Mythen und Wirrungen
Der heute 94jährige ist so ziemlich alles in seinem Leben gewesen: Roger Garaudy war Protestant, dann Katholik und schließlich Muslim. Er war aber auch "Hausphilosoph" der französischen kommunistischen Partei bis zu seinem Parteiausschluss im Jahr 1970, später Anhänger der Befreiungstheologie in Lateinamerika und "Präsidentschaftskandidat" in eigener Sache. Und dann wurde er Auschwitzleugner, gewissermaßen ein ideologischer Geisterfahrer.
Sein Prozess – dessen zehnter Jahrestag sich in diesem Monat nähert und der mit Garaudys Verurteilung wegen Holocaustleugnung in Wort und Schrift endete – zog Neonazis, Verschwörungstheoretiker und prominente Geschichtsrevisionisten gleichermaßen an. Sie blieben Garaudy als letzte Verbündete und waren massenhaft gekommen, um ihn vor dem Pariser Gericht zu unterstützen.
Mythenbildung und Feindbilder
In ihrem Buch "Itinéraire d'une négation", das jetzt neu erschienen ist, beleuchten Michaël Prazan und Adrien Minard die Hinter- und Abgründe des umstrittenen Philosophen. Die beiden Autoren haben selbst Garaudys Prozess verfolgt, seine zahlreichen Bücher ausgewertet und mit unterschiedlichen Zeitzeugen gesprochen.
Heute ist Roger Garaudy zu betagt, um noch aktiv zu sein. Zuletzt war er mit seinen geschichtsrevisionistischen Thesen in der Öffentlichkeit aufgetreten.
Diese letzte Phase seines wechselhaften Engagements beginnt im Winter 1995/96: Damals hatte Garaudy eine Schrift mit dem Titel "Die Gründungsmythen der israelischen Politik" (Les mythes fondateurs de la politique israélienne) veröffentlicht.
Diese war zunächst nur Eingeweihten per Postversand zugänglich, wurde jedoch einige Monate später auch als Buch veröffentlicht. Darin zieht Garaudy die Realität des Völkermords an den europäischen Juden in Zweifel und stellt ihn als bloßen Vorwand für eine aggressive Politik des Staates in Israel dar.
Aufgrund diverser Textpassagen wurde Garaudy im Januar 1998 in erster Instanz wegen Holocaustleugnung zu neun Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 160.000 französischen Francs verurteilt.
Ein Superstar in der islamischen Welt
Zur selben Zeit wurde Garaudy aber auch in Teilen der arabischen Welt als eine Art Superstar gefeiert. Besonders in Ägypten und in Jordanien wurde ihm 1998 ein triumphaler Empfang an Universitäten und auf Großveranstaltungen bereitet – als Held und Märtyrer, der in der westlichen Welt und von "den Zionisten" wegen seiner störenden Meinungsäußerungen verfolgt werde.
Seine damalige Tournee durch den Nahen und Mittleren Osten führte Garaudy als letzte Station auch in den Iran. In Teheran wurde er im April 1998 durch höchste Autoritäten der Islamischen Republik empfangen, unter ihnen der als moderat geltende Präsident Mohammed Khatami sowie Revolutionsführer Ali Khamenei.
Bis heute ist Garaudy dort noch immer populär. So wird der auch als "Raja" bezeichnete Garaudy von Teilen der muslimischen Medien oft zitiert.
Eines der Motive dafür liegt auf der Hand: Durch seine Argumentation über die "Gründungsmythen der israelischen Politik" streitet Garaudy Israel einen der historischen Gründe seiner Existenz fundamental ab – die mörderischen Konsequenzen des Antisemitismus im Europa des 20. Jahrhundert –, sodass er damit scheinbar Munition im politischen Konflikt mit Israel liefert.
Abwegige Kritik zum Schaden der Araber
Obwohl Prazan und Minard selbst eher pro-israelisch eingestellt sind und als Befürworter der Politik der westlichen Staaten gelten, arbeiten sie gut heraus, dass Garaudy den Arabern dadurch in Wirklichkeit gar keinen Gefallen tut. Denn mit ihm wird die Kritik an Israel auf eine historisch, politisch sowie moralisch fragwürdige, ja unhaltbare Grundlage gestellt.
Doch hat Roger Garaudy in den arabischen Welt und im Iran keinesfalls nur Freunde: Prazan und Minard erwähnen in diesem Kontext die Einladung Garaudys und anderer prominenter Auschwitzleugner zu einer großen Konferenz zum Thema "Revisionismus und Zionismus".
Diese sollte Ende März und Anfang April 2001 in Beirut stattfinden, musste jedoch, aufgrund innenpolitischer und internationaler Proteste, in letzter Minute abgesagt werden.
Eine Reihe prominenter arabischer Intellektueller hatten sich in einer Petition gegen diese Veranstaltung und gegen die Garaudys Popularität ausgesprochen. Unter ihnen befanden sich etwa der libanesische Dichter Adonis und der Schriftsteller Elias Khoury, die palästinensischen Intellektuellen Edward Said und Elias Sanbar sowie der Poet Mahmud Darwisch und der algerisch-französische Historiker Mohammed Harbi.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2008
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