Zwanzig Jahre des Leidens

Der tunesische Präsident Ben Ali putschte sich vor zwanzig Jahren an die Macht. Wirtschaftlich geht es den Tunesiern verhältnismäßig gut, aber politisch haben sie keine Rechte. Eine bittere Bilanz.

Von Mohammed Abbou

Wie schmerzvoll es ist, in einem Staat zu leben, der weder die Menschenrechte achtet, noch die Menschenwürde, für den politische Freiheit nur ein leerer Begriff ist, und der all seine Institutionen einzig dazu einsetzt, seine Bevölkerung zu unterdrücken, ohne dass er dafür von irgendjemandem zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Und wie schmerzhaft es für einen Intellektuellen ist, mitzuerleben, dass die Mehrheit der Bevölkerung von Furcht regiert wird, nur damit beschäftigt, den Unterhalt ihrer Familien zu sichern und persönliche Sicherheit und den größtmöglichen Eigennutz zu erlangen.

Wie traurig es ist, zu sehen, dass die Opposition trotz all ihrer Opfer es bisher nicht vermocht hat, die Tyrannei zu besiegen.

Eine schwache Opposition

Ein Staat, der die Herrschaft des Rechts nicht respektiert; ein Volk, das von Furcht beherrscht wird; eine schwache Opposition; dies ist das Ergebnis von 20 Jahren Regierungszeit des zweiten Präsidenten der Republik Tunesien.

Der Staat ist nötig, um die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten, um sicherzustellen, dass die Gerechtigkeit die persönliche Rachsucht ersetzt, um Gesetze zu machen und sicherzustellen, dass diese von den Bürgern (alle mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet) befolgt werden.

In Tunesien gebrauchen wir diese Definition oft als Referenz in unserem täglichen Leben. Doch sehen wir uns Institutionen gegenüber, die mehr oder weniger normal funktionieren. Wir sehen uns einem Sicherheitsapparat gegenüber, der bisweilen Kriminelle verfolgt und bestraft, bisweilen aber auch operiert wie eine kriminelle Bande, die Menschen bedroht, misshandelt und foltert ohne Respekt für die Gesetze, denen er eigentlich Geltung verschaffen soll.

Klima der Angst

Die Mächtigen im Lande bekommen einen Platz über dem Gesetz und sind niemandem Rechenschaft schuldig. Niemandem ist erlaubt, die Mächtigen zu kritisieren, oder die Korruption, derer sie sich schuldig machen, anzuprangern. Tut man es doch, landet man im Gefängnis. Dort geraten die Kritiker schnell in Vergessenheit und niemand hört mehr ihre Schreie. Und die vereinzelt geäußerte Kritik unserer westlichen Partnerstaaten interessiert auch niemanden.

Diese Institutionen werden zuweilen auch benutzt, um Oppositionelle zu verfolgen, die es wagen, das gegenwärtige Regime zu kritisieren. Diesen wird dann der Geldhahn zugedreht, ausgehungert und gedemütigt werden sie, damit sie es auch ja nie vergessen.

Auf der Straße werden sie angegriffen. Ihre Kinder werden belästigt. All dies zu dem einzigen Zweck, das Weiterbestehen des Regimes sicherzustellen und seine absolute Macht zu garantieren; eine Macht, deren Legitimität auf Wahlen beruht, die in einem Klima von Angst abgehalten werden.

Eine Minderheit von Wählern wird dabei dazu gezwungen, für die Regierung zu stimmen, indem sie in auffälliger Weise rote Wahlscheine in die Wahlurne werfen. Zur gleichen Zeit stimmen Wahlvorsteher für die Daheimgebliebenen ab und westlichen Partnern Tunesiens obliegt es, das Image unseres Landes im Ausland zu schönen.

Ein gelähmtes Volk

Das tunesische Regime verbreitet Angst unter seinen Bürgern, um seine eigene Macht zu stärken. Als ich die Zustände, die in Tunesien herrschen offen ansprach, brach ich ein Tabu, indem ich die Skandale und die herrschende Korruption anprangerte. Dies war der Zeitpunkt, als das Regime beschloss, meine Familie zu verfolgen. Dann warf es mich ins Gefängnis und demütigte mich.

Obwohl von verschiedenen Seiten meine Freilassung gefordert wurde, verlängerte die tunesische Regierung meine Inhaftierung so lange es ihnen nur irgend möglich war. Und dies keineswegs, weil ich einer Gruppe angehört hätte, die eine Bedrohung für das Regime sein könnte. Auch nicht, weil ich den Potentaten hätte vom Thron stürzen wollen, einen Thron, der von Blut und Tränen bedeckt ist.

Nein, der einzige Grund bestand darin, dass mich das Regime von diesem Tag an als Gegner ansah, der möglicherweise andere Teile der Gesellschaft "anstecken" könnte.

Und dies ist nur ein kleiner Teil dessen, was die Politik des Regimes seit 20 Jahren ausmacht. Eine Politik, die auch vom vorherigen Präsidenten verfolgt wurde.

Diese Politik der Angst und Einschüchterung (als ein Instrument des Regierens) ist zu einer Tradition geworden und wurde unter dem jetzigen Präsidenten verstärkt und ausgeweitet. Sie ist geradezu zu einer Wissenschaft gemacht worden mit sehr ausgefeilten Techniken. Die Macht der Regierung geht so weit, dass sie es sich leisten kann, sich ihrer Errungenschaften auf diesem Gebiet offen zu rühmen, damit die Bürger begreifen, wie unbarmherzig sie ist und gnadenlos im Kampf gegen die, von denen sie herausgefordert wird.

Und es bleibt nicht mehr nur bei Inhaftierungen und Folter; vielmehr werden nun auch ganze Familien in Sippenhaft genommen und ausgehungert. Wenn sich also jemand dem Kampf für die Sache der Freiheit verschrieben hat, muss er wissen, dass er auch seine Familie und seine Kinder dem Hunger aussetzt, dem Terror und der Trostlosigkeit.

Diese Regierung hat es mit ihrer Politik sehr weit gebracht und dafür gesorgt, dass eine Mehrheit des tunesischen Volkes inzwischen Angst hat, über Politik auch nur zu sprechen.

Gute Voraussetzungen für die Demokratie

Tunesien unterscheidet sich von anderen arabischen Staaten dadurch, dass es in ethnischer wie religiöser Hinsicht homogen ist. Die große Mehrheit der muslimischen Bevölkerung ist sunnitisch. Man findet deshalb in Tunesien keine Minderheit, die es besonders zu schützen gelte. Damit fällt eine in anderen arabischen Staaten sehr häufig anzutreffende Konfliktursache weg.

Die verschiedenen Zivilisationen, die nacheinander in Tunesien Fuß gefasst haben, wie auch die natürlichen und geographischen Charakteristika des Landes gaben ihm ein sanftes und tolerantes Temperament. Hinzukommt, dass es seit 50 Jahren mit einem konstanten Strom von Touristen rechnen konnte. Die Tunesier haben sich an die Touristen gewöhnt.

Nach wie vor profitieren die Tunesier auch vom hohen Bildungsniveau der Bürger, das noch aus der Zeit datiert, als sich Tunesien anschickte, unabhängig zu werden.

All diese Eigenschaften lassen Tunesien geradezu perfekt geeignet erscheinen, zu einer wirklichen Demokratie zu werden, wo dem Recht wieder Geltung verschafft wird, um allen Bürgern Würde, Freiheit und Fortschritt zu garantieren, ohne Furcht vor Spaltung des Landes oder Chaos.

Die tunesische Opposition ist sich dieser Tatsachen voll bewusst, doch hat sie noch keinen Weg gefunden, zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft zu werden. Nach wie vor ist sie gefangen im Spannungsfeld zwischen der Angst vor Repressalien und den eigenen ideologischen Differenzen (die von der Regierung nur zu gern verstärkt werden), was eine große Zahl von Bürgern davon abhält, sich der Opposition anzuschließen.

Dies ist die traurige Realität; es ist, als ob unser Traum sich weigere, Wirklichkeit zu werden.

Doch im Bewusstsein des Ernstes der Lage, angesichts der verschiedenen Bemühungen um eine Einigung der zerstrittenen politischen Lager und Denkschulen auf der einen Seite sowie ersten Anzeichen der Ablehnung des Regimes auf der anderen, sind wir weit davon entfernt, unseren Traum aufzugeben. Und dies trotz verstärkter Repressalien und der Stimmen, die Zweifel aufwerfen und von Mutlosigkeit zeugen.

Unsere Entschlossenheit und unser starker Wille wird uns zum Sieg führen und wenn es und selbst nicht gelingt, setzen wir all unser Vertrauen in unsere Kinder.

Mohammed Abbou

© Mohammed Abbou 2007

Der tunesische Dissident, Rechtsanwalt und Schriftsteller Mohammed Abbou wurde am 24. Juli 2007 aus der Haft in Le Kef, Tunesien, entlassen, wo er seit seiner Inhaftierung im März 2005 eingesessen hatte. Abbou war zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden, nachdem er die Folter in tunesischen Gefängnissen im Internet angeprangert hatte. Abbous Fall wurde zu einem Symbol für die besorgniserregende Lage der Menschenrechte in Tunesien.

Dieser Artikel wurde zuvor auf dem Magazin Babelmed publiziert.

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

Interview mit Mohammad Abbou:
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Der Menschenrechtler und Rechtsanwalt Mohammad Abbou wurde im April 2005 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem er hatte die Praxis der Folter in Tunesien kritisiert hatte. Jetzt kam er nach der Intervention des US-Außenministeriums und des französischen Präsidenten frei.

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