Angriff auf das freie Denken

Während die Unesco sich erst jetzt dazu hat durchringen können, einem in Teheran geplanten Hauptkongress zum Welttag der Philosophie ihre Schirmherrschaft zu entziehen, lenken internationale Boykottaufrufe den Blick auf die in Iran sich zusehends verschlechternde Lage der Geisteswissenschaften. Von Alessandro Topa

Ayatollah Mesbah Yazdi (Mitte) bei einem Gelehrtentreffen mit Präsident Ahmadinejad; Foto: AP
Vermeintlicher Weltphilosophie-Kongress in Teheran: Der Mentor Ahmadinejads, Ayatollah Mesbah Yazdi (Mitte), bezeichnete die Philosophie als "Antwort auf die vom Ausland importierten Zweifel".

​​ "Da Kriege im Geist der Menschen entstehen", so hebt die Präambel der Verfassung der 1945 gegründeten Unesco an, "muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden." Der Philosophie ist bei dieser Vorwärtsverteidigung von Frieden und Freiheit stets eine besondere Rolle als Advokatin der gemeinsamen Interessen der Menschheit zugekommen.

Als die Unesco 2008 beschloss, der Bewerbung der Islamischen Republik Iran den Zuschlag für die Organisation des Welttages der Philosophie 2010 zu geben, geschah dies zweifellos nicht nur in der Absicht, das reiche philosophische Erbe Irans – von Avicenna bis Mulla Sadra und darüber hinaus – bekannter zu machen, sondern auch aufgrund berechtigter Sorgen um die Intellektuellen eines zunehmend isolierten Landes.

Späte Einsicht

In der Teheraner Akademie für Weltweisheit und Philosophie begannen in Kooperation mit der Unesco bald schon die Vorbereitungen für einen Großkongress mit dem Oberthema "Philosophie: Theorie und Praxis".

Die Vorbereitungen liefen auch dann weiter, als im Zuge der Massenproteste des Sommers 2009 Hunderte Studenten in den staatlichen Repressionsapparat gerieten, gefoltert wurden und Dutzende ihr Leben verloren.

Unesco-Gebäude in Paris; Foto: dpa
Später Rückzug: Erst nach dem Boykottaufruf von führenden internationalen Intellektuellen setzte bei der Unesco ein Umdenken ein.

​​ Selbst die von Präsident Ahmadinejad dekretierte Installierung Gholam Ali Haddad-Adels als Kongressleiter alarmierte die Unesco zunächst nicht, obwohl der Regime-Apologet den innersten Kreisen der Machtelite angehört.

Erst Ende Oktober begann sich die Pariser Weltkulturbehörde, die den Philosophie-Tag seit 2005 jährlich an wechselnden zentralen Veranstaltungsorten ausrichtet, umzuorientieren. Zunächst wurde der als Hauptveranstaltung vorgesehene Kongress, der vom 22. bis zum 24. November in Teheran stattfinden wird, zu einem Kongress unter vielen anderen deklariert.

Am 9. November folgte dann der Rückzug mit der lapidaren Begründung, dass "die notwendigen Bedingungen nicht erfüllt worden seien, um die effektive Organisation einer internationalen Uno-Konferenz zu garantieren".

Kritik und Boykott

Der Tübinger Philosoph Otfried Höffe, der einen der Hauptvorträge hätte halten sollen, hatte sich nach der Einsetzung Haddad-Adels schon im Juli für einen Boykott des Kongresses ausgesprochen und zeigt sich enttäuscht darüber, dass seine Mahnungen so lange ohne jeden Widerhall blieben. Unterdessen sind westliche Befürworter einer Teilnahme rar geworden.

Plakat über Heidegger-Buch in Teheran; Foto: Roshanak Zangeneh
Ankündigung einer Diskussion in der Teheraner Universität zur persischen Übersetzung von Martin Heideggers Hauptwerk "Sein und Zeit": Welche ausländischen Philosophen werden nach der Zweiten Kulturrevolution wohl noch übersetzt und gelehrt?

​​ Die Kritik der Boykotteure begann im Januar 2010 mit einem offenen Brief des im kanadischen Exil lehrenden Philosophen Ramin Jahanbegloo an Irina Bokova, die Generaldirektorin der Unesco.

Was der 2006 im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftierte Iraner in diesem Brief anprangert, kennt der Teheraner Philosophiestudent Nima aus eigener Anschauung: "Die Situation an unseren Universitäten, insbesondere in den Geisteswissenschaften, weist nichts mehr auf, was in irgendeiner Weise mit freiem Denken oder einer kritischen Einstellung vereinbar wäre. Wir sind mit einer Terrorherrschaft konfrontiert, die inzwischen auch in den Köpfen der Studenten und Professoren haust und den freien Meinungsaustausch selbst im Seminar unmöglich macht."

"Theologie der Folter"

Der Philosoph und Publizist Mohammad-Reza Nikfar lebt und arbeitet in Deutschland. Mit einem Essay über die "Theologie der Folter" hat er für viel Diskussionsstoff in Iran gesorgt. Im Oktober hat er an einem Aufruf mitgewirkt, der sowohl von im Ausland lehrenden iranischen Professoren als auch von Studenten und Dozenten in Iran unterzeichnet worden ist.

"Der Weltphilosophie-Tag", so umreißt Nikfar das Kernargument des Boykottaufrufs, "wird missbraucht, wenn dieser der Propaganda eines Regimes dient, das systematisch den freien Gedankenaustausch verhindert und seit jeher Intellektuelle unterdrückt."

Hier sei nicht nur an prominente Fälle wie den 2007 in die USA emigrierten Mohsen Kadivar zu denken: "Wir erleben derzeit die vierte Filterungswelle im akademischen System des Landes", erläutert Nikfar.

Mohsen Kadivar; Foto: Diplomasi Iran/DW
Exilierter iranischer Reformtheologe Mohsen Kadivar: "Es heißt, die Geistlichen würden das Land regieren. Aber Fakt ist, dass nur ein ganz kleiner Prozentteil der Geistlichen das Land regiert", sagte er im Interview mit Qantara.de.

​​In der Frühphase der Revolution seien zunächst liberale und marxistische Professoren entfernt worden. Zu Beginn der 1990er Jahre habe das Regime dann die Verfechter einer historisierend-hermeneutischen Koranexegese wie Abdolkarim Soroush ins Visier genommen.

Mit dem Machtantritt Ahmadinejads kam es schließlich zu einer dritten Welle, in der Dutzende liberale Professoren frühpensioniert wurden. Was wir derzeit erleben, so Nikfar, gehe jedoch weit darüber hinaus. Es handele sich um einen "systematischen Angriff auf die Geisteswissenschaften".

Wie ein Sprecher des Kultusministeriums Ende Oktober mitteilte, steht die Revision zwölf "westlich geprägter" humanwissenschaftlicher Disziplinen bevor. Darunter sind Studiengänge in Kulturmanagement, Politikwissenschaft und Soziologie, die in Einklang mit den Lehren des Korans gebracht werden sollen.

Amir Sheikhzadegan, Soziologe an der Universität Freiburg i. Ü., verfolgt diese Prozesse in seiner Heimat genau: "Diese neue Kampagne wird an zwei Fronten geführt. Einerseits wird die Neueinführung dieser Fächer an Hochschulen von einer Bewilligung abhängig gemacht." Damit versuche man, die weitere Expansion solcher Fächer zu verhindern.

"Andererseits will man die bestehenden Fächer so umgestalten, dass von diesen weder inhaltlich noch personell Gefahren für das Regime ausgehen", sagt Sheikhzadegan. Es sei nicht ausgeschlossen, dass von Studierenden bei der Immatrikulation bald schon ein Treueschwur verlangt werde.

Enteignung der Philosophie

Dass auch und gerade die Philosophie verändert aus dieser "Zweiten Kulturrevolution" hervorgehen wird, zeichnet sich bereits deutlich im Vorfeld des vermeintlichen Weltphilosophie-Kongresses ab.

Gholam Ali Haddad-Adel; Foto: AP
Gholam Ali Haddad-Adel, Leiter des iranischen Weltphilosophie-Kongresses, ist Mitglied der "Zentralen Einrichtung für Kulturrevolution", die die Universitäten so umgestalten möchte, dass von ihnen keine inhaltliche und personelle Gefahren für das Regime ausgehen.

​​So wurde die "Philosophie" von Ayatollah Mesbah Yazdi, dem erzkonservativen spirituellen Mentor Ahmadinejads, im Rahmen eines Vorbereitungstreffens als "Antwort auf die vom Ausland importierten Zweifel" bezeichnet.

Die sogenannte Hauptversammlung für Islamische Philosophie, welcher mit Yazdi und mit Djavad Amoli, dem ehemaligen Freitagsprediger von Ghom, zwei Zentralfiguren der extremistischen Haghani-Schule vorsitzen, hat zunehmenden Einfluss auf die Planung des Kongresses genommen. Das spiegelt sich nicht nur in vermehrten Treffen der Kongressleitung mit Klerikern aus Ghom wider, sondern auch in der verblüffend hohen Anzahl angekündigter iranischer Vorträge, deren Begutachtung kurz vor Kongressbeginn noch ausstehen soll.

Politischer Druck und der Verdacht, dass der wahre Grund der schleppenden Begutachtung die Verschleierung einer Usurpation des Philosophie-Kongresses durch islamistische Theologen ist, haben die Unesco nun offenbar in vorletzter Sekunde dazu bewogen, sich aus Teheran zurückzuziehen.

Alessandro Topa

© Qantara.de 2010

Dr. Alessandro Topa ist derzeit Visiting Assistant Professor of Philosophy an der American University in Kairo.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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