Nur langsamer Anstieg von Investitionen

"Private Unternehmen sind das Herzstück wirtschaftlicher Entwicklung." Das gilt auch für Afghanistan. Stephan Kinnemann, wirtschaftlicher Berater der afghanischen Regierung, zeichnet ein gemischtes Bild. Mit ihm hat Tillmann Elliesen gesprochen.

"Private Unternehmen sind das Herzstück wirtschaftlicher Entwicklung." Was die Weltbank in ihrem neuen Weltentwicklungsbericht schreibt, gilt auch für Afghanistan. Stephan Kinnemann, der seit Juli 2002 im Auftrag der Bundesregierung die afghanische Regierung in wirtschaftspolitischen Fragen berät, zeichnet ein gemischtes Bild: Die Investitionen nehmen langsam, aber stetig zu. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit dagegen kümmert sich nicht genug um den Privatsektor.

Geschäft für Brautmoden in Kabul, Foto: Sabine Fründt
Geschäft für Brautmoden in Kabul

​​Herr Kinnemann, man kann den Eindruck bekommen, in Afghanistan boomt nur der Mohnanbau . . .

Stephan Kinnemann: Der Eindruck ist falsch. In den Zentren tut sich sehr viel – nicht nur in Kabul, sondern auch in Herat, Masar oder Kandahar. Richtig ist, dass in den Provinzen der Wiederaufbau deutlich langsamer vorankommt. Andererseits hat sich auch die Landwirtschaft sehr gut entwickelt.

Haben Maßnahmen wie die Reform des Investitionsgesetzes oder die Einrichtung einer Investitionsagentur etwas bewirkt?

Kinnemann: Ja, die wirtschaftlichen Aktivitäten von Ausländern haben spürbar zugenommen. Die Investitionsagentur vergibt monatlich zwischen 100 und 200 Lizenzen für Investitionen und Handelsgeschäfte. Im Moment überwiegt noch der Handel, was ganz natürlich ist. Bevor Unternehmen in Afghanistan investieren, muss der Markt sich erst einmal festigen. Ausländische Investitionen gibt es vor allem in die Infrastruktur, etwa ins Telefonnetz und in Hotels.

Gibt es auch Investitionen, die der einheimischen Wirtschaft einen Schub geben?

Kinnemann: Ein größeres deutsches Unternehmen will zum Beispiel eine Zuckerfabrik nördlich von Kabul wieder in Betrieb nehmen. Die Bauern können dann ihre Zuckerrüben dort anliefern, wo sie weiterverarbeitet werden. Es gibt außerdem Initiativen, aus afghanischen Produkten Speiseöl und Tomatenmark herzustellen. Solche Investitionen im landwirtschaftlichen Bereich sind wichtig, weil sie Alternativen zum Mohnanbau eröffnen und der Landflucht entgegenwirken.

Erlaubt die Sicherheitslage überhaupt Investitionen außerhalb der Städte?

Kinnemann: Die deutsche Investition in die Zuckerfabrik zeigt, dass es geht. Aber das Problem mangelnder Sicherheit ist nicht von der Hand zu weisen. Die afghanische Regierung streitet das nicht ab, auch wenn sie nach außen aus verständlichen Gründen die Situation etwas besser darstellt.

Entwickelt sich eine afghanische Industrie unabhängig von ausländischen Investitionen?

Kinnemann: Die Afghanen sind traditionell eher Händler und weniger Produzenten – außer in der Landwirtschaft. Insofern kann man keine zu starke Investitionstätigkeit erwarten. Es gibt allerdings ein reges Engagement von Auslandsafghanen, die mit ihrem Geld vorsichtig, aber stetig zurückkommen.

Ein afghanischer Geschäftsmann baut zum Beispiel gerade eine Getränkeabfüllfabrik in Kabul auf, so dass künftig nicht mehr jedes Getränk von außen eingeführt werden muss. Zurzeit kommt noch jede Flasche Wasser, die Sie in Kabul kriegen, aus Pakistan oder Malaysia.

In einem Interview mit E+Z im Frühjahr 2003 haben Sie die multilateralen Geber kritisiert, sie vernachlässigten den langfristigen Wiederaufbau in Afghanistan. Hat sich das gebessert?

Kinnemann: Im Gegenteil, es hat sich verschlechtert. Die Weltbank hat sich um den Privatsektor, der nach dem Willen der Afghanen im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung stehen soll, bisher in keiner Weise gekümmert. Die Weltbank-Tochter International Finance Corporation, zu deren Aufgaben die Förderung des Privatsektors gehört, hat bislang so gut wie nichts getan. Die multilateralen Institutionen haben eindeutig nicht geliefert, was die afghanische Regierung von ihnen erwartet.

Wie kommt das? Die Weltbank beschwört doch ansonsten immer die entwicklungspolitische Rolle der Privatwirtschaft . . .

Kinnemann: Das Problem ist, dass die Mitarbeiter der Weltbank in der Regel keine Erfahrungen mit dem Privatsektor haben. Dazu kommt, dass die IFC inzwischen eine Risikoaversion entwickelt hat, die ich nicht mehr nachvollziehen kann. Das ist eine Verletzung ihres Mandats, das muss man klar sagen.

Und die bilateralen Geber?

Kinnemann: Die sind etwas aktiver. In der deutschen Zusammenarbeit ist die Entwicklung des Privatsektors ja einer der Schwerpunkte. Ich finde aber, der internationalen Hilfskarawane mangelt es an Gespür für die Dringlichkeit ihrer Aufgabe. Bei vielen Institutionen ruhen die Dinge wohlgefällig in sich selbst; der Antrieb, möglichst schnell etwas zu tun, ist in vielen Fällen nicht vorhanden.

Die Fragen stellte Tillmann Elliesen.

© Entwicklung und Zusammenarbeit (E&Z)