Leeres Versprechen

US-Präsident Obama hat eingeräumt, die Frist für die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo nicht einhalten zu können. Die USA scheinen damit in die schlechte Gewohnheit zurückzufallen, sich nicht ans Gesetz zu halten. Balakrishnan Rajagopal kommentiert.

Von Balakrishnan Rajagopal

Die Widersprüche der US-Regierung im Umgang mit dem Gefangenenlager Guantánamo lassen sich anhand von vier Beispielen aufzeigen:

Erstens beharrt die US-Regierung trotz des Versprechens, das Lager zu schließen, auf dem vermeintlichen Recht, Gefangene ohne Prozess und Anklage unbegrenzt festzuhalten, wenn sie diese für gefährlich hält. Diese Zweideutigkeit ist schädlich. Aus Menschenrechtsperspektive ist der Grundfehler von Guantánamo, dass Menschen ohne gerichtliche Überprüfung auf unbestimmte Zeit ihrer Freiheit beraubt werden. Solange Wash­ington an dieser Praxis festhält, braucht es irgendeine Art von Gefängnis - ob in Guantánamo oder anderswo. Das Problem ist also nicht Guantánamo, sondern die ungesetzliche Internierung.

"Globales Verhaftungsrecht"

Zweitens maßt sich Obamas Regierung wie die seines Vorgängers George Bush so etwas wie ein "globales Verhaftungsrecht" an. Sie fühlt sich berechtigt, jeden und jede überall festzunehmen, den oder die sie des Terrorismus oder der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt. Im internationalen Recht gibt es keine Grundlage für solch eine umfassende extraterritoriale Vollmacht. Zumindest müssten die Gegenden, in denen eine fremde Regierung zu solchen Handlungen berechtigt sein könnte, nach der Genfer Konvention definiert werden.

Amnesty International-Aktivisten demonstrieren für die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo; Foto: AP
Moralischer Sündenfall der amerikanischen Politik: Die Haftbedingungen im Lager Guantánamo werden bis heute von vielen Menschenrechtlern kritisiert.

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Wenn Obama wirklich den im Juni in Kairo versprochenen "Neuanfang" wollte, hätte er diese ungesetzliche globale Verhaftungspraxis verbieten lassen müssen, die Lager wie in Guantánamo erforderlich macht.

Drittens hält die Obama-Regierung an der "Rendition" genannten Auslieferungspolitik fest, auch durch den CIA. Das bedeutet, dass Individuen an andere Länder übergeben werden, die dann foltern und anderweitig misshandeln.

Rechtlich umstrittene Auslieferungspolitik

Rendition führt zur nach internationalem Recht absolut verbotenen Folter. Obamas schöne Rhetorik, derlei unterbinden zu wollen, klingt hohl, solange die Auslieferungspolitik fortbesteht. Darüber wird aber in den USA nicht ernsthaft diskutiert, obwohl ein italienisches Gericht der Praxis im November einen harten Schlag versetzt hat. Es verurteilte 23 CIA-Agenten, weil sie 2003 einen muslimischen Geistlichen in Mailand entführt und nach Ägypten gebracht hatten. Viertens ist Obamas Guantánamo-Politik eng mit dem Einsatz von Militärkommissionen in der Rechtsprechung verknüpft. Die Bush-Regeriung hatte das Militärkommissionsgesetz geschaffen, um die reguläre Justiz zu umgehen. Der Supreme Court urteilte 2008, dass alle Gefangenen in Guantánamo das Recht haben, von der US-Justiz prüfen zu lassen, ob sie rechtmäßig festgehalten werden. Das gleiche Urteil ließ aber Militärkommissionen als Alternative zu formalen US-Gerichten zu. Die Obama-Regierung reformierte dieses Gesetz, um es zu verbessern. Das ist aber rechtlich schizophren, weil es bei einem zweigleisigen Rechtssystem bleibt.

US-Präsident Barack Obama vor dem Weißen Haus; Foto: AP
Inzwischen mehren sich die Befürchtungen, dass Obama doch kein transformativer Präsident in Sachen Menschenrechte ist – trotz bester Intentionen.

​​Während einige Verdächtige vor Bundesgerichten angeklagt werden, kommen andere vor Militärkommissionen. Da macht es keinen Unterschied, dass sie im Behördenjargon nicht mehr als "ungesetzliche feindliche Kämpfer", sondern "unprivilegierte feindliche Kriegsteilnehmer" bezeichnet werden.

Justiz mit zweierlei Maß

Die Tatsache, dass nur Gefangene ohne US-Staatsangehörigkeit vor den Militärkommissionen angeklagt werden, wird weltweit für öffentliche Empörung sorgen – sowie zu Vorwürfen wegen Ungerechtigkeit und zweierlei Maß. Stattdessen hätte die US-Regierung einfach beschließen können, alle Zivilisten vor Bundesgerichte zu stellen, wenn sie Beweise gegen sie hat, während bewaffnete Kämpfer sich vor den regulären Militärgerichten verantworten müssten. Präsident Obama hat nicht nur unter Menschenrechtsaktivisten große Hoffnungen genährt, weil er versprach, die Fehler seines Vorgängers zu korrigieren.

Doch jetzt mehren sich Befürchtungen, dass er doch kein transformativer Präsident in Sachen Menschenrechte ist – trotz bester Intentionen. Dass er in seiner Nobelpreisrede das Recht auf "gerechte Kriege" verteidigte, ist kein ermutigendes Zeichen.

Balakrishnan Rajagopal

© Zeitschrift Entwicklung & Zusammenarbeit 2009 Balakrishnan Rajagopal ist Professor für Recht und Entwicklung. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) leitet er das "Programme on Human Rights and Justice" sowie interim die "International Development Group".