Literaten sind wichtiger als Diplomaten

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In einer Welt, in der Übersetzungen immer wichtiger werden zum Verständnis der Kulturen, gibt es auf den Buchmärkten in Europa noch erhebliche Lücken. Das gilt auch für die Literaturen der arabischen Welt.

Von Peter Ripken

​​Dabei gab es für die Begegnung der Literaturen Europas und der arabischen Welt in der Vergangenheit durchaus Epochen, die von beiderseitige Anerkennung und Neugier geprägt waren.

Andalusien und Toledo, Ibn Rushd und Ibn Battuta stehen für die wechselseitige Durchdringung von Kulturen, ein keineswegs spannungsfreies, aber dennoch friedliches und fruchtbares Zusammenleben von arabisch-islamischen, christlichen und jüdischen Menschen, die sich auf verschiedene Weise der großen geistigen Traditionen Griechenlands und Roms zu vergewissern trachteten. Noch heute prägt ein wesentlicher Teil dieses Erbes auch die Zivilisation, die sich gerne als abendländisch versteht.

Lange literarische Beziehung

Die literarischen Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Europa haben eine große Vergangenheit, besonders als im 19. Jahrhundert begnadete Vermittler wie Friedrich Georg Rückert oder Joseph von Hammer-Purgstall wirkten oder J.W. Goethe durch seine Annäherung an den großen Hafiz Neugier auf den Orient weckte.

Das Erkenntnisinteresse dieser Philologen, die zugleich aus der idealistischen Philosophie-Tradition kamen, bestand darin, Völker und Kulturen aus ihrer Dichtung zu erkennen und Zusammenhänge geisteswissenschaftlich zu verstehen.

Zuvor hatte bereits die Übersetzung der Textsammlung, die allgemein als "Tausend und eine Nacht" bekannt geworden ist, durch den französischen Orientalisten Antoine Galland vor 300 Jahren eine wahre Orientalismus-Welle in Gang gesetzt, mit Übersetzungen der Version Gallands in viele europäische Sprachen.

Diese große Vergangenheit, in deren Schatten auch Annemarie Schimmel, die bedeutende Orientalistin des 20. Jahrhunderts, stand, ist längst einer mühsamen Alltagspraxis gewichen, an der auch gelegentliche Sonntagsreden oder große Colloquien nicht viel geändert haben.

Arabische Autoren kaum bekannt

Das Arabische wird zwar an Universitäten gepflegt, hat aber ansonsten in Deutschland und auch in anderen Ländern Europas trotz einer wachsenden Zahl von Arabophonen nur marginale Bedeutung. Noch immer gibt es nur wenige professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem Arabischen, auch wenn es in den letzten Jahren erfreulicherweise mehr wurden.

Bereits quantitativ ist Literatur aus der arabischen Welt auf den Buchmärkten Europas marginal. Nur wenige Autoren und Autorinnen haben es weltweit zu Anerkennung und Ruhm gebracht.

Zuerst ist natürlich Nagib Machfus, der ägyptische Nobelpreisträger, zu nennen, dann der in Paris lebende marokkanische Autor Tahar Ben Jelloun und die Friedenspreisträgerin des Jahres 2000, die Algerierin Assia Djebar, sowie der in Paris lebende Libanese Amin Maalouf. Ein Sonderfall ist der Libanese Khalil Gibran, dessen mystische Werke in zahlreichen Übersetzungen (zumeist aus dem Englischen) und hohen Auflagen bestimmte Erwartungen an lebensphilosophische Sentenzen zu bedienen scheinen.

Dass drei dieser erfolgreichen Autoren in Französisch schreiben, ist sicher kein Zufall. Nur wenige Autorinnen und Autoren aus der arabischen Welt haben in Deutschland die magische Grenze einer Auflage von mehr als 10.000 Exemplaren verkaufter Bücher überschritten.

Nur wenige sind in anderen Ländern Europas außerhalb der engen Kreise von Literaturwissenschaftlern und Kennern der Region bekannt, auch wenn sie von der Literaturkritik immer wieder gepriesen werden.

Doppelt so viele Sachbücher

Dass die literarischen Werke von Autorinnen und Autoren der arabischen Welt in Europa – von wenigen Ausnahmen abgesehen – so wenig beachtet werden, steht in deutlichem Kontrast zu dem Augenmerk, das den Problemen oder Konfliktlinien dieser Region gewidmet wird.

Zugespitzt formuliert: auf jedes in Übersetzung zugängliche literarische Werk kommen mindestens zwei Sachbücher, die sich in vermeintlichem oder tatsächlichem Expertentum verschiedenen Aspekten der Entwicklungen der Arabischen Welt zuwenden, z.B. dem ewigen Problem der Rolle des Islam in der arabischen Welt oder der Rolle der Frau in islamo-arabischen Gesellschaften, um nur zwei Dauerthemen zu erwähnen.

Die Mehrzahl dieser Bücher stammt zudem aus der Feder von Europäern, also nicht aus der arabischen Welt selbst. Seit dem 11. September 2001 hat diese schon vorher bedenkliche Tendenz besonders heftige Blüten produziert, so dass die Flut der Bücher über Terrorismus (natürlich oft falsch vor einem islamistischen Hintergrund) von Experten aus Europa kaum noch überschaubar ist.

Arabische Welt wird als Konfliktregion betrachtet

Im Schatten dieser Wahrnehmung einer Region als einer, in der Konflikte aller Art, die Abwesenheit von Demokratie und Entwicklung in den meisten arabischen Staaten und terroristische Anschläge die veröffentlichten Meinungen im Westen und damit auch die öffentliche Meinung bestimmen, haben es die literarischen Werke arabischer AutorInnen ziemlich schwer.

Das Erstaunliche ist hier freilich, dass es auf der einen Seite doch eine recht beachtliche Zahl von übersetzten Büchern von arabischen AutorInnen in Europa gibt, dass aber andererseits auf dem hart umkämpften Markt der Romane und Erzählungen AutorInnen aus der arabischen Welt kaum eine Rolle spielen.

Einige Zahlen können das veranschaulichen.

Derzeit sind etwas mehr als 500 belletristische Bücher in Deutschland von Autorinnen und Autoren aus der arabischen Welt lieferbar. Davon ist weniger als die Hälfte (nur etwas mehr als 200 Titel) aus dem Arabischen übersetzt; viele hingegen aus dem Französischen, zumeist von Autorinnen und Autoren aus dem Maghreb.

Arabische Literatur in europäischen Sprachen hat es leichter

Deutschland ist hier freilich ein Sonderfall: Es gibt viele Bücher von Autoren, die aus der arabischen Welt stammen aber gleich in Deutsch schreiben. Die erfolgreichsten der in Deutsch Schreibenden sind Rafik Schami, Salim Alafenisch und Ghazi Abdel-Qadir.

Die meisten übersetzten Autorinnen und Autoren stammen aus Ägypten (natürlich vorwiegend Nagib Machfus), dem Libanon, dann aber auch aus Syrien und Palästina (vornehmlich Sahar Khalifa). Für Syrien gibt es den Sonderfall des in Deutsch schreibenden Rafik Schami und für Libanon den Sonderfall des verstorbenen Khalil Gibran sowie für Palästina den des in Deutsch schreibenden Ghazi Abdel-Qadir.

Aber auch Übersetzungen aus dem Französischen von Autorinnen und Autoren aus Algerien (vornehmlich Assia Djebar und Rachid Boudjedra), und Marokko (dominierend Tahar Ben Jelloun) ragen hervor.

In den Niederlanden gibt es ein ähnliches Phänomen wie in Deutschland: einige meist aus dem Maghreb stammende Autoren schreiben durchaus erfolgreiche Romane in Niederländisch (aus dem dann wieder in andere Sprachen übersetzt wird, wie bei Abdelkader Benali).

Eine Reihe von Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga sind literarisch gesehen für Leserinnen und Leser in Europa nicht existent: Es gibt ganz einfach keine Übersetzungen.

Ein vorläufiges Fazit legt nahe: Arabische Literatur ist nicht nur in Arabisch geschriebene Literatur, sondern kommt in vielen Facetten und in mehreren Sprachen einher.

Erschreckende Zahlen

Man kann das Bild auch anders betrachten.
Mehr als 125.000 Titel (Romane, Bände mit Erzählungen oder Gedichten – etwa 40% davon Übersetzungen) kann der deutsche Leser derzeit in Buchhandlungen erwerben. Aber weniger als 0,3% der auf dem deutschsprachigen Buchmarkt lieferbaren belletristischen Bücher stammen aus der arabischen Welt.

Dass mehrere hundert Bücher von Autorinnen und Autoren aus der arabischen Welt irgendwann früher einmal ins Deutsche übersetzt wurden, aber heute nicht mehr lieferbar sind, ist da nur ein schwacher Trost.

Viele Übersetzungen werden gefördert

Kann mit kulturpolitischem Engagement etwas bewirkt werden, etwa durch die Förderung von Übersetzungen?

Das Übersetzungsförderungsprogramm der "Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika" begann 1984 in bescheidenem Umfang.

Seither erschienen mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und der Schweizer Kulturstiftung PRO HELVETIA 114 Übersetzungen von Büchern aus der arabischen Welt mit finanzieller Förderung, die Mehrzahl davon Übersetzungen aus dem Arabischen, darunter so bedeutsame Autoren wie frühe Übersetzungen von Nagib Machfus, Gamal al-Ghitani, Hanan al-Scheich, Adonis, Emil Habibi, Edwar al-Kharrat, Ibrahim al-Koni, Elias Khoury, Machmud Darwish und Abdalrachman Munif.

Da in dieser Zeit überhaupt weniger als 400 Übersetzungen aus der arabischen Welt im deutschsprachigen Raum erschienen, sind also mehr als 20 % der neuen Übersetzungen in dieser Zeit gefördert worden (alle geförderten Titel siehe: www.litprom.de).

Wichtig ist hier besonders, dass viele der geförderten Bücher erste Übersetzungen der Autoren waren. Auch viele Lyrikbände wurden gefördert, die es auf dem Markt durchweg noch schwerer haben als Romane. Das trug der Tatsache Rechnung, dass Poesie in der arabischen Welt ein wesentlich bedeutsameres Element moderner Literatur ist als das in Europa der Fall ist.

Die Situation in Deutschland ist kein Einzelphänomen.

Die Situation in Frankreich

In Frankreich sind Autorinnen und Autoren aus dem Maghreb weitgehend in den französischen Literaturbetrieb integriert, da die meisten auf Französisch schreiben. Arabophone Autorinnen und Autoren haben es hingegen sehr schwer, in Übersetzungen bemerkt zu werden, auch wenn französische Kulturpolitik besondere Anstrengungen in diesem Bereich unternommen hat. Die meisten Auflagen sind nicht sehr hoch.

Auch bei dem engagierten Verlag Actes Sud, der die von Pierre Bernard mit viel Hoffnungen gestartete Reihe Sindbad übernommen hat, sind Auflagen von mehr als 3.000 Exemplaren auch von so bedeutsamen Autoren wie Gamal al-Ghitani, Edwar al-Kharrat, Sonallah Ibrahim oder Elias Khoury eher selten. Elias Khoury erreichte mit La Porte du soleil (Bab as-shams), der auch verfilmt wurde, immerhin mehr als 10.000 Exemplare.

Dabei ist bemerkenswert, dass arabische Autoren auf den Seiten der großen literarischen Feuilletons (wie in Le Monde oder Libération) durchaus umfänglich gewürdigt werden, ohne dass dies Folgen hat für die Auflagen und die Zahl der Leser. Dazu ist die Dominanz der in Französisch geschriebenen Literatur besonders aus dem Maghreb immer noch zu stark.

Immerhin kann der Herausgeber der Reihe Sindbad bei Actes Sud, der Syrer Farouk Mardam-Bey, glaubwürdig den Anspruch erheben, dass die Reihe dazu beiträgt, das Bild der arabischen Welt durch die Übersetzungen aus dem Arabischen differenzierter darzustellen als es durch die aktuellen politischen Konflikte geschieht.

Nur wenige Autoren schreiben auf Englisch

In der englischsprachigen Welt ist die Situation noch schwieriger, weil es nur wenige AutorInnen gibt, die auf Englisch schreiben, also alles, was aus der arabischen Welt ein englischsprachiges Lesepublikum erreichen will, übersetzt werden muss.

Die eher kleineren Verlage, die sich hier engagiert haben (wie Garnet und Quartet Books in Großbritannien, oder in den USA Universitätsverlage wie Syracuse University Press sowie Interlink Press), erreichen keine großen Auflagen.

Immerhin vermittelt die Zeitschrift Banipal, die mit Beharrlichkeit moderne arabische Literatur in einer gutgemachten Zeitschrift präsentiert, ein breites Panorama dieser Literatur.

All diese Bemühungen laufen auf eines hinaus: eine Reihe von wichtigen Texten sind in Übersetzung verfügbar, auch wenn das große Publikum nicht erreicht wird und Reihen wie die von schreibenden Frauen aus der arabischen Welt (bei Garnet) bald wieder eingestellt wurden.

Es wäre um die Übersetzung zeitgenössischer Literatur der arabischen Welt ins Englische sehr viel schlechter bestellt, wenn es nicht das ambitionierte Programm der American University of Cairo Press gäbe, die seit vielen Jahren Übersetzungen wichtiger Werke ins Englische vorlegt und das Werk des Nobelpreisträgers Machfus weltweit betreut.

In anderen europäischen Ländern ist die Lage noch schwieriger

In Ländern, in denen jeder Text aus der arabischen Welt (ob in Arabisch oder Französisch oder Englisch geschrieben) übersetzt werden muss, ist die Lage – mit Ausnahme von Deutschland – alles andere als ermutigend.

In Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Italien, Polen, Russland oder Ungarn kennt man arabische AutorInnen im Wesentlichen nur dann, wenn sie im englisch- oder französischsprachigen Raum erfolgreich waren (oder einen bedeutsamen Preis erhalten haben).

Mitunter gibt es in einem Land Übersetzungen, die in anderen Ländern Europas unbekannt geblieben sind. Durchweg erscheinen die Übersetzungen in kleineren Verlagen, angeregt durch engagierte und kompetente Übersetzerinnen und Übersetzer, die zuweilen auch enge Verbindungen zu den auch wiederum nicht zahlreichen Islamwissenschaftlern oder Arabisten an Hochschulen haben.

Spanien ist auf Grund historisch enger Beziehungen zur arabischen Welt eher ein Sonderfall. Allerdings wird letztlich hier auch nur übersetzt, was einigermaßen Erfolg verspricht, nachdem immer wieder deutlich geworden ist, dass aus kulturpolitischen Gründen übersetzte Texte sich eben auch auf dem Buchmarkt behaupten müssen.

Eindeutig ist, dass es seit 1988 in ganz Europa eine Art Machfus-Effekt gegeben hat: durch den Nobelpreis für Literatur an den ägyptischen Autor ist es für die potentiellen Übersetzerinnen und Übersetzer arabischer Literatur leichter geworden ist, AutorInnen, die ihnen wichtig sind, auch bei (zumeist kleineren) Verlagen unterzubringen.

Kritik aus den arabischen Ländern

Dass es überwiegend engagierte Einzelne sind, die Übersetzungen arabischer Literatur bei Verlagen in Europa möglich machen, ist mitunter von arabischen Kritikern als eine Art europäischer Verschwörung angesehen worden.

Einerseits würde nur übersetzt, was diesen Übersetzerinnen und Übersetzern gefiele, was viele Autorinnen und Autoren aus der arabischen Welt ausschlösse. Auf der anderen Seite würde nur übersetzt, was dem europäischen Geschmack entspräche; die Auswahl der übersetzten Werke folge dabei einem Bild der arabischen Welt, das mit der arabischen Wirklichkeit (auch wie sie in der Literatur aufscheint) nichts zu tun habe.

Unbestritten ist freilich, dass Übersetzungen ohne Aussicht auf ein Lesepublikum eher akademische Übungen sind. Mit anderen Worten: es kommt nicht darauf an, dass übersetzt wird, was ägyptische oder syrische oder marokkanische Schriftsteller und Kritiker für übersetzenswert halten, sondern darauf, was Leser in Deutschland lesen wollen, um neue arabische Literatur kennen zu lernen

Denn ohne die engagierte Arbeit dieser Übersetzer, wie Stefan Weidner, einer der erfolgreichsten Übersetzer aus dem Arabischen in Deutschland, einmal bemerkte, gäbe es überhaupt keine arabische Literatur in westlichen Sprachen.

Warum gibt es eine solche Schieflage?

Offenkundig ist, dass die meisten Autorinnen und Autoren der arabischen Welt für ein arabisches Publikum schreiben. Ihnen ist ein Lesepublikum in Europa und international erfolgreiche Erzählstrategien, die besonders viele erfolgreiche US-amerikanische Autoren pflegen, ziemlich gleichgültig.

Vielleicht hat dieses Phänomen auch damit zu tun, dass es nicht gerade sehr viele Übersetzungen aus europäischen Literatursprachen ins Arabische gibt und dass viele arabische Autoren nicht gerade mit Begeisterung literarische Texte in Englisch oder Französisch lesen (von Deutsch, Schwedisch, Niederländisch, Italienisch oder Spanisch ganz zu schweigen), sie also auf Übersetzungen angewiesen sind.

Es ist kein Zufall, dass Tahar Ben Jelloun, Assia Djebar und Amin Maalouf, drei der erfolgreicheren Autoren aus der arabischen Welt, in Französisch schreiben und in Frankreich leben.

Häufig bestimmen Klischees den Erfolg

Es gibt allerdings auch deutliche Indizien dafür, dass europäische Verleger, aber auch Leserinnen und Leser ziemlich vorgefertigte und feste Meinungen darüber haben, worum es bei arabischer Literatur oder Literatur aus der arabischen Welt eigentlich gehen soll.

So hat sich ein Band mit dem reißerischen Titel "Hinter dem Schleier. Drei bewegende Lebensgeschichten" mit literarisch eher anspruchslosen Texten von Zaha Muhsen, Fadhma Aïth Mansour Amrouche und Djura (Heyne, München 1994) erheblich besser verkauft als die Autobiographie von Latifa al-Sajjat (Durchsuchungen. Eine Lebensgeschichte aus Ägypten. Übers. Hartmut Fähndrich, Lenos 1996), obwohl diese Autobiographie sehr viel mehr Einblick in arabische Lebenswelten bietet als die Texte der Algerierinnen.

Ohnehin scheint es notwendig zu sein, für literarisch anspruchsvolle und komplexe literarische Werke, die Welterfahrung in der islamisch-arabischen Welt nicht in gängige Klischees fassen, erheblich mehr Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten als für die Bücher, die bestimmte Vorurteile bedienen.

Das Thema 'Frauen' in der arabischen Welt

Leider sind aber gerade Bücher mit so genannten "Frauenthemen" diejenigen, die Klischeevorstellungen über die Frau im Islam befördern. Selbst noch dort, wo Autorinnen sich gegen falsche Zuschreibungen wehren, wo sie Geschichten erzählen, die sich gegen patriarchalische Strukturen artikulieren, unterliegen sie der Tendenz, dass es auf den europäischen Buchmärkten gewisse Moden gibt, die im übrigen nicht nur für Frauen im Islam gelten, aber dort besonders manifest werden.

War es seit einigen Jahren bis heute besonders der Schleier, der Texte von arabischen Frauen verkaufen half, so ist es in jüngster Zeit neben der Gewalt an Frauen besonders die Erotik in von Frauen geschriebenen Romanen, die leicht Verleger und Leserinnen finden.

Dabei wird natürlich aus Marketing-Gründen stark mit der verborgenen Identität der Autorinnen gespielt, so dass mitunter der Gedanke nahe liegt, dass es sich um Produkte handelt, die nur vorspiegeln, von Frauen aus der arabischen Welt geschrieben worden zu sein.

"Der Orient ist eine Erfindung des Westens" schrieb vor einigen Jahren der libanesische Essayist und Poet Abbas Beydoun in Anlehnung an die grundlegenden Analysen des unlängst verstorbenen Wissenschaftlers Edward Said in seinem Buch "Orientalism".

Das Kalkül mancher Verleger in Europa, die bestimmte Erwartungshaltungen von Leserinnen und Lesern bedienen wollen, wenn es um den Orient geht, kann freilich nur realisiert werden, wenn sie mit Autorinnen und Autoren zu tun haben, die sich darauf einlassen. Die wichtige Gruppe der Übersetzer, die sich der arabischen zeitgenössischen Literatur angenommen haben, ist jedenfalls an dieser Tendenz nicht beteiligt.

Weitere Gründe für die marginale Verbreitung

Weitere Faktoren, die die Rezeption arabischer Literatur auf den europäischen Märkten beeinträchtigen, kann ich hier nur summarisch ansprechen.

Es gibt zu wenige Rezensionen in den relevanten Feuilletons, z.T. weil es dort an Kompetenz fehlt, z.T. weil es an Kontinuität fehlt. Ausnahmen wie die FAZ, NZZ, Le Monde, Libération und El País bestätigen leider, dass das allgemeine Bild alles andere als erfreulich ist.

Es gibt kaum eine Tradition der öffentlichen literarisch-ästhetischen Auseinandersetzung mit der arabischen Literatur mehr. Die Universitäten verharren über weite Strecken in ihrem Elfenbeinturm, schauen zu viel in die Vergangenheit oder pflegen linguistische Studien.

Die öffentliche Beschäftigung mit zeitgenössischer Literatur bleibt die Ausnahme; auch pflegen die Hochschulen keine Kurse für literarische Übersetzer aus dem Arabischen anzubieten, sondern allenfalls für Übersetzer in den Bereichen Recht und Wirtschaft.

Da das Verlegen arabischer Literatur keine Aktivität ist, mit der sich viel Geld verdienen lässt, wird auch wenig geworben. Gemeinsame Anstrengungen aller Verlage mit arabischen Titeln im Programm sind in Deutschland und anderen Ländern kaum erkennbar. Auch der Salon Euro-Arabe du Livre, organisiert vom Institut du Monde Arabe in Paris, hat bisher kaum ein Publikum jenseits der bereits Überzeugten erreicht.

Arabische Poesie wird eher wahrgenommen

Erfreulich ist, dass die Zahl der Poesie-Festivals, auf denen wie selbstverständlich auch Poeten aus der arabischen Welt auftreten, und auch die Zahl der rein arabischen Poesie-Veranstaltungen überall in Europa in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.

Typischer aber ist leider ein Kontrast, der in Deutschland zu beobachten ist. Während die verdienstvolle zweisprachige Publikation DIWAN – Zeitschrift für arabische und deutsche Poesie, herausgegeben von Amal al-Jubouri, mit dem Überleben ringt, gibt es an zahlreichen Kiosken eine Zeitschrift mit dem Titel Orient, die sich fast ausschließlich dem Bauchtanz widmet.

Strukturen in der arabischen Welt nicht hilfreich

Auch in der arabischen Welt selbst gibt es Faktoren, die es nicht erleichtern, dass europäische Leser neugierig werden auf arabische Literatur.

Der Zustand des Verlagswesens und der Lesekultur in den meisten arabischen Ländern ist keineswegs so, dass belletristische Werke sehr erfolgreich sind. Kleine Auflagen sind bei literarisch anspruchsvollen Werken typisch. Nur wenige Verlage haben internationale Kontakte.

Viele Übersetzungen von Werken arabischer Autorinnen und Autoren in europäische Sprachen gehen an den arabischen Originalverlagen vorbei, werden arrangiert auf oftmals verschlungenen Pfaden durch engagierte Zwischenträger wie Übersetzer.

Überspitzt gilt: Arabische Literatur wird sich erst dann wirklich auf den Märkten Europas durchsetzen, wenn sie in der arabischen Welt gelesen und geschätzt wird. Leider wird sie überall in Europa oft nur dann wahrgenommen, wenn sie verboten wird und oft genug spielt dabei die Religion eine wichtige Rolle.

Kein Interesse an arabischen Märkten

Arabische Literatur ist nicht nur marginal auf den Buchmärkten Europas, die arabische Welt ist auch aus der Sicht der Strategien der großen Verlags- und Medien-Giganten marginal.

Mit Ausnahme des kleinen Segments der Technik- und Wissenschaftsverleger (und einiger französischer Verlage im Maghreb und im Libanon) - und natürlich des Fernsehens - ist nicht erkennbar, dass die "Großen" die arabischen Märkte erobern wollen.

Das ist vor allem deswegen erstaunlich, weil letzthin der Arab Human Development Report sehr deutlich gemacht hat, welche großen Märkte der Bildungssektor im Allgemeinen in der Arabischen Welt bieten kann.

Das bedeutet aber auch, dass die arabische Welt bis jetzt noch nicht in den Prozess des internationalen Austauschs von Übersetzungsrechten integriert ist.

Auch europäische Literatur in den arabischen Ländern wenig bekannt

Das hat Folgen: Besonders die Gruppe der Intellektuellen kann nicht in dem von ihnen erwünschten Maß auf Übersetzungen wichtiger Texte des Nordens ins Arabische zurückgreifen. Für die meisten Verleger der arabischen Welt sind die Verkaufschancen für intellektuell und literarisch anspruchsvolle Bücher von Autoren aus dem Norden nicht hinreichend, um das Risiko von Übersetzungen zu wagen.

Ohne Subvention funktioniert da wenig (und wenn etwas ohne Subvention funktioniert hat, weil der Autor z.B. weltbekannt oder Nobelpreisträger ist, die Übersetzung ins Arabische also vorhanden ist, taucht oft genug das Phänomen der Piraterie auf).

Welche Konsequenzen sich für den intellektuellen Diskurs ergeben, wenn ein großer Teil der modernen Denker, die die Diskurse in Europa und z.T. auch in Nordamerika beeinflussen, nicht in Übersetzungen ins Arabische verfügbar sind, ist genug Stoff für eine Debatte, die im Grunde schon vor vierzig Jahren begonnen, aber noch kein Ende gefunden hat.

Und die Konsequenz, dass ein erheblicher Teil der Diskurse in der arabischen Welt an uns in Europa vorübergeht, weil die einschlägigen Bücher und Aufsätze nicht übersetzt werden, ist gleichermaßen beträchtlich.

Ehrengast Arabische Welt

Die Arabische Welt ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2004. Dieser Auftritt ordnet sich ein in einen Zusammenhang, der die Beziehungen zwischen Europa und der Arabischen Welt seit langem bestimmt.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind tief greifende Konfliktlinien aufgetreten. Auch walten immer wieder erhebliche Missverständnisse. Eine kritische Analyse dessen, was war, ist unerlässlich für den Blick nach vorn, damit die Stimmen der Arabischen Welt sehr viel aufmerksamer gehört werden als das in den letzten Jahrzehnten geschah.

Die Poeten, Geschichtenerzähler und Romanciers spielen dabei eine wesentliche Rolle, vielleicht eine wichtigere als die Präsidenten, Minister und Diplomaten.

© Peter Ripken 2004

Peter Ripken ist Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika.