Stillsitzen unmöglich
Mit seinem neuesten Album The Dancing Devils of Djibouti („Die tanzenden Teufel von Dschibuti“) lädt das Label Ostinato Records zur Entdeckung ostafrikanischer Musik ein. Bereits mit der früheren Veröffentlichung Sweet as Broken Dates hat das Label die einstmals reiche musikalische Tradition Somalias aufgegriffen, bevor das Land in Krieg und Chaos versank.
Das neue Album schöpft aus der gleichen kulturellen Quelle. Nicht von ungefähr hieß das heutige Dschibuti vor seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1977 lange Zeit „Französische Somaliküste“.
Dschibuti ist ein kleines Land. Es grenzt an Somalia, Eritrea und Äthiopien und liegt am Golf von Aden, dort, wo das Rote Meer in den Indischen Ozean übergeht. Seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1977 wird das Land von einer Einheitspartei regiert.
Praktisch alles, auch die Musikbranche, ist staatlich kontrolliert. Musikgruppen dienen vor allem zur Inszenierung von Nationalfeiertagen und anderen staatlichen Ereignissen, die vor allem Propagandazwecke erfüllen sollen.
Seit der Entlassung in die Unabhängigkeit und somit seit vier Jahrzehnten war es keinem einzigen Ausländer erlaubt, mit den Musikern Dschibutis zusammenzuarbeiten. Doch in Verhandlungen mit der staatlichen Rundfunkanstalt Radiodiffusion Télévision de Djibouti (RTD) gelang es dem Label Ostinato Records, Zugang zu den staatlichen Tonträgerarchiven zu erhalten und der Welt die faszinierende Musik dieser Region näherzubringen. Die vorliegende Aufnahme ist allerdings nur indirekt aus dieser Initiative entstanden.
Ein glücklicher Zufall macht es möglich
Durch einen glücklichen Zufall und nach intensiven Gesprächen mit der Regierung Dschibutis erhielt Ostinato Records die Erlaubnis, in dem staatlichen Aufnahmestudio drei Tage mit Groupe RTD zusammenzuarbeiten – also der Band, die normalerweise für offizielle Zeremonien verpflichtet wird. Das Ergebnis ist bemerkenswert.
In der Musik Dschibutis, insbesondere in der Interpretation von Groupe RTD in diesem Album, macht sich nicht nur die geografische Lage des kleinen Landes zwischen Indien, Afrika und dem Nahen Osten bemerkbar.
Die Einflüsse einer Musik der afrikanischen Diaspora mit Funk und Jazz aus den USA sowie Reggae aus Jamaika sind hier besonders deutlich zu erkennen. Aber auch der Einfluss aus dem benachbarten Somalia ist nicht zu unterschätzen.
Die beiden Bandleader, der Saxophonist Mohamed Abdi Alto (den Namenszusatz „Alto“ erhielt er ganz offiziell aufgrund seines virtuosen Spiels) und der Gitarrist Abdirazak Hagi Sufi gehörten zur einst blühenden Musikszene Somalias, bevor sie nach Dschibuti kamen.
Neben ihrer reichen musikalischen Erfahrung bringen sie ihre vielfältigen musikalischen Einflüsse mit ein. Alto ließ sich u. a. von John Coltrane inspirieren, während Sufi sein vom Reggae geprägtes Gitarrenspiel einbringt.
Wie in der Musik Somalias sind die Stimmen von Sängerinnen und Sängern gleichermaßen durchdrungen von den Traditionen Bollywoods und des Nahen Ostens. Das hört man bei Asma Omar und Hassan Omar Houssein, den jungen Leadsängern der Band. Vor allem Asma Omar hat die Intonation und diese besonderen stimmlichen Qualitäten, wie wir sie sowohl aus der populären als auch aus der klassischen Musik Indiens und Pakistans kennen.
Noch mehr beeindruckt, dass die jungen Sänger sechs der zehn Lieder des Albums selbst geschrieben haben: Asma Omar schrieb die beiden für den Anfang des Albums ausgewählten Lieder „Buuraha U Dheer“ (Der höchste Berg) und „Raga Kaan Ka'Eegtow“ (Du bist der, den ich liebe).
Musikalisch einzigartige Mischung
Dem Titel nach würde man erwarten, dass das zweite Lied eher von Südostasien beeinflusst ist, aber das Gegenteil ist der Fall. „Buuraha“ hat den Rhythmus und den Sound von Bollywood, während bei „Raga“ deutliche Anklänge an Reggae, Funk und Soul zu hören sind. Wer den leicht nasalen Tonfall von Sängerinnen aus dieser Region nicht gewöhnt ist, muss sich vielleicht erst einmal in den Klang von Omars Stimme einhören. Doch sie passt perfekt zur Musik und zum Stil der Band.
„Raani“ (Die Königin) ist als vierter Titel des Albums der erste Beitrag von Hassan Omar Houssein. Musikalisch verweilen wir zwar im gleichen Genre, aber Housseins Gesang hat eher Anklänge an den Nahen Osten als an Indien. Es ist ein singender Tonfall darin, der mich an Sänger von Westafrika bis Ägypten und Algerien erinnert.
Es mag mit dem Rhythmus der Sprache zu tun haben. Jedenfalls hat dieser Stil eine unverwechselbare Note, die den Stücken einen für die Region einzigartigen Charakter verleiht.
Das Faszinierende an dieser Musik ist, wie sehr die Stimmen zu einem integralen Bestandteil des gesamten Sounds werden – ganz gleich, wer gerade singt. Im Gegensatz zu der uns vertrauten populären oder klassischen Musik, bei der die Musiker den Sänger begleiten, ist seine Stimme hier ein weiteres Instrument, das zum Gesamtklang beiträgt.
Das mag auf den Einfluss des Jazz zurückzuführen sein. Denn dieses Genre ist eine der wenigen Formen populärer Musik, in der nicht alles auf den Sänger zuläuft. Der Gesang ist sicherlich wichtig für den Sound der Band, aber die Instrumente sind gleichrangig. Der fünfte Titel des Albums, „Alto's Interval“, das nach dem Bandleader benannt ist, scheint als kurzes Instrumentalstück diesen Eindruck zu bestätigen.
Bitte mehr davon!
Das Stück ist ein großartiges Zusammenspiel von Keyboards, Gitarre, Percussion und Saxophon, das all die verschiedenen Einflüsse auf die Band in einem Zwei-Minuten-Stück vereint. Doch trotz der Vielfalt der Klänge, die wir in diesem Stück wie im ganzen Album hören, scheint es mehr mit den Jazz-Fusion-Alben gemein zu haben, wie sie beispielsweise die amerikanische Band Weather Report in den 1970er Jahren veröffentlicht hat, als mit irgendetwas anderem.
Selbstverständlich bleibt dabei immer berücksichtigt, dass die Band musikalisch an der Ostküste Afrikas beheimatet und von Bollywood und arabischen Musiktraditionen durchdrungen ist. Es sind diese einzigartigen Facetten, die die Musik von Groupe RTD und dieses Album gleichermaßen unwiderstehlich machen. Es macht nicht nur Freude, die Lieder zu hören. Es lässt sich zu ihnen auch hervorragend tanzen. Ich möchte denjenigen erleben, der sich dieses Album anhört und gleichzeitig still sitzen bleiben kann.
The Dancing Devils of Djibouti ist nicht nur ein eindrucksvolles Album. Es ist auch die erste international veröffentlichte Musikaufnahme aus diesem kleinen und abgeschotteten Land. Der Sound ist eine Offenbarung. Wir können nur hoffen, dass es sich um die erste Aufnahme in einer langen Reihe weiterer Veröffentlichungen dieser großartigen Musiker handelt.
© Qantara.de 2020
Aus dem Englischen von Peter Lammers