Die Helden sind Texte

Auch das "Alte Europa" war bei der Irak-Invasion dabei. Das dokumentarische Theaterstück "Road to Baghdad" von Hans-Werner Kroesinger durchleuchtet das rhetorische Marschgepäck der Briten.

Von Klemens Vogel

​​Marcel Duchamps stellte Pissoirs in Museen, um sie mit anderen Augen zu betrachten. Der Regisseur Hans-Werner Kroesinger stellt Texte aus. Er entreißt sie dem warmen Bett der Geschichte und zerrt sie auf die Bühne.

In seiner szenischen Montage "Road to Baghdad" arrangiert Kroesinger die Tonspur des Irak-Krieges. Den Weg in die Schlacht sieht er mit Worten gepflastert. Der texanische Rhetor George W. Bush bleibt aber außen vor. "Road to Baghdad" bittet das alte Europa ins Sprachlabor - und lässt nebenbei alte Stereotypen über den Orient anklingen.

Kroesinger nimmt die Kriegsrhetorik der Briten ins Visier. Die oft als Hilfssheriffs der USA belächelten Co-Invasoren sind für ihn "die Vorhut Europas". Auf der Bühne der Sophiensäle in Berlin kommen sie ins Gespräch: der englische Premier Tony Blair, Shakespeares Henry V. und der Golfkrieg-Kommandeur Tim Collins.

The Battlefield Speech

"Road to Baghdad" ist eine diskursive Versuchanordnung, die Helden sind Texte. Die Bilder kennt man: Folternde US-Soldaten, Saddam im Erdloch, der Sturz der Statue, endlose Panzerkonvois. Kroesinger spult den Film zurück, blendet das Bild aus und hört nochmal genau hin, was gesagt wurde.

Frühjahr 2003, im Lager der Kriegswilligen. Es werden Reden gehalten und zu aller Überraschung spricht: das "Alte Europa". Wurde das nicht von Rumsfeld an den Katzentisch geschickt? Europa, sagt Kroesinger, ist auch "The Battlefield Speech". Mit der Schlachtfeldrede stimmt der abendländische Führer seine Truppe auf die Schlacht ein.

"Schärft die Zähne und blast eure Nüstern auf", ruft Henry V. vor der Schlacht gegen die Franzosen. Und im März 2003 erklärt Oberst Tim Collins seinen Jungs kurz vor dem Einmarsch: "Wir kommen, um zu befreien, nicht um zu erobern." Mit Collins-Zitaten titelten damals viele britische Gazetten.

Eine Handvoll Gestalten bevölkert Kroesingers ausufernde Bühne. Alle tragen Anzug, die Uniform der Funktionseliten. Ihre Funktion hier: Sie sind Sherpas, Träger von Text, Medien und Interpreten. Sie geben ein Potpourri aus Evergreens und neusten Klassikern der Kriegspropaganda.

Der Diskurs-Ästhet Kroesinger will Akkorde hörbar machen: Für ihn schwingen der mittelalterliche Heerführer Henry V. und seine modernen Widergänger auf derselben Resonanzfrequenz - der Volksseele. Zu kühler Choreografie redet Blair über Verantwortung und Erkenntnis: "Die Bedrohung ist real". Collins gibt moralische Wegzehrung, spricht vom großen Schritt, "ein Menschenleben zu nehmen" und beschwört die bessere Zukunft für den Irak. Ein Pathos der Ratio.

Liebe zwischen Volk und Führer

Gemütlicher wird es bei der Schalte nach Bagdad. Mitten in die Ränge hat Kroesinger einen Diwan drapiert, mit Kissen und orientalischen Tüchern. Hier spielt das Kontrastprogramm: Das Märchen "Zabibah und der König", das 2001 im Irak veröffentlicht wurde. Ein Propagandacoup Saddams.

Zabibah, Geliebte des Königs, wird von ihrem Ehemann vergewaltigt. Der König will Rache üben, ist aber durch eine Verschwörung zur Vorsicht gezwungen. Der gerechte aber gefährdete König, die unschuldige Zabibah, der böse Ehemann: Klar, dass hier Saddam, das irakische Volk und die USA gemeint sind. Auf dem Diwan wird es hitzig und intim. Es geht um die Liebe zwischen Volk und Führer. Zwischendurch radebrecht eine Saddam-Figur Durchhalteparolen.

Ratio versus Libido - diese konträren Propagandastrategien von Okzident und Orient identifiziert Kroesinger. Ein neuer Kontext, altbekannt. Der Westen argumentiert, der Osten emotionalisiert. Kroesingers Diskurs-Inszenierung dokumentiert nicht zuletzt ein altes Klischee. Dabei ist der Saddam-Heroismus vor allem typisch für Diktaturen, für das (europäische) Nazi-Deutschland allemal.

In Demokratien ist Pathos ebenso mächtig, aber kurzlebig. Politische Idole haben eine geringe Halbwertszeit. Der Kriegsheld Tim Collins wurde bereits kurz nach der Invasion beschuldigt, irakische Zivilsten misshandelt zu haben. Und Tony Blair steht wegen der Irak-Politik mit dem Rücken zur Wand. Seine Labour-Partei verweigert ihm die Gefolgschaft und 42 Prozent der Briten wünschen derzeit seinen Rücktritt.

Klemens Vogel

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004