Brückenschlag zwischen Teheran und Berlin

Die Erzählungen "Wüstenhimmel Sternenland" der Deutsch-Iranerin Sudabeh Mohafez reflektieren auf poetische Art das Leben in einer fremden und von Gewalt geprägten Welt. Von Katrin Matthaei

Die Erzählungen "Wüstenhimmel Sternenland" der Deutsch-Iranerin Sudabeh Mohafez reflektieren auf poetische Art das Leben in einer fremden und von Gewalt geprägten Welt. Katrin Matthaei stellt den Erzählband und die Schriftstellerin vor.

Sudabeh Mohafez

​​Wenn derzeit über Migranten in Deutschland diskutiert wird, dann fallen Begriffe wie 'Integration' oder 'Parallelgesellschaft'. Begriffe, die vorgeben, die Wirklichkeit zu beschreiben, die aber vor allem eine Trennung festschreiben: hier Deutsche - da Migranten, entweder Integration oder Parallelgesellschaft.

Die Biografien der meisten Menschen, um die es da geht, sind allerdings komplizierter gestrickt; sie tragen nicht selten die Parallelgesellschaft in sich. Oder wie die deutsch-iranische Autorin Sudabeh Mohafez es ausdrückt "zwei innere Geographien". In einer Erzählung ihres Debütbandes "Wüstenhimmel Sternenland" hat sie dafür sogar ein höchst poetisches Bild gefunden.

Der Damâvand als Fata Morgana in Berlin

Der Damâvand, Irans höchster Berg: Gewaltig, schneebedeckt und majestätisch thront er über der iranischen Hauptstadt Teheran. Wie eine Fata Morgana taucht er plötzlich mitten in Berlin auf, thront nun über der Spree - in der Wahrnehmung der Ich-Erzählerin in Sudabeh Mohafez Erzählung "Sediment".

Gleich einer Diaprojektion an der Wand legen sich der Berg und die iranische Hauptstadt über die Wahrnehmung der jungen Frau. Zwei gegensätzliche Hauptstädte, die in ihrem Alltag zu einer einzigen Erlebniswelt verschmelzen. Ihre nüchterne deutsche Umwelt reagiert mit Unverständnis, kann das kulturelle Entweder-Oder nicht überwinden.

Wie ihre Hauptfigur trägt die 41-jährige deutsch-iranische Schriftstellerin Sudabeh Mohafez beide Kulturen in sich. Als Tochter einer Deutschen und eines Iraners ist sie in Teheran aufgewachsen. 1979, am Vorabend der islamischen Revolution, siedelt die Familie nach Berlin um.

Das Einleben in Deutschland fällt der damals sechzehnjährigen Sudabeh Mohafez schwer: Man erwartet, dass sie sich anpasst, sich für eine Kultur entscheidet: für die deutsche und gegen die persische. Heute, 25 Jahre später, bricht sie literarisch die Endgültigkeit kultureller Realitäten und Zugehörigkeiten auf.

Integration als Machtverhältnis

Buchcover 'Wüstenhimmel Sternenland'

​​Besonders kritisiert die Halb-Iranerin daher die aktuelle deutsche Debatte um den Begriff "Integration", da er die in Deutschland lebenden Ausländer ausschließt: "Der Begriff ignoriert, dass wir schon da sind in all unserer Vielfältigkeit", meint Mohafez und fügt schnell hinzu: "Und er suggeriert ein Machtverhältnis, nämlich: Ich soll irgendwo hingehen, reingehen, ich soll mich anpassen - was ich problematisch finde. Und nicht: Ich bin hier, du bist da. lass uns doch mal gucken, was daraus entsteht!"

Der Schriftstellerin ist das nicht pluralistisch und nicht vielfältig genug: "Mir ist es auch nicht neugierig genug, die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, die man zum Beispiel hier in Berlin erfahren könnte, wenn man ihnen offen begegnete: Das ist doch ein Reichtum, das ist doch toll!"

Diesen Reichtum setzt Sudabeh Mohafez in ihrer Erzählung "Sediment" um: die Erzählperspektive verbindet sowohl die spezifisch deutsche, als auch die spezifisch iranische Realitätserfahrung in ein- und derselben Figur.

Der zweite thematische Schwerpunkt in Sudabeh Mohafez Erzählband "Wüstenhimmel Sternenland" ist das literarische Verarbeiten von Gewalterfahrungen. In der Erzählung "Vor Allâhs Thron" versucht die iranische Putzfrau Nâhid in Teheran einen kleinen deutschen Jungen vor der Misshandlung durch seinen Vater zu retten.

Folgen von Gewaltbeziehungen

In der Erzählung "Die einzig gültige Perspektive" beschreibt Sudabeh Mohafez die Gedanken eines Sohns, der nach dem Tod seines brutalen Vaters eine Perspektive für sein Leben nach der abhängigen Gewaltbeziehung sucht.

Mit den Konsequenzen physischer und psychischer Gewalt hat sich Mohafez während ihrer früheren Tätigkeit als Leiterin eines Zentrums für misshandelte Frauen tagtäglich auseinander gesetzt: "Misshandlungen zerstören, und sie zerstören Lebenswege, sie zerstören Talente und es macht einen ganz realen Unterschied, ob und in welchem Ausmaß jemand Gewalt ertragen und erleben muss oder nicht", sagt die 41jährige Schriftstellerin.

Doch dabei belässt es Mohafez freilich nicht. Ebenso wichtig ist ihr die Frage, was nach der Gewalt mit den Opfern geschieht: "Wie komme ich da wieder raus - und wenn ich raus komme - was mache ich dann? Es ist ja nicht so, dass die Abwesenheit von Gewalt Glück bedeutet." Für Mohafez ist die Frage daher entscheidend, wie Menschen nach der Gewalt wieder Glück finden können"

Deshalb verzichtet die Schriftstellerin auf jegliche Beschreibung von Gewaltausübung, die Täter selbst kommen nur als Randfiguren vor. Um die Frage nach der Glücksfähigkeit nach Misshandlungen dreht sich auch ihr neuer Roman, an dem sie als Stipendiatin der Berliner Senatsverwaltung für Kultur derzeit arbeitet.

Charakteristisch für Sudabeh Mohafez Erzählungen ist der sprachliche Stil: In einfachen Sätzen entwirft sie sensible und unverwechselbare Bilder und Stimmungen.

Charakteristisch ist auch das offene Ende ihrer Erzählungen: Ihr ist es oft viel wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen, als Antworten darauf zu geben, wenn sie sagt: "Es gibt so selten allgemeingültige Antworten, weil jeder Mensch seine spezielle Antworten finden muss. Aber es gibt oft sehr allgemeingültige Fragen, und es wäre an den Menschen vorbei gedacht und an der Literatur vorbei geschrieben, Antworten darauf zu geben."

Sudabeh Mohafez lebt und schreibt in Deutschland und Portugal. Denn in Portugal, so sagt die Deutsch-Iranerin, hat sie den Kompromiss zwischen ihren beiden inneren kulturellen Zugehörigkeiten gefunden.

Katrin Matthaei

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

"Wüstenhimmel Sternenland", Arche Verlag, Zürich 2004, ISBN 3716023329, gebunden, 123 Seiten.

  • Mehr Informationen über den Erzählband Wüstenhimmel Sternenland finden Sie hier
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