Feminismus ist nicht nur weiß
Rafia Zakarias Lebensweg ist für eine US-amerikanische Feministin ungewöhnlich: In Pakistan geboren und aufgewachsen, ergriff sie mit 17 eine Gelegenheit, in die USA auszuwandern - durch eine arrangierte Ehe.
"Eines Abends nach dem Essen, als ich Mitte der 1990er-Jahre in Karatschi auf meiner Bettkante saß, willigte ich in eine arrangierte Ehe ein", schreibt sie auf den ersten Seiten ihres Buches "Against White Feminism - Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert". Ihre Motivation für das Arrangement: Sie wollte studieren. "Mein Leben war bis dahin in vielerlei Hinsicht eingeschränkt gewesen und reichte kaum über die Mauern hinaus, die unser Haus umgaben. Ich hatte noch nie Freiheit erlebt, und so gab ich sie gerne auf."
Mit diesem Bekenntnis beginnt Rafia Zakaria, Anwältin und Autorin, ihr Buch. Darin berichtet sie, dass sie gegen die Widerstände ihres Ehemannes Jura studierte, ihn schließlich verließ, Expertin für Einwanderungsrecht wurde - und wie sehr der westliche Feminismus durch die Prioritäten weißer Frauen dominiert ist.
Was ist "weißer" Feminismus?
Denn im Leben Rafia Zakarias ist der Feminismus keine abstrakte Theorie, sondern schiere Notwendigkeit. Gäbe es keine Frauenhäuser, hätte sie ihren Mann vielleicht nicht verlassen können. Wäre Frauen noch immer der Zugang zu Universitäten verwehrt, hätte sie nicht Jura studieren dürfen. Auf jeder Seite ihres Buches bekommt man ein Gefühl dafür, wie dringlich die Errungenschaften des Feminismus sind. Trotz des provokativen Titels ist es eine sensible, feinfühlige, präzise Beobachtung der Schwächen des US-amerikanischen Feminismus.
Zakaria berichtet von geradezu bizarren Ereignissen: Als sie zu einem Vortrag über die Lage der Frauen in Pakistan eingeladen ist, findet sie heraus, dass sie nicht auf einer Bühne vor einem Mikrofon stehen soll, sondern hinter einem Tisch mit Bildern pakistanischer Frauen in traditioneller Kleidung und kleinen Handwerkserzeugnissen, die wohlhabende US-Amerikanerinnen kaufen sollen, um Geld für Projekte im Ausland zu sammeln.
Die Organisatorin sei entsetzt gewesen, als Zakaria nicht in ihren "traditionellen" Gewändern erschien, wie die anderen Frauen, die zum Beispiel aus Nepal stammten. Zakaria fühlte sich wie ein Tier im Zoo.
Eine ganz bestimmte Gruppe von Frauen bestimme den Feminismus heute, so die These von Zakaria, während andere Frauen vor allem Diskriminierung erlebten.
Weiße, wohlhabende, oftmals akademisch gebildete Frauen würden bestimmen, was Feminismus ist und welche politischen Ziele er verfolge. Schwarze Frauen hingegen kämen nur als Opfer vor, die in Frauenhäusern leben oder in Fabriken schuften.
Dass diese schwarzen Frauen selbst politische Ziele haben könnten, die sich von denen weißer Frauen auch noch unterscheiden, käme manchen weißen Feministinnen nicht in den Sinn.
Wie sieht "weißer" Feminismus in der Praxis aus?
Zakaria nennt das Beispiel einer Nichtregierungsorganisation, die indische Frauen in einer ländlichen Region dazu bewegte, neue, "saubere Öfen" zu benutzen, damit sie mehr Zeit hätten und sich eine bezahlte Arbeit außer Haus suchen könnten.
Nur dass die Frauen die neuen Öfen weder brauchten noch wollten, da sie diese vor Ort nicht reparieren konnten. Außerdem, so schreibt Zakaria, lehnten viele der Frauen "die Vorstellung ab, dass der Weg zu weiblichem Empowerment darin besteht, sich für lohnabhängige Arbeit zur Verfügung zu stellen."
Sie macht auch darauf aufmerksam, wie weiße Feministinnen den Krieg in Afghanistan nach den Anschlägen von 9/11 für ihre Zwecke missbrauchten. In einem offenen Brief forderten damals bekannte US-amerikanische Feministinnen wie Gloria Steinem sowie die Hollywood-Schauspielerinnen Susan Sarandon und Meryl Streep einen US-Militäreinsatz, um "das Leben der afghanischen Frauen zu retten und ihre Zukunft zu sichern".
"Weißer" Feminismus gestern und heute
Zakaria beleuchtet in ihrem überzeugenden Buch auch Beispele aus der Geschichte: Schon im 19. Jahrhundert verlangten britische Suffragetten (Frauenrechtlerinnen) von indischen Frauen, die unter britischer Kolonialherrschaft lebten, sich für das Wahlrecht von Frauen einzusetzten.
Als die indischen Feministinnen nicht mitspielten, beschlossen die weißen Suffragetten, selbst für das Wahlrecht der indischen Frauen, aber nicht für ihre Befreiung von der kolonialen Unterwerfung zu kämpfen", schreibt Zakaria. "Die indischen Frauen wollten das Wahlrecht, aber in einem Land, das nicht mehr unter der kolonialen Herrschaft der Briten stand. Welche Macht hatte eine Stimme in einem versklavten Land?"
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So analysiert Zakaria auf rund 250 Seiten so präzise wie empathisch den "weißen“ Feminismus. Die Konsequenzen der Ausblendung von Anliegen nicht-weißer Frauen, so Rafia Zakaria im Interview mit der Deutschen Welle, könne man heute vielerorts beobachten, unter anderem in Afghanistan. "Die USA haben bei ihrer Invasion in Afghanistan den Feminismus als einen Deckmantel benutzt, deshalb gilt heute der Einsatz für Frauenrechte in Afghanistan nicht mehr als legitim, sondern als ein Zeichen einer pro-westlichen Kollaboration. Das finde ich sehr traurig." Die USA hätten von Anfang an gewusst, dass sie das Land wieder verlassen würden, hätten aber nichts dafür getan, um die Frauen in der Zeit danach zu schützen.
Wie geht es besser?
Auch die feministische Bewegung in Deutschland ist geprägt vom Blick weißer Frauen, schreibt die Journalistin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Buch "Wut und Böse", das 2021 im Hanser-Verlag erschienen ist. Hoeder ist Chefredakteurin von RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum.
"Schon die Themen des 'weißen‘ Feminismus können als Ausschlusskriterien fungieren. Es gab für mich nie den Impuls, mich an feministischen Themen zu beteiligen, die keinen Bezug zu meinem Alltag haben", sagt Hoeder im Interview mit der Deutschen Welle. Bei der Frage Frauen und Arbeitsleben würde es zum Beispiel praktisch nie um die prekären Arbeitsverhältnisse von Migrantinnen gehen. Stattdessen spricht man über weiße Managerinnen. "Im deutschen Feminismus geht es darum, weiße, wohlhabende Frauen voranzubringen."
Dennoch schaut Rafia Zakaria hoffnungsvoll in die Zukunft: Sie glaube an die Kraft des Feminismus. Es gehe nun vor allem darum, einander zuzuhören und sich politisch zu engagieren. "Es ist schön, Rechte zu haben", sagt Zakaria, "aber diese Rechte sind immer gefährdet, wenn wir uns nicht politisch organisieren - sonst werden uns neue Regierungen diese Rechte wieder nehmen."
© Deutsche Welle 2022
Rafia Zakaria, "Against White Feminism - Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert", Verlag hanserblau 2022