Opposition auf dem Rückzug
In Ägypten organisieren Richter der Kairoer Juristenorganisation eine friedliche Demonstration als letztes, ihnen noch verbliebenes Mittel, um auf die Bedrohung ihrer Existenz aufmerksam zu machen.
In Tunesien protestieren Anwälte im "Haus der Juristen" in Tunis, nachdem die Staatsautorität ihre Anliegen ständig ignoriert hatte.
Bemerkenswert ist, dass man in Kairo und Tunis nunmehr klare Zeichen gegen eine Politik der umfassenden Entmündigung der ägyptischen und tunesischen Justiz setzt.
Aber wie kam es dazu, dass die Juristenorganisationen einer Belagerung ausgesetzt sind? Weshalb sind Sicherheitskräfte, von Kopf bis Fuß bewaffnet, Tag und Nacht in Alarmbereitschaft und observieren jeden Zugang zum Ort der Geschehnisse? Warum umzingeln Mitglieder der Geheimdienste und Sicherheitskräfte die Demonstranten?
Bemühungen im Keim erstickt
An dieser Situation ist nicht das einheitliche Vorgehen der Behörden das eigentlich Bemerkenswerte. Auffällig ist, dass sich jetzt selbst Richter und Anwälte mit Polizeikräften und Geheimdienstmitarbeitern konfrontiert sehen. Auf Anweisung von oben wird vehement versucht, die Bemühungen der Juristen im Keim zu ersticken, ihnen zu schaden und sie zu beleidigen.
Gegen sie werden Maßnahmen ergriffen, die eigentlich nur im Ausnahmezustand oder im Kontext der Terrorismusbekämpfung Anwendung finden. So gibt es keinen Richter, der sich im Auftrag der Gerechtigkeit ungerecht Behandelten widmet und sie während des Gerichtsverfahrens verteidigt, ebenso wenig findet sich ein Anwalt, der ihren Fall vor Gericht verhandelt und verteidigt.
Die gegenwärtigen Ereignisse in Ägypten geben einen tiefen Einblick in das derzeitige Ringen um die Macht im Staate. Präsident Hosni Mubarak nötigte die Richter Mahmoud Mekki und Hashem Bastawisi zu einem Disziplinartribunal, da sie Manipulationen bei den letzten Wahlen aufdeckten, die unter Beobachtung der beiden Juristen standen.
Seit langem fordert das ägyptische Justizwesen, Gesetze zu erlassen, die notwendig sind, um deren Unabhängigkeit von den anderen Instanzen des Staates zu gewährleisten. Nur solche Gesetze seien wirksam, um die Immunität vor solchen Prozessen zu garantieren sowie die Justiz darin zu stärken, eine Rolle fern von jeglichen Repressionen und Bedrohungen einzunehmen.
Während des bereits seit vier Wochen währenden Protestes des Kairoer Richtervereins gaben die USA bekannt, dass der ägyptische Präsidentensohn in die Vereinigten Staaten gereist war und Präsident George W. Bush sowie hochrangige Vertreter der amerikanischen Regierung traf, obwohl er offiziell nicht legitimiert ist, Ägypten in irgendeiner Weise zu repräsentieren. Diese Nachricht warf wiederum die Frage auf, inwiefern politische Herrschaft überhaupt vererbt werden kann.
Totale Kontrolle der Justiz
Vor diesem Hintergrund ist die Situation in Ägypten auch auf die Lage in Tunesien übertragbar. Zur selben Zeit fanden dort vor dem Justizpalast Proteste statt, die von der nationalen Anwaltskommission organisiert wurden. Die Demonstranten wandten sich damit gegen gesetzliche Maßnahmen, die ihre Existenz bedrohen, nachdem die Staatsmacht zu einer totalen Kontrolle der Richter übergegangen war.
Die Staatsbehörden veranlassten die Auflösung des tunesischen Justizvereins und übertrugen ihn an eine aus regierungstreuen Mitgliedern bestehende Kommission.
Diese Reaktion war eine Folge der immer lauter werdenden Forderungen der Richter, Gesetze zu erlassen, die die Unabhängigkeit der Judikative von den übrigen Staatsgewalten gewährleisten sollen. Nur so könne dafür garantiert werden, dass die Justiz gegen den Druck und die Bedrohung von außen immun sei und auf dieser Basis souverän ihre Aufgaben erfüllt.
Die Frage nach der Rolle der Justiz ist in beiden Ländern zunehmend zu einem Politikum geworden. Nachdem die Parlamente beider Staaten zu bloßen "Marionettenkabinetten" reduziert wurden, schwand die Hoffnung, eine reale gesetzgebende Gewalt einrichten zu können, da die Exekutive, immer stärker ihren willkürlichen Charakter und ihre totalitäre Haltung offenbarend, der Justiz feindlich gegenüber steht.
Opposition unerwünscht
Obwohl die Regierungen beider Staaten vor dem Hintergrund westlicher Forderungen nach Pluralismus jeweils fünf Mitglieder der Opposition im Parlament vertreten haben, ist die Art und Weise des Umgangs grundsätzlich von einer sicherheitsbedachten Haltung geprägt, die eine ernstzunehmende politische Partizipation der Opposition ausschließt.
Die Oppositionsvertreter im ägyptischen Parlament sind größtenteils unabhängig und gehören der verbotenen Muslimbruderschaft an. Die übrigen gesetzlich zugelassenen Parteien hingegen haben es nicht geschafft, im Parlament vertreten zu sein.
In Tunis wurden fünf Oppositionsmitglieder für das Parlament nominiert, obwohl die Opposition nicht die notwendige Fünf-Prozent-Hürde nehmen konnte. Diese Methode der Regierung ermöglicht demnach die Ernennung von vermeintlich oppositionellen Parlamentsmitgliedern, weil sie der Regierung eben näher stehen.
L'état c'est moi - autoritäres Herrschaftsverständnis
Die aktuelle Debatte über den erneuerten und verfassungswidrigen Präsidentschaft Hosni Mubaraks und Zine El Abidine Ben Alis lässt die Schwächung der traditionellen Opposition und ihres Potenzials zugunsten des Machtapparats der despotischen Regierungen beider Länder deutlich zu Tage treten.
Beide kommen aus dem Militär und erlangten politischen Status durch ihre Dienste für ihre Vorgänger im Präsidialamt. Schlagartig fanden sie sich einer Ausnahmesituation wieder, in der sie eine Entscheidung fällen mussten. Sie üben bis heute politische Macht in einer Form aus, die ausschließlich von ihnen bestimmt wird und alles beherrscht.
Das gilt umso mehr in einer Zeit des starken politischen Wandels, der die Konzentration der Entscheidungsgewalt in ihren Händen nur noch mehr fördert.
Angesichts dieser Situation verlieren breite Schichten der Bevölkerung das Vertrauen in die Opposition, in der es außer Regierungsmitläufern niemand anderen mehr zu geben scheint und die bisher keinerlei Anstrengungen unternommen haben, einen Regimewechsel herbeizuführen.
Heute haben beide Staatsoberhäupter das siebzigste Lebensjahr überschritten und wurden so zu einem Symbol für die lebenslange Befehlsgewalt. Der Widerstand der übrigen Institutionen und Bewegungen wurde unter dem übermächtigen Sicherheitsapparat gebrochen, der als einzige Staatsgewalt in Ägypten und Tunesien geblieben ist und alles andere dominiert.
Kaum Chancen für einen demokratischen Wandel
Solange dieser Zustand anhält und die Unterdrückung selbst harmlosester Proteste zur gängigen Praxis wird, kann es keine ernsthaften Bestrebungen für einen politischen Wandel geben.
Es besteht kein Zweifel daran, dass das Kräftemessen der Autoritäten, wie z.B. vor dem ägyptischen Richterverein oder der tunesischen Anwaltsorganisation, die Protestierenden nur noch mehr in ihren politischen Ansichten bestärkt.
Jedoch wird der Protest unwirksam bleiben, solange kein ermutigendes Klima für einen toleranten Dialog auf kultureller Ebene vorherrscht. Denn nur so kann das Heranreifen politischer Eliten gewährleistet werden, die unerlässlich dafür sind, einen Ausweg aus der derzeitigen Lage zu finden.
Vielleicht sind es die aktuellen Entwicklungen, die den Juristen, Anwälten und Richtern in Tunesien und Ägypten die Gelegenheit bieten, eine historische Verantwortung zu übernehmen und für das Spiel auf der politischen Bühne Regeln zu schaffen. Diese Regeln dürfen jedoch in keiner Weise mit dem Prinzip des Rechtsstaates kollidieren.
Mokhtar Yahyaoui
© Qantara.de 2006
Aus dem Arabischen von Helene Adjouri
Der Autor ist tunesischer Rechtsanwalt und Vorsitzender des "Zentrums für eine unabhängige Justiz in Tunesien" (CTIJ) sowie Mitglied der "Internationalen Vereinigung zur Unterstützung politischer Gefangener" (AISPP).
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