"Das tunesische Volk setzt auf Versöhnung!"
Der Menschenrechtler und Rechtsanwalt Mohammad Abbou wurde im April 2005 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem er hatte die Praxis der Folter in Tunesien kritisiert hatte. Jetzt kam er nach der Intervention des US-Außenministeriums und des französischen Präsidenten frei.
Zunächst einmal: Wie haben Sie die Begnadigung durch den tunesischen Präsidenten und die Haftentlassung aufgenommen?
Mohammad Abbou: Das war keine Begnadigung durch den Präsidenten, wie es von einigen behauptet wird. Der Haftentlassung lag ein polizeilicher Beschluss zugrunde. Außerdem wurde dieser Beschluss erlassen, nachdem ich mehr als zwei Drittel der Haftzeit verbüßt habe.
Meine Haftentlassung verdanke ich nicht den tunesischen Behörden, die mich weiterhin in Haft behalten wollten, um sich an mir und an all den unabhängigen Menschen, die für meine Freiheit gekämpft hatten, zu rächen. Es sind meine Anwaltskollegen, die gleich nach meiner Verschleppung und meiner Überstellung ins Gefängnis am 1. März 2005 eine große Kampagne für meine Entlassung lostraten. Die hatte sich auf weite Teile der tunesischen und der internationalen Zivilgesellschaft ausgeweitet. Viele tunesische und internationale Organisationen hatten sich über zwei Jahre für meinen Fall eingesetzt, bis ich meine Freiheit wieder bekam.
Haben Sie davon erfahren, dass sich am Ende der französische Präsident für Ihre Freilassung einsetzte?
Abbou: Ich habe dies erfahren. Deshalb nutze ich diese Gelegenheit, ihm, all den französischen Organisationen und dem französischen Volk meinen Dank auszusprechen. Außerdem möchte ich dem US-Außenministerium danken, das in einem offiziellen Schreiben meine Entlassung forderte. Die US-Botschaft in Tunesien hatte sich intensiv für mich eingesetzt. Zudem gilt mein Dank den internationalen Rechtsorganisationen, die mich vorbehaltlos verteidigt haben. Weiter möchte ich den gewissenhaften Menschen aus vielen Medienanstalten weltweit danken, die geholfen haben, den verfälschten Diskurs der tunesischen Regierung aufzudecken.
Befürchten Sie nicht, dass die tunesische Regierung Sie - wie viele andere Oppositionelle - beschuldigt, im Ausland um Unterstützung nachgesucht zu haben?
Abbou: Ich möchte eins klarstellen: Wenn tunesische Bürger keine staatliche Institutionen anrufen können, um ihre Rechte schützen und Gerechtigkeit walten zu lassen, und wenn besagte Institutionen instrumentalisiert werden, um politische Gegner kalt zu stellen und die Bürger ihrer Rechte zu berauben, dann muss es einen Ausweg aus einem solchen Missstand geben.
In solch einer Situation befanden schon Philosophen, dass ein Volk das Recht habe, Widerstand gegen die Diktatur zu leisten.
Wir wollten aber nicht, dass Tunesien in Gewalt und Anarchie versinkt. Das tunesische Volk setzt bekanntermaßen auf Versöhnung, auch wenn ihm die Demokratie vorenthalten wird, und dies obwohl es alle Voraussetzungen erfüllt, um in einer Demokratie zu leben.
Für uns kommt keine andere Alternative als der friedliche Widerstand in Frage. Allerdings unterdrückt die tunesische Regierung jedwede Form des friedlichen Widerstands.
Vor diesem Hintergrund bin ich keineswegs beschämt darüber, dass die Partner Tunesiens Druck ausüben, um einen Ausweg herbeizuführen. In diesem Fall geht es darum, die tunesische Regierung zu verpflichten, ihren Bürgern die ihnen zustehenden Rechte zu garantieren, die Verfassung und die damit einhergehenden Freiheiten zu respektieren sowie die internationalen Verträge einzuhalten, die Tunesien unterzeichnete.
Ich muss aber deutlich machen, dass besagter Druck seitens der Partner Tunesiens darauf beschränkt bleiben muss, Verfassungs- und Gesetzesbrüche sowie die Verletzung der Würde der Tunesier zu unterbinden.
Wir lehnen jede mögliche ausländische Einmischung ab, die der tunesischen Regierung etwas vorschreiben könnte, was der tunesischen Politik zuwiderläuft, unter der Voraussetzung, dass sie den Interessen des tunesischen Volkes entspricht.
Können Sie uns einen Eindruck von den Haftbedingungen geben?
Abbou: Ich habe schwierige Zeiten durchgemacht. Am 19. März 2006 trat ich in den Hungerstreik und forderte, dass man mich in eine Gefängniszelle zusammen mit den gewöhnlichen Häftlingen verlegt, weil die Regierung behauptete, dass es in Tunesien keine politischen Häftlinge gebe. Deshalb wollte ich wie jeder andere Häftling behandelt werden.
Meiner Forderung wurde jedoch nicht entsprochen. Stattdessen wurde ich damit bestraft, dass man mich mit Gewalt in die gleiche Zelle zurückbrachte. Am 9. Tag des 25-tägigen Hungerstreiks wurde ich trotz meines sich verschlechternden Gesundheitszustandes gezwungen, die Zelle zu verlassen, um bei der täglichen Zählung der Häftlinge anwesend zu sein.
Auch der Gefängnisarzt, an den ich mich deswegen gewandt hatte, behauptete in Anwesenheit der Gefängniswärter, dass mein Gesundheitszustand dadurch nicht beeinträchtigt werde. Dies war unethisch und äußerst inhuman.
Außerdem verzichtete ich aus Solidarität mit den übrigen Häftlingen, die in Zellen ohne Matratzen einsaßen, auf meine eigene Matratze, was mir jedoch Nierenbeschwerden verursachte.
Dieses Problem wäre ziemlich einfach zu beheben gewesen, wenn man meiner Bitte gefolgt wäre. Doch mein Gesuch wurde abgeschmettert. So musste ich auf diese schmerzhafte und ungesunde Weise ein Jahr und vier Monate schlafen.
Ich wünsche mir, dass derartige Praktiken gegenüber der tunesischen Bevölkerung aufhören. Sie verdient einen würdevolleren Umgang.
Gab es während Ihrer Haft Versuche seitens der Behörden, Sie zur Stellung eines Gnadengesuchs zu bewegen und Ihnen den Artikel, der letztlich der Grund für Ihre Verhaftung war, zu verzeihen?
Abbou: Solche Versuche unternahmen Personen, die den Behörden nahe standen. Auch ein Mithäftling war von den Behörden damit beauftragt worden. Es gab auch weitere niederträchtige Versuche, die stets an meine Haftentlassung geknüpft wurden. Ich lehnte alle ab, und zwar nicht nur, um meine Würde zu wahren und auf mein Recht auf Meinungsäußerung zu pochen, sondern auch um das tunesische Volk durch mich nicht zu demütigen.
Was halten Sie vom Appell des tunesischen Präsidenten Ben Ali an das tunesische Volk, seine Amtszeit ab 2009 um weitere fünf Jahre zu verlängern?
Abbou: Ich bin der Meinung, dass Machtwechsel zu den tragenden Säulen eines demokratischen Systems gehört. Die Machtergreifung im Jahre 1987 durch Präsident Ben Ali wurde von den Menschen, die unter dem Diktator Bourguiba und der lebenslangen Präsidentschaft gelitten hatten, deshalb begrüßt, weil der Präsident in der Erklärung vom 7. November 1987 den Bruch mit der bisherigen Diktatur versprach.
Das Versprechen wurde aber nicht gehalten, obwohl die tunesische Verfassung seit 1988 vorsieht, dass der Staatspräsident nicht öfter als zweimal für die Präsidentschaftswahlen kandidieren darf. Nach der Volksabstimmung im Jahre 2002 wurde jedoch die Verfassung dahingehend geändert, dass der 73-jährige Präsident für die Präsidentschaftswahlen 2009 nach einer 22-jährigen Amtszeit wieder kandidieren darf.
Das ist ein Zustand wie zu Zeiten von Bourguiba. Jeder kennt die Gefahren, denen das Land in den achtziger Jahren aufgrund der damaligen Situation ausgesetzt war. Daher glaube ich, dass keine demokratischen Strukturen – weder in Tunesien noch in irgendeinem anderen Land – aufgebaut werden können, solange es eine lebenslange Präsidentschaft gibt.
Interview: Salim Boukhdhir
Aus dem Arabischen von Raoua Allaoui
© Qantara.de 2007
Salim Boukhdhir ist tunesischer Schriftsteller und Journalist.
Qantara.de
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