"Der Präsident hat gesprochen, jetzt warten wir auf Taten!"
Der Gezira Club im noblen Kairoer Stadtteil Zamalek ist die grüne Lunge der Stadt. Täglich tummeln sich Tausende gut betuchte Ägypter in dem schicken Club um zu schwimmen, zu laufen oder Golf zu spielen.
Doch wer am Donnerstag, den 4.6.09 auch nur in die Nähe des Areals kam, wurde von ägyptischen Sicherheitskräften sehr bestimmt in eine andere Richtung dirigiert.
Der Sportclub wurde zur amerikanischen Sicherheitszone erklärt, angrenzende Straßen gesperrt und auf dem weitläufigen Golfplatz, wo sonst Abschläge geübt werden, erhoben sich um kurz vor 16 Uhr vier gewaltige Hubschrauber in den Himmel. Zwei flogen in Richtung Flughafen davon, die beiden größeren in Richtung Pyramiden. An Bord: der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama.
Historische Rede an die islamische Welt
Zwei Stunden zuvor hatte Obama seine mit Spannung erwartete historische Rede an die islamische Welt unter großem Beifall an der Universität von Kairo beendet. Die Erwartungen waren hoch und Obama-Kritiker skeptisch, doch in Ägypten überwog schon im Vorfeld die Freude darüber, dass der US-Präsident die Nilrepublik für seine richtungsweisende Rede ausgewählt hatte.
Insgesamt waren 3.000 Menschen in das Auditorium der Universität in Giza geladen worden, darunter auch 300 Studenten der verschiedenen Fakultäten. "Ich mag Obama sehr und setze große Hoffnungen auf ihn", erzählt die 19jährige Alaa, Studentin der Kommunikationswissenschaften kurz vor der Rede. "Und ich bin mir sicher, dass er uns nicht enttäuschen wird."
Auch für die Medizinstudenten Mustafa, Pakinam und Radwa hatte sich der Traum erfüllt, einmal den Präsidenten der Vereinigten Staaten live sehen zu dürfen. "Wir mögen Barack Obama, zuallererst als Menschen und zum zweiten als Präsidenten", sagt Mustafa. Vor allem Obamas familiärer Hintergrund und seine Lebensgeschichte machen es den meisten Ägyptern leicht, sich mit ihm mehr zu identifizieren als mit jedem anderen US-Präsidenten vor ihm. Er könnte schon rein von seinem Aussehen her ein Kind des Landes sein.
Einladung an alle gesellschaftliche Gruppen
Auch die Wahl seines Publikums wird ihm neue Sympathien in Ägypten eingebracht haben. "Er hat sämtliche gesellschaftliche Gruppen jeglicher Couleur eingeladen, ohne jemanden auszuschließen", wird Ahmed Maki, Vizepräsident des Obersten Gerichtshofes in Ägypten, einen Tag nach Obamas Rede in der ägyptischen Tageszeitung "Al Masry Al Youm" zitiert. "Unsere Politiker jedoch tun immer genau das Gegenteil."
Unter den geladenen Gästen im großen Saal der Universität Kairo befanden sich bekannte Oppositionelle, Intellektuelle sowie die höchsten Vertreter des Islams und des Christentums in Ägypten. Im Publikum waren außerdem regimekritische Journalisten zugegen, genau wie die kulturelle und politische Elite des Landes.
Bezeichnend war, dass Staatspräsident Hosni Mubarak nicht persönlich die Rede verfolgte, sondern sich durch sein Kabinett und seinen Sohn Gamal Mubarak vertreten ließ. Mubarak hatte Obama vor seiner Rede zu einem "Vier-Augen-Gespräch" geladen.
Eine Stunde lang sprach Barack Obama – der mit tosendem Applaus und unter Jubel im imposanten Dom der Universität empfangen wurde – über das Verhältnis zwischen den USA und dem Islam, Extremismus, den Nahostkonflikt, die Gefahr durch Atomwaffen. Er sprach über Demokratie, Religionsfreiheit, Frauenrechte und über die wirtschaftliche Entwicklung.
Nicht nur Worte, sondern auch Taten
Seine Ankündigung, den Dialog mit der islamischen Welt neu zu beginnen – und so zu einem besseren Verständnis auf beiden Seiten zu gelangen –, war in der arabischen Welt mit Wohlwollen aufgenommen worden. Doch schon vor der Rede hatten Kritiker moniert, dass Worte alleine nicht ausreichen würden, um den Riss in der Beziehung zwischen Amerika und der islamischen Welt zu kitten.
"Keine Rede kann Jahre des Misstrauens auslöschen", konterte Barack Obama dann auch prompt zu Beginn seiner Rede, und schob gleich ein Zitat aus dem Koran hinterher: "Sei Dir Gottes bewusst und sprich immer die Wahrheit" – "Das ist es, was ich heute versuchen will zu tun!"
Schon mit diesem ersten Koranzitat hatte Barack Obama am Donnerstag die Herzen seines Publikums im Sturm erobert. Im Auditorium gab es kräftigen Applaus und auch aufgrund der Reaktionen nach seiner Rede wurde klar, wie sehr er die Menschen mit seinen Worten berührt hatte.
"Er hat die Zitate sehr weise gewählt", sagte Familienministerin Mushira Khattab. "Am meisten hat mich beeindruckt, dass er über Religionsfreiheit sprach und klar gemacht hat, wie wichtig es ist, andere Glaubensgemeinschaften zu akzeptieren."
Überwältigende Resonanz
Auf den Stufen vor dem Dom der Universität diskutierten Studenten noch eine Stunde nach der Rede über Obama – auch sie hatte der charismatische US-Präsident mit seinen Worten fasziniert. "Ich bin begeistert", berichtet etwa die Medizinstudentin Pakinam nach der Rede und strahlt. "Vor allem sein Respekt vor dem Islam und seine Ankündigung, sich verstärkt um das Thema Bildung in der arabischen Welt zu kümmern, haben mich beeindruckt."
Besonders seine Ausführungen zur reichen Geschichte der islamischen Welt mit all ihrer Errungenschaften und seine weise ausgewählten Koranzitate wirkten wie Balsam für die Seele der Muslime. "Dass er Verantwortung dafür übernimmt, das Bild des Islams zu korrigieren und mit mehreren Zitaten aus dem Koran seinen Respekt für den Islam zeigt, sind sehr gute Zeichen", wird Dr. Mohidin Abdel Halim, Professor an der Al Azhar Universität heute in der regierungsnahen Tageszeitung "Al Ahram" zitiert. Aber er übt auch Selbstkritik indem er erklärt, dass es nicht alleine in der Hand Obamas liegen könne, das Bild des Islams in der Welt zu verbessern.
Genau das ist es auch, was Barack Obama mit seiner Rede erreichen will: den Dialog anzustoßen und nicht nur klar zu machen, wie sehr die islamische Welt respektiert wird, sondern auch, um Verständnis für die USA zu werben. "Unsere Sicherheit beruht auf einer besseren Beziehung mit der islamischen Welt", sagt Dalia Mogahed, Analystin und Direktorin des "Gallup Center für Islamstudien".
Den Kritikern hält sie entgegen, dass dies erst der Anfang eines Prozesses sei. "Jede Tat beginnt mit einem Wort", sagt die junge Frau, die als Expertin an der Rede Obamas mitgefeilt hat.
Am Tag nach der Rede ist Kairo fast wieder zum Normalzustand zurückgekehrt. Nur die für den Präsidenten frisch geteerten und vom Müll befreiten Straßen erinnern noch an den hohen Besuch.
Top-Thema in Ägyptens Medien
Und natürlich sind der Obama-Besuch und seine Rede das Top-Thema in der ägyptischen Presse. Von allen Titelseiten prangen Bilder des US-Präsidenten, mal gemeinsam mit Hosni Mubarak, mal während seiner Rede an der Universität oder bei seinen Besuchen der "Sultan Hassan"-Moschee in Alt-Kairo und an den Pyramiden von Giza.
Die Oppositionszeitung "Al Wafd" hat sich zu einer leicht provokanten Fotokombination hinreißen lassen: Auf der Titelseite sieht man Fotos von Barack Obama und Gamal Mubarak, dem jüngsten Sohn Hosni Mubaraks, der von vielen als Nachfolger des Vaters gehandelt wird, wie beide die Stufen zu einem der Regierungspaläste hinaufsteigen – jung, dynamisch und mit großen Schritten. Kommentar? Nicht nötig.
Sowohl regierungsnahe als auch oppositionelle Zeitungen äußern sich durchweg positiv zu Obamas Rede, aber sie alle wählten auch denselben kritischen Tenor: Die Rede sei so angelegt gewesen, alle zufrieden zu stellen. Alle wichtigen Themen seien angesprochen worden. Und: Die Worte des Präsidenten seien sehr weise und wohlwollend gewählt worden.
"Aber diese Worte müssen auch implementiert werden, um von wirklichem Nutzen zu sein", schreibt die Oppositionszeitung "Al Masry Al Youm". Und auch die regierungsnahe "Al Ahram" macht es in ihrer Überschrift klar und deutlich: "Obama hat gesprochen, jetzt warten wir auf Taten."
Amira El Ahl
© Qantara.de 2009
Amira El Ahl berichtete zwei Jahre lang als Auslandskorrespondentin für den SPIEGEL aus Kairo. Seit 2008 ist sie als freie Korrespondentin im Nahen Osten tätig.
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