''Deine Sprache ist meine Sprache''
"Jemenitische Juden leben im Jemen schon seit Menschengedenken", sagt Ravid Kahalani, Sänger und Gründer der fabelhaften Band "Yemen Blues". Jemenitische Juden (oder die Juden aus Teman, dem "fernen Süden" im Hebräischen) waren ein integraler Bestandteil der jemenitischen Kultur, sagt er. "Jemenitische Juden sind arabische Juden und jemenitische Muslime sind arabische Muslime. Jemenitische Muslime sind nicht mehr Jemeniten als jemenitische Juden, sie sind alle Araber eines arabischen Landes."
Laut einigen Quellen leben Juden bereits seit mehr als 3.500 Jahren im Jemen. Nach der Staatsgründung Israels 1948 verließen die meisten Juden das Land, die meisten von ihnen im Zuge der von Israel, den Vereinigten Staaten und Großbritannien organisierten "Operation fliegender Teppich", mit der die dort ansässigen Juden aus einem ihrer ältesten Wohnstätten evakuiert wurden. Heute leben im Jemen nur noch wenige von ihnen.
Alte jüdische und arabisch-muslimische Traditionen
Nun hat Kahalani eine Band gegründet, die die jahrhundertealten Traditionen jemenitischer Synagogengesänge und traditioneller arabischer Musik weiterführt. "Die Tradierung liturgischer Gesänge erfolgt sehr gewissenhaft, diese wurden über tausende Jahre hinweg von dem Vater an den Sohn weitergegeben", sagt Kahalani.
In "Yemen Blues" verbindet Kahalani auf kühne Art und Weise Jazz, Funk, Soul und sogar westafrikanische Griot-Musik mit alten jüdischen und arabisch-muslimischen Traditionen der arabischen Halbinsel. Die verschiedenartigen musikalischen Stile verbinden sich dabei mühelos zu einem beeindruckenden Resultat.
So wie Kahalani verschiedene musikalische Stile anwendet, vermischt er auch ohne Scheu die unterschiedlichen Sprachen seiner Texte. "Ich benutze in jedem Fall die Sprache, die am besten mit der Melodie harmoniert, aber die Hauptsprachen sind jemenitisches Arabisch und Hebräisch, meine Muttersprache." Daneben finden auch Marokkanisch und Französisches Kreol Verwendung.
Ein Fest der kulturellen Vielfalt
Im Gegensatz zur israelischen Politik, die sich mit der pluralistischen Zusammensetzung der Gesellschaft des Landes schwer tut, feiert die Musikszene des Landes die Vielfalt der Kulturen, die dem sozialen und kulturellen Antlitz Israels zugrunde liegt.
Künstler wie Idan Raichel, Yasmin Levy und Gilad Atzmon ergründen die jüdischen musikalischen Wurzeln, die sich von Spanien über den Balkan bis in die Türkei, den Mittleren Osten und nach Nordafrika erstrecken. Oft arbeiten dabei israelische und palästinensische Künstler Seite an Seite.
"Es gibt so viele brillante Musiker in Israel, die alle diese Stile in ihrer Musik verbinden. Das macht die wirkliche Schönheit von Musik aus", erklärt Kahalani enthusiastisch. "Du kannst heutzutage sehen, dass wir uns alle gegenseitig beeinflussen und zwar viel mehr als wir denken."
Kosmopolitischer jüdisch-arabischer Hintergrund
"Yemen Blues" war ursprünglich das Ergebnis eines ungezwungenen Treffens von Freunden, die gemeinsam Musik machten. Ein paar Jahre zuvor leistete Kahalani seinen Militärdienst zusammen mit Omer Avital ab, einem bekannten Bassisten und Komponisten in Israel.
Geboren in Israel mit Eltern jemenitischer und marokkanischer Herkunft, interessierte sich Avital zunehmend für sein eigenes arabisches Erbe und das der sephardischen Juden. Vor allem die altertümliche andalusische Musik faszinierte ihn, die wiederum in hohem Grad von arabischer Musiktradition beeinflusst worden war.
In Israel studierte Avital arabische Musiktheorie und heute tragen all diese kulturellen Einflüsse, die mehrere Jahrhunderte und Kontinente umspannen, zu der besonderen Mixtur von "Yemen Blues" bei. Heute bilden Kahalani und Avital, zusammen mit einer Handvoll anderer Künstler, die mit ihnen einen ähnlichen kosmopolitischen jüdisch-arabischen Hintergrund teilen, eine Art "Übergruppe" von Top-Musikern aus New York, Israel und Uruguay.
Zusammen ergründen sie den musikalischen Reichtum der jüdischen und arabisch-muslimischen Kulturen, die jemenitischen Synagogen und Berberkulturen Nordafrikas werden dabei ebenso einbezogen wie die westafrikanischen Gnawa in Senegal, Ghana und Mali, sogar der Sound New Orleans' fließt mit ein.
Ein Brückenschlag zwischen Kulturen
"Es spielt keine Rolle, wo du herkommst. Deine Sprache ist meine Sprache“, singt Ravid Kahalani in dem Song "Um Min Al Yaman". Diese Formel ist auch passenderweise das Motto des Albums und der Gruppe.
Obwohl "Yemen Blues" so viele unterschiedliche Musikstile zusammenbringt, ist der Sound der Gruppe individuell und unverwechselbar. In diesem Akt musikalischer Genialität ist es Kahalani und seiner Band gelungen, echte "Weltmusik" zu schaffen – Musik die nationale, ethnische und religiöse Grenzen überschreitet und dabei Brücken zwischen Kulturen und Völkern baut.
In diesem Geist gelingt es "Yemen Blues", auch Grenzen zwischen Sprachen und Religionen zu überwinden. Auf einem Konzert in Marseille im Rahmnen einer Frankreich-Tour im Jahr 2011 tanzten Muslime, Christen und Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen. "Die Muslime liebten es und man spürte, dass da etwas war, das uns verband und sie an ihre Heimat erinnerte", sinniert Kahalani.
"Ich möchte, dass die Leute die Melodien genießen und sich darüber freuen, zusammen zu kommen, mit all ihren verschiedenen religiösen und politischen Ansichten. Sie sollen wissen, dass es ein Fundament gibt, das uns alle verbindet. Und das kann alles verändern."
Lewis Gropp
© Qantara.de 2012
Übersetzung aus dem Englischen von Annett Hellwig