Aufruf zur Gewalt als Meinungsfreiheit
Als ein türkisches Gericht Arat Dink wegen Beleidigung des Türkentums verurteilte, begründeten die Richter die relativ hohe Strafe mit der Herkunft des Redakteurs. Arat Dink ist der Sohn von Hrant Dink, der wegen seiner armenischen Wurzeln von einem 17-jährigen Rechtsextremisten im Januar erschossen wurde.
In der Atmosphäre eines aggressiven Nationalismus und einer Art Kriegsstimmung sehen die Minderheiten in der Türkei zurzeit ihr Lebensrecht massiv bedroht, meint Fethiye Cetin, Rechtsanwältin aus Istanbul. Cetin vertritt sowohl den Verlag als auch die Familie Dink in Istanbul vor Gericht.
Hetze gegen Minderheiten als Meinungsfreiheit
Die couragierte Juristin setzt sich seit vielen Jahren für die Rechte von Minderheiten ein. So verwundert es nicht, dass auch ihr Name auf den Hass-Seiten der Ultranationalisten im Internet erscheint. Die Hetze trifft alle, die irgendwie anders sind als die Türken selbst: Egal ob Kurden, Armenier oder andere Christen, so die Cetin:
"Menschen, die gegen Minderheiten zu Gewalt aufrufen, passiert nichts. Wenn aber Minderheiten für ihre Rechte eintreten, dann wird Anklage erhoben."
Es gebe zwar einen Paragrafen im türkischen Strafgesetzbuch, den Paragrafen 216, der den Aufruf zu Hass und Feindschaft unter der Bevölkerung unter Strafe stellt, aber der finde keine Anwendung.
Nach wie vor sehen sich Hunderte Journalisten, Künstler und Intellektuelle dem Vorwurf der Beleidigung des Türkentums, dem Paragrafen 301 des türkischen Strafgesetzbuchs ausgesetzt, beklagt Fethiye Cetin:
"Dieser Paragraf muss aufgehoben werden. Er stellt den Staat und seine Organe unter einen speziellen Schutz. Das sind aber Institutionen, die sowieso die Macht haben, die stark sind und er stellt sie unter Schutz gegenüber Individuen. Ich meine, in einem demokratischen Staat muss das Individuum geschützt werden – im Zweifelsfall auch gegen den Staat."
Proteste der Nationalisten
Doch hat bereits die Ankündigung, man werde den Paragrafen in einigen Punkten modifizieren, heftige Proteste der nationalistischen Opposition ausgelöst. Es wird sogar behauptet, die Regierung Erdogan will das Beleidigen des Türkentums künftig erlauben, berichtet die Juristin:
"Im letzten Absatz des Paragrafen steht der Satz: 'Äußerungen, die als legitime Kritik gemeint sind, fallen nicht unter diesen Straftatbestand.' Allerdings ist die Grenze zwischen einer Herabwürdigung und Kritik schwer zu definieren. Außerdem lässt der Begriff Türkentum einen breiten Interpretationsspielraum zu. Was ist das Türkentum? Das bedeutet natürlich eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen ethnischen Gruppen in der Türkei, wenn ausdrücklich die türkisch-ethnische Gruppe vor Beleidigung und Herabwürdigung geschützt wird, andere aber nicht."
Fethiye Cetin vertritt die Familie von Hrant Dink als Nebenklägerin im Prozess gegen 18 Mitglieder der Jugendorganisation der rechtsextremen Szene von Trabzon. Der 17-jährige Todesschütze und seine Komplizen wurden damals sehr schnell nach der Tat verhaftet. Das sei schon großer Unterschied zu früheren Prozessen um politische Morde, sagt die Anwältin.
Prozess als Testfall für die türkische Justiz
"Trotz dieser Festnahmen können wir nicht sagen, dass der Mord an Hrant Dink aufgeklärt wurde. Es gibt verschiedene, sehr wichtige Hinweise in Bezug auf den Mord und die Vorbereitung, die nicht aufgegriffen und untersucht wurden. Man kann sich nicht vorstellen, dass ein 17-Jähriger, der vorher noch nie in Istanbul war, von sich aus mit einer Schusswaffe dorthin fährt, sich vor den Agos Verlag stellt und Hrant Dink erschießt. Es muss Verbindungsglieder gegeben haben, und diese Verbindungsglieder sind bisher nicht ausfindig gemacht worden."
Für die Menschrechtsorganisation "Human Rights Watch" gilt das Verfahren als Testfall für die Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Denn in dem Prozess muss auch geklärt werden, inwieweit türkische Sicherheitskreise in den Mord verwickelt sind. Rechtsanwältin Cetin berichtet sogar von Beweisen, die verschwunden sind.
So wurden die Bänder der Videoüberwachung zwar beschlagnahmt, aber nun sind genau diese Bänder aus dem fraglichen Zeitraum nicht mehr auffindbar.
Am zweiten Prozesstag kam heraus, dass der wichtigste Helfer und Kontaktmann der mutmaßlichen Mörder ein Mitarbeiter des Geheimdienstes ist. Damit ist klar, dass der Geheimdienst von dem Mordkomplott wusste, sagt die Rechtsanwältin.
Henriette Wrege
© DEUTSCHE WELLE 2007
Qantara.de
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