Erste Militärimame für die Truppe
Der Tod eines Kameraden, die Trennung von der Familie, Lagerkoller: Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz arbeiten unter harten Bedingungen. Geraten sie in seelische Not, kümmern sich – je nach Glaubensrichtung – ein Militärpfarrer oder ein Militärrabbiner um sie.
Militärimame für muslimische Soldat*innen gibt es bislang noch nicht. „Als ich 2011 in Afghanistan war und mein Vater krank war, hätte ich gern jemanden gehabt, der mir Mut zuspricht”, sagt Nariman Hammouti, Bundeswehr-Soldatin und Muslima. „Zwar waren mein Chef und meine Kameraden für mich da, aber es ist etwas anderes, wenn man Zuspruch im Glauben sucht.“
Die 46-Jährige aus Hannover hat schon mehrere Auslandseinsätze absolviert. Seit Jahren engagiert sie sich für die Bedürfnisse von Soldat*innen mit Migrationshintergrund.
Nun hat die Bundeswehr beschlossen, die Militärseelsorge für Muslim*innen tatsächlich einzuführen. „Mit den 3.000 muslimischen Soldatinnen und Soldaten, die wir mittlerweile haben, ist es uns wichtig, die Vielfalt anzuerkennen und ein eigenes seelsorgerisches Betreuungsangebot zu schaffen“, sagt Oberst Thorsten Weber, der im Verteidigungsministerium das Referat für Innere Führung und Militärseelsorge leitet. Die Zahl beruht auf einer Schätzung; eine Angabe der Konfession ist für Soldat*innen nicht verpflichtend.
Wie Kapitänleutnantin Hammouti hatten sowohl muslimische Verbände als auch die beiden letzten Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Eva Högl und Hans-Peter Bartels, die Einführung von Militärseelsorge für Muslim*innen gefordert – ein Wunsch, der in der muslimischen Community seit über zwanzig Jahren besteht.
Bei der Bundeswehr gibt es aktuell rund hundert evangelische und achtzig katholische Militärpfarrer. Seit 2021 kümmern sich auch Militärrabbiner um die Betreuung jüdischer Soldatinnen und Soldaten. Die neun Rabbiner, die das Militärrabbinat mittlerweile zählt, sind für schätzungsweise 300 jüdische Soldat*innen bei der Bundeswehr zuständig.
Zunächst keine Imame im Auslandseinsatz
Bei der geplanten muslimischen Seelsorge geht es zunächst um ein Pilotprojekt, das Anfang 2026 starten soll. Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung sollen die ersten muslimischen Seelsorger für die Bundeswehr rekrutiert werden, die auf der Grundlage einer Leistungsvereinbarung arbeiten sollen. Das heißt, die seelsorgerische Betreuung soll vorerst nach Bedarf erfolgen und quasi stundenweise eingekauft werden.
Der Einsatz wird zunächst auf Deutschland begrenzt sein. Unklar sei noch, wie viele Militärimame man brauche, sagt Weber. Das Pilotprojekt sei auf unbestimmte Zeit angelegt; die Militärseelsorge für Muslime wird damit also keinen institutionalisierten Charakter haben, wie es bei der christlichen und jüdischen Militärseelsorge der Fall ist.
Dies hat mit der rechtlichen Lage zu tun: „In Deutschland haben wir die Herausforderung, dass es keinen alleinigen Vertreter der muslimischen Religionsgemeinschaft gibt”, erklärt Weber. Deswegen sei es nicht möglich, einen Staatsvertrag mit einem bestimmten Ansprechpartner einzugehen.
Ein Vertrag zwischen der Bundesrepublik und einer Religionsgemeinschaft, wie ihn Juden, Katholiken und Protestanten haben, sei jedoch Grundlage für eine voll institutionalisierte muslimische Militärseelsorge mit Zugang zu den Kasernen, so Weber. Letzteres wiederum wäre bei Auslandseinsätzen unerlässlich.
Doch Juristen wie Benedikt Plesker von der Kölner Kanzlei Lenz und Johlen sehen das anders: „Ich denke schon, dass man auch auf vertraglicher Basis eine feste Militärseelsorge anbieten kann. Dafür braucht es meines Erachtens keinen Staatsvertrag. Das ist eigentlich eher eine Frage des politischen Willens und vor allem auch der Finanzierung.”
Klar sei auch, „dass ohne eine gescheite Finanzierung alle Versuche in den Pilotprojekten stecken bleiben und sich dann keine verfestigte militärische Seelsorge für muslimische Soldatinnen und Soldaten etablieren kann“, sagt der Jurist.
Briten haben auch für Hindus Ansprechpartner
Nach anfänglicher Freude über die Kehrtwende der Bundeswehr sieht Nariman Hammouti die zaghafte Herangehensweise skeptisch und verweist auf Positivbeispiele bei NATO-Bündnispartnern. In Deutschland gebe es „viele Wenn’s”, sagt sie.
„Dabei geht es doch: Die Briten haben eine Militärseelsorge für Muslime – die haben sogar auch für Hindus Ansprechpartner –, die Holländer, die Belgier und auch die Franzosen haben eine.”
Außer Acht lassen sollte man auch nicht, dass die Bundeswehr künftig mehr Personal brauche, da die Bedrohung näher gerückt sei. „3.000 bis 5.000 Muslime in Uniform, die bereit sind, für ihr Land ihr Leben zu geben, sollte man nicht einfach ignorieren“, sagt Hammouti.
In Frankreich gibt es bereits seit 2005 eine fest institutionalisierte muslimische Militärseelsorge. Die ersten Militärimame der französischen Armee waren allerdings schon vorher im Einsatz. Als Kolonialmacht in Nordafrika war das Land schon früh mit den Bedürfnissen muslimischer Soldat*innen konfrontiert.
„Frankreich ist ja ein laizistischer Staat, der sehr ungerne die Religionen in den staatlichen Bereich hineinlässt. Trotzdem hat es das Land geschafft, seit Jahrzehnten eine Seelsorge für die Muslime aufzubauen, zu institutionalisieren – mit sehr pragmatischen Wegen, weil das natürlich auch nicht reibungslos lief“, erklärt Benedikt Plesker.
Soldatinnen und Soldaten - aber ohne Seelsorge
Leutnant Nariman Hammouti-Reinke riskierte für Deutschland ihr Leben in Afghanistan. Aber religiös fühlt sie sich von der Bundeswehr allein gelassen, obwohl die Zahl der Muslime in der Truppe wächst. Von Christoph Strack
Mit Blick aufs europäische Ausland lasse sich sagen, dass der Aufbau einer Militärseelsorge für Muslim*innen immer auch von Kooperationsbereitschaft und Finanzierung abhängt, so der Jurist. Auch in den Niederlanden oder in Großbritannien stelle sich die Frage, mit wem der Staat kooperieren kann. Das Problem, dass es nicht die eine muslimische Körperschaft oder eine islamische Kirche gibt, sei dasselbe. „Das ist in ganz Europa vergleichbar“, so Plesker.
Am besten gelungen sei die Etablierung einer Militärseelsorge für Muslim*innen in Frankreich und Großbritannien. Wesentlich dazu beigetragen habe vor allem eine umfangreiche Finanzierung. Nebst christlicher, jüdischer und muslimischer Militärseelsorge habe man dort seit einigen Jahren sogar multireligiöse Angebote im Blick.
„Das wäre auch für Deutschland ein Modell“, glaubt der Jurist, „würde aber voraussetzen, dass die bestehenden Staatsverträge angepasst werden und es vor allem eine sehr auskömmliche Finanzierung gibt. Dafür sehe ich momentan keine politische Mehrheit“, so Plesker.
Die Bundeswehr will Schritt für Schritt vorgehen und sich an den Bedürfnissen muslimischer Soldatinnen und Soldaten orientieren, sagt Oberst Weber. Nachdem man erste Erfahrungen innerhalb Deutschlands gesammelt habe, könne man auch über Auslandseinsätze von Militärimamen nachdenken. Bis dahin findet sich möglicherweise auch eine juristische Lösung, um den muslimischen Seelsorgern den Zugang zu Militäreinrichtungen im Ausland zu ermöglichen.
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