzliche und persönliche Niederlage. Trotz der allumfassenden Kontrolle der wichtigsten Medien des Landes und fast aller Freitagprediger, die Khameneis Worte in den entlegensten Moscheen des Landes dem Volke zu erklären versuchten, fiel die Wahl nicht auf die Favoriten des Revolutionsführers.
Der Revolutionsführer bleibt hart
Hat Khamenei aus dieser Niederlage gelernt? Schwer zu sagen, denn es ist ja nicht das erste Mal, dass die iranische Bevölkerung anders votierte als ihm recht war. Das beste Beispiel lieferte wohl die Parlamentswahl des Jahres 2009. Khamenei stand damals auf Ahmadinedschads Seite, was schließlich zur größten innenpolitischen Krise des Landes führte. Und diese Narben von einst sind noch immer nicht verheilt. Die beiden anderen damaligen Präsidentschaftskandidaten, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi, stehen noch immer unter Hausarrest. Die beiden Dissidenten hatten dem Regime damals Manipulationen der Präsidentenwahl vorgeworfen, bei der Mahmud Ahmadinedschad schließlich wiedergewählt worden war.
Wie Khamenei nun mit dem jetzigen Wahlausgang umgehen wird, werden die kommenden Monate und Jahre zeigen. Mächtig genug ist er jedenfalls, das Blatt stets so zu wenden, wie und wann es ihm beliebt. Aus der Teheraner Tageszeitung "Keyhan", der Hauspostille Khameneis, konnte man am vergangenen Montag aus einem Leitartikel entnehmen: "Seid nicht so selbstgewiss und bildet Euch nichts ein! Denn die Politik des Landes wird gemäß Verfassung und Wortlaut der Religion immer noch vom Revolutionsführer bestimmt. Wie, das werden wir in den nächsten Jahren erfahren, falls er dann noch lebt, denn er soll offenbar krebskrank sein".
Ein Sieg auf Pump
Auch Präsident Rohani, der landauf, landab als Sieger dieser Wahl gefeiert wird, kann einiges von diesem Urnengang lernen. Er weiß, dass dieser Sieg ohne das Zutun der jüngeren Generation undenkbar gewesen wäre. Die iranische Jugend, die internetaffin und aktiv in den sozialen Netzwerken ist, wünscht sich nichts Sehnlicheres als ein Leben mit Job und ohne Bevormundung. Universitätsabsolventen gibt es im Iran heute viele, manche sagen sogar zu viele. Doch die Hälfte von ihnen ist arbeitslos.
Es waren vor allem junge Frauen aus den iranischen Großstädten, die dieses Mal offenbar mehrheitlich jene Liste und Kandidaten gewählt haben, die Rohani nahe standen. Für diese Generation hat Rohani, seitdem er Präsident ist, jedoch nicht viel tun können – die radikalen Kräfte ließen das nicht zu. Auch war er vor allem mit dem Aushandeln des Atomabkommens zu sehr unter Beschlag genommen. Fest steht aber auch: Rohani wollte und konnte nie ein Reformer sein, auch wenn er sich selbst stets als moderat und gemäßigt bezeichnete.
Die jüngere Generation
Doch ohne diese scheinbaren Reformer wäre dieser Sieg nicht denkbar. Ihre Galionsfigur ist der ehemalige Präsident Mohammad Khatami, dessen Bild und Name in den offiziellen Medien jedoch heute nicht erscheinen darf. Doch Khatami wandte sich über Youtube an die Öffentlichkeit und warnte vor den Folgen eines Wahlboykotts. Sein Clip verbreitete sich in Windeseile millionenfach im Land. Auch die Reformer haben durch diese Wahl lernen müssen, dass ein Boykott der Wahlen schädlich ist und eine Rückkehr zur Macht nur durch ein kompliziertes Bündnis möglich sein wird. Gewiss, es ist ein mühsamer Prozess, der viel Geduld erfordert. Und es ist fraglich, ob die jüngere Generation bereit ist, noch soviel Geduld aufzubringen.
Und noch eine allerletzte Lektion hält diese Wahl für die Iraner parat. Zweidrittel der jungen Iraner sind mit dem Internet und den sozialen Netzwerken bestens vertraut. Sie haben bei dieser Wahl gezeigt, dass auch im Iran die Zeiten der herkömmlichen Medien längst vorbei sind. Und wären die Umstände dieser Wahl andere gewesen, hätte man alle Kandidaten zugelassen, dann hätten wir in Hinblick auf das Wahlverhalten der jüngeren Generation wohl noch mehr Überraschungen erleben können.
Ali Sadrzadeh
© Qantara.de 2016
Ali Sadrzadeh wurde 1945 im iranischen Estahbanat geboren. Nach Abitur und Lehrerausbildung arbeitete er als Lehrer in Teheran. 1970 kam Sadrzadeh nach Deutschland, um dort Psychologie und Ingenieurwissenschaften in Kiel zu studieren und anschließend Germanistik und Politologie in Frankfurt. 1980 kehrte Ali Sadrzadeh in den Iran zurück. Er arbeitete für u.a. für die Deutsche Presse-Agentur und die Frankfurter Rundschau. Er war von 1990 bis 1994 ARD-Korrespondent in Nordafrika.