Opportunistische Ränkespiele
In Pakistan haben die Kabinettsmitglieder, die Nawaz Sharifs Muslim-Liga angehören, ihren Rücktritt eingereicht. Premierminister Yousuf Raza Gillani von der Pakistan People's Party (PPP) hat die Gesuche vorerst nicht angenommen und will sich erst noch mit seinem Parteichef Asif Ali Zardari beraten.
Der Koalitionskrach geht um die Wiedereinsetzung der von Präsident Musharraf letzten Herbst entlassenen Richter. Die People's Party zögert offenbar, diesen gemeinsamen Beschluss umzusetzen.
Die PPP hatte die Parlamentswahlen im Februar gewonnen. Sie wurde die stärkste Partei im Parlament, einerseits durch ein Sympathie-Votum nach der Ermordung Benazir Bhuttos, andererseits aber auch in einer klaren Anti-Musharraf-Wahl.
Präsident Musharrafs eigene Partei ging bei der Wahl regelrecht unter, während Nawaz Sharifs Muslim-Liga überraschend stark abschnitt – mit einem klaren Anti-Musharraf-Kurs und mit der Haupt-Forderung, Dutzende von Musharraf während des Ausnahmezustands entlassene Richter wieder in ihre rechtmäßigen Ämter einzusetzen.
Euphorie verflogen
Die Wochen nach der Wahl bis hin zur Regierungsbildung waren eine Zeit der Euphorie. Die PPP und Nawaz Sharif einigten sich auf eine Große Koalition und auf die Wiedereinsetzung der Richter innerhalb von 30 Tagen. Mit einem Mal schien Pakistan vor einem demokratischen Neuanfang nach Jahren der Militärdiktatur zu stehen.
Doch schnell kehrte Ernüchterung ein. Die PPP schlüpfte immer mehr in die Rolle des Bremsers und brachte allerlei Einwände gegen die Wiedereinsetzung der Richter vor. Mal sollten deren Rechte eingeschränkt werden; dann sollten die neuen, von Musharraf ernannten Richter ebenfalls im Amt bleiben.
Und dann kam die Idee, der Oberste Richter Iftikhar Chaudhry solle möglichst bald in den Ruhestand geschickt werden.
PPP-Chef Asif Zardari scheint aller Rhetorik zum Trotz doch keinen gesteigerten Wert auf eine unabhängige Justiz zu legen – die sich schließlich auch eines Tages gegen ihn und seine Regierung richten könnte. Außerdem scheint die PPP um beinahe jeden Preis bemüht zu sein, weder Musharraf noch dessen amerikanische Verbündete zu verärgern.
Ganz der alte Stil
Es war ganz der alte politische Stil: Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, am liebsten auch noch außer Landes in Dubai und London; glaubt man nur die Hälfte der kursierenden Verschwörungstheorien, dann hat Präsident Musharraf hinter den Kulissen kräftig seine Finger im Spiel gehabt.
Nachdem zwei Ultimaten verstrichen sind, ist Nawaz Sharif jetzt der Geduldsfaden gerissen – verständlicherweise, denn im Gegensatz zur PPP hat er seine Wahlversprechen noch nicht vergessen.
Die PPP-Führung irrt sich, wenn sie glaubt, weiter Politik im Stil der Neunzigerjahre betreiben zu können – mit Absprachen im Hinterzimmer, heimlichen Deals mit dem Militär und womöglich persönlicher Bereicherung der Parteispitze.
Diese opportunistischen Ränkespiele haben den demokratischen Parteien einen miserablen Ruf eingetragen und der pakistanischen Armee immer wieder Chancen für einen Putsch gegeben.
Die neue Macht der Fernsehsender
Aber Pakistan hat sich in den letzten Jahren verändert. Nach der Armee ruft keiner mehr. Heute führen Dutzende privater Fernsehsender den PPP-Politikern ihre vollmundigen Bekenntnisse zur Unabhängigkeit der Justiz vor und belästigen sie mit kritischen Fragen.
Kann diese demokratische Regierung sie (wie Musharraf im letzten Jahr) etwa einfach knebeln und die Berichterstattung verbieten? Kann sie die Protestdemonstrationen der Anwälte und Richter, die spätestens am Wochenende im großen Stil losgehen werden, genauso wie die Musharraf-Regierung einfach niederknüppeln lassen?
Wohl kaum. Bereits im Juni stehen Nachwahlen an. In ihnen wird die People's Party die Quittung für ihr Zaudern bekommen. Nawaz Sharifs Beharrlichkeit dürfte dagegen belohnt werden.
Die westlichen Länder spielen leider nach wie vor keine besonders glückliche Rolle in diesem Konflikt. Insbesondere die USA unterstützen offenbar weiter Musharraf als Präsidenten, weil sie ihm trotz aller schlechten Erfahrungen zutrauen, den Terrorismus am besten bekämpfen zu können.
Von Menschenrechten und Demokratie in Pakistan ist in Washington, London oder auch Berlin viel zu wenig die Rede. Pakistan braucht aber – auch und gerade, um den Terrorismus wirklich effektiv bekämpfen zu können – stabile demokratische Institutionen wie Parlament und Gerichte.
Die große Mehrheit der Pakistaner sieht das genauso, und sie wird sich am Ende ihre Demokratie erkämpfen, ob nun mit oder ohne die Pakistan People's Party.
Thomas Bärthlein
© DEUTSCHE WELLE 2008
Qantara.de
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