Furcht vor dem Single-Leben
Heiratsvermittlung via Internet ist in der ägyptischen Gesellschaft eine neue Erscheinung. Orientalische Gesellschaften sind sehr traditionell, es gilt als unschicklich, wenn junge Frauen aus arabischen Ländern die Suche nach einem Bräutigam selbst in die Hand nehmen. Befürworter und Gegner dieser neuen Online-Dienste führen derzeit hitzige Diskussionen.
Der Streit in der Öffentlichkeit spitzte sich zu, nachdem der Vorsitzende des Rechtsgutachterrates der al-Azhar-Universität in Kairo, Dr. Ali Djum'a, eine Fatwa herausgab, welche die Vermittlungsagenturen, auch die Heiratsvermittlung via Internet, erlaubt.
Der Mufti machte zur Bedingung, dass die Klienten wahrheitsgemäße Angaben zu ihrer Person machen und Frauen nur mit Zustimmung ihrer Familie oder eines Vormunds teilnehmen. Verboten wurden in der Fatwa aber Agenturen, denen es nur um Profit geht oder die junge Frauen zu Treffen ermutigen, ohne dass ihre Familie davon informiert wird.
Offizielle Genehmigung des Innenministeriums
Al-Walid al-Adil, ehemaliger Professor für englische Literatur an der University of California, ist nicht nur der erste, sondern auch der prominenteste Ägypter, der eine Agentur für Heiratsvermittlung betreibt. Seine Anzeigen schaltet er über verschiedene Medien. Die Idee für sein Unternehmen kam al-Adil nach dem Scheitern seiner Ehe. Nach der Scheidung vergingen Jahre mit der Suche nach einer neuen Lebensgefährtin.
Ende 1999 fand die Eröffnung seines Vermittlungsbüros statt, für die er die amtliche Zustimmung des Innenministeriums erhalten hatte, außerdem die des Muftis. Zuerst vermittelte die Agentur nur wenige junge Männer und Frauen. Dann fand das Modell immer mehr Zuspruch. 42 Prozent der Klienten, so belegen die Einträge der Agentur, wurden vermittelt.
Seine Klienten müssen sich vorstellen und ein Formular ausfüllen, für das sie 50 ägyptische Pfund bezahlen. Darin werden Angaben verlangt wie Name, Alter, gesellschaftliche Position, Beruf, Adresse und Telefonnummer.
Der Klient macht außerdem Angaben darüber, wie er sich seinen Partner vorstellt, so etwa Größe, Alter, Fähigkeiten, Beruf, Einkommen, finanzielle Situation, gesellschaftliche Position und Bildungsniveau. Manchmal werden auch konkretere Wünsche geäußert, die etwa das Gewicht, die Haut- oder Augenfarbe betreffen.
Auf der ersten Seite der Akte des Bewerbers ist ein aktuelles Foto. Alle weiteren Angaben werden in den Computer eingepflegt, und es beginnt die Suche nach einem passenden Partner für die Vermittlung.
Rendez-vous in Familienbegleitung
Ist er dann gefunden, trifft man sich das erste Mal im Vermittlungsbüro, in dem – wie vom Mufti bestimmt – ein Familienangehöriger der jungen Frau anwesend ist. Hier endet die Vermittlungsarbeit. Wenn die beiden Klienten ihre Bekanntschaft vertiefen und sich zur Heirat entschließen, müssen sie noch einmal 300 ägyptische Pfund bezahlen.
Al-Adil sagt, in seiner Kartei befinden sich männliche Bewerber zwischen 19 und 91 Jahren, bei den Frauen reicht das Alter von 16 bis 80 Jahre. Im Verhältnis stehen 62 Prozent männliche Klienten zu 38 Prozent Klientinnen, zwei Prozent der Bewerber sind Kopten.
Die wichtigsten Grundsätze für die Arbeit seiner Agentur, so al-Adil, sind absolute Diskretion und eine ausgeweitete Suche nach dem geeigneten Partner. Garantiert wird allerdings auch für eine genaue Überprüfung der Eigenschaften sowie für eine analytische und religiöse Beurteilung der Persönlichkeit. Dafür beschäftigt al-Adil einen Rechtsberater sowie soziologisch und psychologisch geschulte Fachkräfte.
Einige junge Männer und Frauen bestätigten, die Vermittlungsagenturen seien sehr wichtig, obwohl es heutzutage mehr Freiheit und Raum für die Begegnung beider Geschlechter gebe. Trotzdem hätten die Partner oft Schwierigkeiten, einander zu begegnen, zu sehr sei man mit Studium und Arbeit beschäftigt.
Sie finden die Kritik an den Agenturen ungerechtfertigt, zumal grundsätzlich kein Unterschied zur Vermittlung durch die traditionelle Brautwerberin bestehe. Diese kannte alle Familien des Viertels und trug die Bilder der Mädchen zu den jungen Männern, die sich für einen bestimmten Betrag eine Braut aussuchten. Mit der Zeit, meinen die jungen Klienten, wird sich die Gesellschaft für die Agenturen öffnen und sie nicht mehr als Traditionsbruch empfinden.
Online-Partnervermittlung als "Viehmarkt"?
Andere bezeichnen die Partnervermittlung durch Agenturen oder Internetdienste als "Viehmarkt", in denen das Mädchen sich als Ware zur Schau stellt für alle, die sie anklicken und sich dann für sie interessieren. Das widerspreche dem orientalischen Sittlichkeitsgefühl. Die Heiratsvermittlung via Internet sei viel schlimmer als die Vermittlung durch offiziell bestätigte Agenturbüros, da man dort mit der Suche nach sinnlosen Vergnügungen nur seine Zeit vergeude, so die Kritiker.
Ganz anders die Erfahrungen eines jungen Ägypters, der über das Internet geheiratet hat und mit seiner Frau seit drei Jahren eine glückliche Ehe führt. Er ermutigt andere junge Ägypter zu diesem Schritt, vorausgesetzt, man sei ehrlich und verhalte sich respektvoll. Jede Zeit habe ihre spezielle Eigenart – auch das Internet sei nichts als ein Kommunikationsmittel der heutigen Zeit, dessen sich der Mensch bediene, um seine Lebensumstände zu verbessern, so der junge Befürworter. Allerdings solle man sich bei der Vermittlung an islamische Sites wenden, die nach seiner Auskunft von Experten betreut und überwacht werden.
Profitables Handelsgut
Der Soziologieprofessor Ahmad al-Madjdub bezeichnet die auf diese Weise zustande gekommene Ehe als kaufmännischen Akt, der nichts mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun habe. Dieser stärke nicht die sozialen Bindungen.
Die Gesellschaft sehe sich mit einem großen Problem konfrontiert – und das, wo doch die Begegnungsmöglichkeiten der beiden Geschlechter enorm zugenommen hätten, so al-Madjdub: "Die Verheiratung durch Agenturen oder Internetdienste verletzt die Normen der sozialen Interaktion und führt zurück ins Zeitalter von Despotie und Sklaventum."
Al-Madjdub ist der Meinung, dass diese Agenturen die Zahl der Singles in der Gesellschaft nicht verringern können. Dies sei nicht möglich, so lange die Kosten, die durch eine Heirat entstehen, weiterhin auf einem hohen Niveau blieben. Gleiches gelte auch für die Brautgeld-Forderungen, an denen die Familien der Brautleute festhielten, so al-Madjdub.
Für den Soziologieprofessor sind die Agenturen und Webdienste die Auswirkungen einer Globalisierungswelle, die die jungen Ägypter zu überrollen und deren Wurzeln mit sich zu reißen drohe. Innerhalb der Gesellschaft bestünden inzwischen erhebliche Widersprüche zwischen den überlieferten Verhaltenskodizes, die in unseren Köpfen fortleben, und einer Öffnung für Neuerungen, die zu akzeptieren unvermeidlich ist.
Ganz anders die Soziologin Azza Karim: Ihrer Meinung nach ist die Emanzipation der jungen Frauen dafür verantwortlich, dass sie allein bleiben. Ägyptische Männer und Orientalen im Allgemeinen wünschten sich eine schwache Frau. Die jungen Frauen blieben lieber unverheiratet, als sich unter das überkommene Joch der Beherrschung durch den Ehemann zu begeben.
Nelly Youssef
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell
© Qantara.de 2006
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