Sehnsucht nach der verlorenen Heimat

Mit dem Comic "Persepolis" über ihre Jugend im Iran sorgte Marjane Satrapi vor elf Jahren für Furore. Der gleichnamige Film begeisterte Millionen. Nun legt sie filmisch nach und spricht über Sehnsucht nach der Heimat. Kathrin Erdmann berichtet.

Von Kathrin Erdmann

Ihr herzförmiger Mund ist knallrot geschminkt, die Augenbrauen zeigen theatralisch nach oben. "Und meine schwarzen Haare sind getönt", sagt Marjane Satrapi lachend. "Stellen Sie sich nur vor: zu diesem Gesicht noch graue Haare. Dann sehe ich aus wie der Teufel."

Die 41-Jährige Comiczeichnerin verzieht das Gesicht zu einer Fratze und lacht noch einmal herzlich. "Ich lebe gern", sagt sie. "Jeden Morgen wache ich mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf, und man braucht wirklich viel und lange, um mich unglücklich zu machen." Glücklich sieht Satrapi vermutlich auch deshalb aus, weil sie eine Zigarette in der Hand hält. Rauchen tue ihr gut, das könne jeder sehen, sagt sie augenzwinkernd:

"Ich denke, Rauch konserviert. Sie wissen doch, Fleisch wird doch auch geräuchert, um es zu konservieren. Deswegen habe ich wohl noch keine Falten." Obwohl die gebürtige Iranerin seit Jahren erfolgreich ist, wirkt sie kein bisschen abgehoben, kann über sich selbst lachen.

Buchcover der engl. Ausgabe von Huhn mit Pflaume
In Satrapis gleichnamigen Film zum Buch erzählt sie in märchenhaft-verspielten Bildern zusammen mit Vincent Paronnaud von einem unglücklichen Musiker ("James Bond"-Bösewicht Mathieu Amalric), der Ende der 1950er Jahre in Teheran lebt.

​​Sie ist nach Hamburg gekommen, um ihren neuen Film "Huhn mit Pflaumen" vorzustellen. Der spielt im Teheran der 1950er Jahre. Satrapi hat da noch nicht gelebt, "dennoch inspiriert mich die Zeit sehr". Damals, als Premierminister Mossadegh die Öleinnahmen verstaatlicht habe, sei so etwas wie Demokratie durch das Land geweht. Doch dann jagten Amerikaner und Briten den beliebten Politiker aus dem Land, der Aufbruch war dahin.

Alte Blume, neue Erde

"Durch dieses Ereignis haben die Iraner etwas verloren", sagt Satrapi. Das sei die eine Seite des Films, die andere handelt von der unglücklichen Liebe eines Geigenspielers zu einer Frau namens Irane. Satrapi unterstreicht damit ihre eigene Sehnsucht nach der verlorenen Heimat. Während des Irak-Krieges hatten ihre Eltern sie nach Österreich geschickt, später ging sie endgültig nach Frankreich, seit 1994 wohnt sie hier dauerhaft: "Das ist so, als würden sie eine Pflanze aus der Erde nehmen und in eine Vase stellen. Wie gut sie die Blume auch pflegen, sie ist an ihre Heimaterde gewöhnt."

Die Erinnerungen an Teheran sind die ihrer Jugend: Die 5.000-6.000 Meter hohen Berge, die schneebedeckten Spitzen, die Umweltverschmutzung, bestimmte Geräusche und das Essen. "Mein Magen hat drei Jahre gebraucht, bis er das französische Essen richtig verdauen konnte."

Die Freiheit im Exil

Nach dem Riesenerfolg des Comics "Persepolis" im Jahr 2000 und dem anschließenden Film ist die Zeichnerin, Regisseurin und Drehbuchautorin gefragt wie nie. Längst hat sie die französische Staatsbürgerschaft angenommen, doch zur französischen Gesellschaft fühlt sie sich nicht zugehörig, sie will es auch nicht: "Ich habe nie das Gefühl gehabt, Teil irgendeiner Gesellschaft zu sein. Hier bin ich, und um mich herum sind meine Freunde, und das ist mein Leben. Ich lebe wie unter einer Glocke."

Scan aus Persepolis, Comic von Marjane Satrapi
Marjane Satrapis Debütwerk "Persepolis" handelt von ihrer Kindheit im Iran - vom Beginn der Islamischen Revolution bis zum Beginn des 1. Golfkriegs.

​​Sie hat ihr Leben so gewählt. Den Iran hat sie verlassen, als sie merkte, dass für systemkritische Menschen im Iran kein Platz ist. Für sie gab es keine Alternative: "Ich zolle jenen Menschen, die weiterhin im Iran leben, großen Respekt. Ich könnte das nicht. Ich brauche meine Freiheit. Ohne sie bin ich schlecht gelaunt und werde aggressiv."

Der iranische Frühling

Schon lange traut sie sich nicht in den Iran zurück, "weil man nie weiß, ob man dort wieder rauskommt". Zugleich beobachtet sie genau, was in ihrer Heimat passiert und hält die Entwicklungen dort für weitreichender als in den arabischen Staaten. "Alle reden vom arabischen Frühling, doch den kann ich ehrlich gesagt nicht erkennen, wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe." Stets habe sie nur Männer bei den Straßenprotesten gesehen, sagt sie jetzt sehr ernst. Gleichberechtigung sei aber die Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung.

Der Iran sei bei diesem Thema deutlich weiter als andere arabische Staaten. Im Iran würden die Frauen gemeinsam mit den Männern protestieren, sie würden studieren, arbeiten und ließen sich nichts mehr von den Männern sagen. "Hier passiert wirklich etwas Grundlegendes, die Gesellschaft verändert sich von unten", sagt Satrapi sichtlich stolz. Sie ist sich sicher, dass sie eines Tages heimkehren wird. Und sei es nur, um in der iranischen Erde begraben zu werden.

Kathrin Erdmann

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de