Wenn der Schmerz zeichnet

Die Künstlerin Manna Hamouda neben einem Selbstporträt
Die palästinensische Künstlerin Menna Hamouda neben einem Selbstporträt (Foto: Karim El-Gawhary)

Die erst 21 Jahre alte Künstlerin Menna Hamouda im Gazastreifen drückt in ihren Wandmalereien den ganzen Schmerz über fünf Monate Leid und Zerstörung aus.

Von Karim El-Gawhary

Es sind düstere Porträts, die die junge palästinensische Künstlerin Menna Hamouda an die Hauswände im Gazastreifen zeichnet: Schreiende Frauen mit Kindern in Leichentüchern, ausgelaugte Gesichter, von denen nicht klar ist, ob sie noch lebendig oder schon tot sind. Die Kombination aus den schwarzen Kohlestücken und der weißen Kreide, die sie für ihre Zeichnungen auf die Wände verwendet, geben dem Ganzen noch etwas zusätzlich Finsteres, Rudimentäres, etwas Existenzielles. 

Die 21-jährige Menna hat in den letzten fünf Monaten zu viel erlebt. Sie hat zu oft in den Abgrund geblickt. Sie stammt aus Beit Lahia im Norden des Gazastreifens, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel. Es ist der Ort, den die israelische Armee nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober auf den Süden Israels als erstes unter Feuer genommen hat.  

Sechs Tage lang hatte Menna in dem Ort ausgeharrt, in dem heute kaum mehr ein Stein auf dem anderen steht. Dann wurde die Bombardierung zu intensiv. "Wir wollten nur noch lebend herauskommen, das war unser einziges Ziel“, blickt sie zurück.  Über zehn Kilometer waren sie zu Fuß bis nach Gaza-Stadt geflüchtet, wo sie einen weiteren Monat in einer Schule Zuflucht fanden, bevor Gaza-Stadt zum Zentrum der Kampfhandlungen wurde und die israelische Armee den Zivilisten einen sicheren Korridor in Richtung Süden versprach. 

Menna Hamouda beim Mischen der Farben
Menna Hamouda sagt über sich selbst: "Sie ist stark, Menna versucht, ihren Schmerz zu verstecken. Aber gleichzeitig versucht sie, all den Schmerz, der in ihr steckt, herauszufordern.“ (Foto: Karim El-Gawhary)

Vom alten Leben ist nichts mehr übrig

"Das war eine Lüge. Überall waren Panzer, es wurde geschossen, in unserer unmittelbaren Nähe wurde bombardiert. Es war einmal mehr ein Wunder, dass wir überlebt haben und in Deir El-Balah ankamen“, sagt sie heute dazu. 

Die Stadt im zentralen Gazastreifen ist nun ihr neues Zuhause oder genauer gesagt ist ihr Zuhause ein Zelt, in dem sie mit ihrer sechsköpfigen Familie lebt, darunter ihrem schon vor dem Krieg wegen einer neurologischen Störung gelähmten Vater, den sie den ganzen Weg in einem Rollstuhl geschoben haben. "Ich habe nichts von meinem alten Leben mitgebracht, außer dem, was ich anhatte und tragen konnte“, sagt sie. 
  
Menna hatte in ihrem alten Leben in Beit Lahia ein kleines Studio, in dem sie anderen das Zeichnen beibrachte. Kunst, das war für sie vor allem Spaß mit fröhlichen Farben und Bildern. Von ihrem Handy schickt sie Fotos und Videos aus dieser Zeit. Darauf ist eine Gruppe zu sehen, die in ihrem Studio unter ihren Anweisungen Porträts von Teenagern zeichnet. Ein anderes Video zeigt Menna, wie sie die Wände einer Schule in rosa und himmelblau bemalt, mit Motiven von lachenden und spielenden Kindern. Eine lächelnde Menna blickt farbverschmiert in die Kamera.  

Menna Hamouda in ihrem früheren Leben
Menna Hamouda in ihrem alten Leben in Beit Lahia, einem Ort im Norden des Gazastreifens in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel. Sie hatte ein kleines Studio, in dem sie anderen das Zeichnen beibrachte. Kunst, das war für sie vor allem Spaß mit fröhlichen Farben und Bildern. (Foto: Karim El-Gawhary)

Ein Leben in Angst

"Menna vor dem Krieg, das war ein Mädchen voller Optimismus. Sie hat das Leben geliebt und ist mit ihren Freunden ausgegangen. Sie hat von lokalen und internationalen Ausstellungen geträumt“, erzählt sie über sich in der dritten Person, während sie in ihrem Zelt auf dem Boden sitzt.  Das alte Leben ist wie ein Film, der heute keine Bedeutung mehr hat. 

Aber auch Deir El-Balah ist kein sicherer Ort. "Anfangs dachte ich, wir seien hier jetzt geschützt, aber auch hier wird jeden Tag bombardiert. Jedes Mal, wenn ich geflohen bin, ist ein weitere Teil von mir gestorben, tausendfach“, erzählt sie. Menna ist, wie die meisten Menschen im Gazastreifen von dem Erlebten und der ungewissen Zukunft traumatisiert. 
 
"Ich habe Freunde verloren, meine Kollegen, viele Menschen, die ich geliebt habe. Manche liegen immer noch unter den Trümmern, andere sind verletzt. Von anderen habe ich keine Nachricht”, sagt sie und fügt hinzu: "Ich habe immer Angst, dass ich als nächste an der Reihe bin“. Diesen Satz spricht sie nicht mehr in der dritten Person.  

Die Bilder zeigen ihre Erlebnisse

"Ich bin Künstlerin und versuche zu beschreiben, was in mir vorgeht, und die ganze negative Energie dieses Ortes in Bilder zu fassen,“ sagt sie und packt ihre Tasche, um außerhalb des Zelts zu arbeiten. Da sie ihre Künstlerutensilien bei der Flucht hinter sich lassen musste, nutzt sie Kohlestücke und Kreide, die sie in den benachbarten Schulen gefunden hat.  
 
"Die Kreide ist eigentlich für Schultafeln und nicht für Hauswände gedacht. Aber im Gazastreifen muss die Künstlerin oder der Künstler mit dem Vorlieb nehmen, was sie oder er für ihre Arbeit findet. Die Kunst, die wir schaffen, hängt nicht nur von dem ab, was wir können, sondern auch von dem, was wir zur Verfügung haben“, erläutert sie.  
 
Sie möchte, dass ihre Zeichnungen überall gesehen werden, deswegen gehe sie auf die Straße und bemale Häuserwände. Die Bilder erzählen nicht die Geschichten von anderen, sie zeigen selbst Erlebtes, erklärt sie. "Ich höre jeden Tag eine Menge Geschichten. Sie bleiben in mir, in meinem Kopf und in meinem Herzen, eine ganze Menge verstörender Erinnerungen“, so beschreibt sie das.  

Menna Hamouda in dem Zelt, in dem sie jetzt lebt.
Menna Hamouda in dem Zelt, in dem sie jetzt mit ihrer sechsköpfigen Familie lebt, darunter ihrem schon vor dem Krieg wegen einer neurologischen Störung gelähmten Vater, den sie den ganzen Weg in einem Rollstuhl geschoben haben. "Ich habe nichts von meinem alten Leben mitgebracht, außer dem, was ich anhatte und tragen konnte“, sagt sie. (Foto: Karim El-Gawhary)

Ihre Haare sind schon ergraut

Und dann spricht sie über ihre Werke mit Sätzen wie "diese Frau weint und schreit gleichzeitig“ und "dieser Junge hat seine ganze Familie verloren, er war der einzige Überlebende“ oder "dieses Baby ist drei Monate alt, es ist tot“. "Dieses kleine Mädchen versucht, etwas zu essen zu finden“, erklärt sie, oder "dieser junge Mann hat hart gearbeitet und gespart, um sich ein Appartement leisten zu können und jetzt sitzt er vor den Trümmern seines Hauses“. Es sind die tragischen Geschichten, die jeden Tag im Gazastreifen geschrieben werden, festgehalten in Porträt-Zeichnungen auf Häuserwänden. 
 
Und dann steht sie vor ihrem Selbstporträt. Sie trägt in diesem Moment ein Kopftuch, aber das Porträt der 21-Jährigen zeigt ihre offenen, schon angegrauten Haare. Ihr Blick ist starr. Aus einem Auge rinnen schwarze Tränen, das andere ist überdeckt von einer Hand, auf der eine palästinensische Fahne gemalt ist. Darunter läuft Blut über ihr Gesicht. 

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Die Künstlerin beschreibt ihr Selbstporträt mit den folgenden Worten: "Sie ist stark, Menna versucht, ihren Schmerz zu verstecken. Aber gleichzeitig versucht sie, all den Schmerz, der in ihr steckt, herauszufordern.“ Da ist sie wieder, die dritte Person. 

Es ist ein Schmerz so tief, wie ihre Bilder finster sind. Er zeugt von toten Menschen und verwaisten Kindern. Ein Schmerz, ausgedrückt von einer Frau, die erst 21 Jahre jung ist. Eine strapazierte Künstlerseele im Gazastreifen nach über fünf Monaten Leiden und Krieg. Mit einer jungen Kreativität, der das Licht ausgeschaltet wurde und in der nur noch die dunkelste Seite des Lebens zum Vorschein kommt.  

Karim El-Gawhary 

© Qantara.de 2024   

Anmerkung: Der Text stützt sich auf Material eines lokalen Kameramannes in Deir El-Balah, der im Auftrag des Autors dort gefilmt und Interviews gemacht hat. Im Gazastreifen arbeiten derzeit nur palästinensische Journalisten. Ausländische Jour­na­lis­tin­nen und Journalisten kommen derzeit in der Regel nur mit der israelischen Armee nach Gaza.