In jedem Moment des Lebens

"Har Dam Sahara", das jüngste Album von Rafiki Jazz, ist eine dieser seltenen Veröffentlichungen, die es schafft, die Musik mehrerer Kulturen so zu vereinen, dass ein einmaliger und harmonischer Sound entsteht. Von Richard Marcus.

Von Richard Marcus

Rafiki Jazz, eine Band, die 2006 im britischen Sheffield gegründet wurde, kombiniert musikalische Elemente aus so unterschiedlichen Kulturkreisen wie Westafrika, dem Punjab, Pakistan, Arabien, dem hebräischen Raum und aus weiteren nahöstlichen und asiatischen Quellen. Die beteiligten Musikern und das Ausgangsmaterial, von dem die einzelnen Stücke inspiriert sind, lassen sowohl die Diversität als auch die Verbindungen erkennen, die aus einer derartigen Zusammenarbeit entstehen können. Wie oft hört man beispielsweise ein hebräisches Gedicht aus dem 11. Jahrhundert als Text für eine Hindi-Raga, wie es im Stück "You Are Light" ("Du bist Licht") geschieht?

Natürlich gibt uns der Titel der aktuellen CD von Rafiki Jazz einen Hinweis darauf, was uns erwarten könnte. Aus dem Urdu ins Deutsche übersetzt bedeutet er: "In jedem Moment des Lebens gibt es Unterstützung". Diese Momente bestehen hier aus Musik, und die Unterstützung stammt aus der Vielfalt und Struktur der unterschiedlichen Menschen und Stile, die in jeden Song einfließen. Keins der Stücke steht isoliert für sich allein, aber trotzdem sind sie alle aus individuellen Klängen zusammengesetzt, von denen jeder seinen eigenen Charakter hat. Wie bei allen guten Rezepten – wenn man Musik als eine Mischung von Zutaten betrachtet, die unseren kollektiven Gehörgang anregen soll – verstärkt sich durch diese Kombination eher noch der Höreindruck dieser Klangwelten.

Ein Treffen von Charakteren

Cover of Rafiki Jazz' latest album, "Har Dam Sahara" (released by Riverboat Records)
Hörgenuss interkulturell und grenzenlos: Rafiki Jazz hat nicht nur ein Album mit großartiger Musik geschaffen, sondern auch gezeigt, wie unterschiedliche Kulturen und Menschen gemeinsam an Projekten arbeiten und aus ihrer Vielfalt heraus etwas Wunderbares schaffen können, ohne dabei ihre persönliche Identität aufgeben zu müssen. In einer Zeit der wachsenden gesellschaftlichen Spaltungen und der Intoleranz ist dies wohl ein wichtiges Zeichen, schreibt Richard Marcus.

Der Name der Gruppe lässt darauf schließen, dass die Musik auf Har Dam Sahara immer auch eine Begegnung kreativer Individuen ist, die ihre eigenen Vorlieben haben und nach etwas Neuem suchen. "Rafiki" bedeutet "mein Freund", und Jazz war schon immer gleichbedeutend mit Freiheit – zumindest mit der Freiheit des individuellen Ausdrucks.

Hier sehen wir nicht nur Einzelpersonen, die sich in Harmonie begegnen, sondern in der Musik, die sie machen, finden wir eine wunderbare Symmetrie – wie sonderbar bisweilen die Kombination der verschiedenen Stile und Kulturen auch wirken mag.

Wie bei jedem guten Jazz geht es bei der Musik auf dieser Platte nicht so sehr um die genaue Bedeutung der Texte oder den Ursprung der einzelnen Komponenten, sondern eher darum, wie die Klänge ihren gemeinsamen Weg finden. Hier baut jedes der sieben Stücke auf einem oder zwei bereits bestehenden Grundthemen auf, die dann mit Klangteppichen verwoben werden, um das Original weiter auszuschmücken und zu vervollkommnen.

Ein perfektes Beispiel dafür ist "Har Chand Sahara", der fünfte Titel des Albums: Er ist eigentlich eine klassische Sufi-Ghazal (eine lyrische Form aus sich reimenden Zweizeilern und einem Refrain, bei dem jede Zeile im gleichen Metrum steht). Der Text baut auf Gedichten des verstorbenen Shohrat Bokhari auf.

Der Musik allerdings liegt ein Bollywood-Arrangement der pakistanischen Playback-Sängerin Nayyara Noor zugrunde. (In Bollywood-Filmen werden die Lieder normalerweise nicht von den Schauspielern selbst gesungen, sondern von Hintergrundsängern, die nicht auf der Leinwand erscheinen).

Ich kenne allerdings keine Bollywood-Nummer, die sich so anhört. Erstens gibt es kaum Filmmusik, die derart reich instrumentiert ist, und zweitens hat dieser Titel einen völlig anderen Rhythmus. Er wirkt viel kontemplativer und zurückhaltender als die Tanzmusik, die die meisten von uns mit dem Bollywood-Genre verbinden. Die Stimmen von Sarah Yaseen und Avital Raz weben auf dem Stück eine wunderbare Harmonie, die sich über die Begleitinstrumente (Violine, Tabla und Flöte) erhebt. Sie haben eine ätherische Qualität, die bewirkt, dass sich die Seele emporhebt und die Gedanken nach innen wenden.

Die gleiche Art von neu aufgearbeitetem Material findet sich auf "Jhooli Laal Qalandar", dem sechsten Stück der Platte. Hier hat die Band einen traditionellen Qawaali-Song mit dem Titel "Mustt Mustt" neu arrangiert. Der Text stammt aus einem Gedicht von Bulleh Shah, in dem er den Sufi-Mystiker Hazrat Lal Shabaz Qalandar preist. Yaseen singt ihn auf Punjabi, während die Gastsängerin Sarah Sayeed eine englischsprachige Version beisteuert. Das Ergebnis ist ein wunderschönes und fein ausgearbeitetes Lied, das den englischen Text perfekt integriert und dem es gelingt, sowohl die spirituelle als auch die erdverbundene Seite dieser Art von Musik zu vermitteln. Wir hören, wie Worte, die die menschliche Liebe wachrufen, auch dazu dienen können, die Verbindung mit dem Göttlichen zu feiern und umgekehrt.

Natürlich bekommt dieses Album seine Inspiration nicht nur aus Südostasien, und dies spiegelt sich in den ersten und letzten Titeln wider. Das Eröffnungsstück "Sunno" wurde von Yaseen gemeinsam mit dem senegalesischen Musiker Kadialy Kouyate geschrieben und eingespielt. Dabei hat Kouyate, der Kora spielt, die Musik beigesteuert, während der Text von Yaseen stammt. Das Lied hat eine schöne, fast einfache Melodie, und die Stimmen werden bei ihrer lyrischen Reise sanft von der Kora unterstützt.

In Liedern bewahrte Geschichte

Kouyate hat auch den siebten und letzten Titel des Albums geschrieben: "Cheikh Amadou Bamaba (Serigne Touba)" ist ein Tribut an den gleichnamigen spirituellen Sufi-Führer und Widerstandskämpfer. Wie bereits im ersten Stück hören wir hier den Einfluss der westafrikanischen Griot-Tradition. Dort haben Lieder die Funktion, die Geschichte einzelner Menschen zu bewahren, um zukünftige Generationen dadurch zu inspirieren.

Har Dam Sahara ist eines dieser wunderbaren Alben, in denen man sich selbst verlieren kann beim Zuhören. Obwohl in vielen unterschiedlichen Sprachen gesungen wird, sind Klang und Musik durchweg sehr zugänglich. Beim Hören fällt es leicht, in die Welt, die von Rafiki Jazz erschaffen wird, abzugleiten und in ihren wunderschönen Harmonien zu einzutauchen.

Die Band hat nicht nur ein Album mit großartiger Musik geschaffen, sondern auch gezeigt, wie unterschiedliche Kulturen und Menschen gemeinsam an Projekten arbeiten und aus ihrer Vielfalt heraus etwas Wunderbares schaffen können, ohne dabei ihre persönliche Identität aufgeben zu müssen. In einer Zeit der wachsenden gesellschaftlichen Spaltungen und der Intoleranz ist dies wohl ein wichtiges Zeichen.

Richard Marcus

© Qantara.de 2017

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff