Modernismen gegenüber aufgeschlossen
Da in der herrschenden Medienkultur nur schlechte Nachrichten überhaupt Nachrichten sind, ist betreffend arabischsprachige und islamische Länder immerfort bloß zu lesen und zu hören von Konflikten und Kriegen, Gewalt und Unterdrückung. Erfreuliche Entwicklungen schaffen es selten an eine mediale Öffentlichkeit, und daher hat der Umkehrschluss durchaus Gültigkeit: Ein Land, über das nicht berichtet wird, ist wohl ein gutes Land. Ein solches Beispiel ist das Sultanat Oman.
Dort ist es gelungen, aus einer rückständigen, vom Rest der Welt abgeschiedenen Stammesgesellschaft in wenigen Jahrzehnten einen funktionierenden, prosperierenden Staat zu machen. Lange Zeit schien das 20. Jahrhundert vor den buchstäblich verschlossenen Toren der Hauptstadt Maskat ausgesperrt, bis 1970 waren Radiogeräte, Sonnenbrillen und Fahrräder verboten, es gab keine Krankenhäuser, nur Koranschulen und ganze sieben Kilometer Asphaltstraße.
Verknüpfung von staatlichen und tribalen Strukturen
Zu danken ist die rasante Entwicklung nicht nur den Erdöl- und Erdgasfunden im Landesinneren, sondern der Person des Sultan Qabus, der beharrlich und aufgeschlossen ein Projekt nach dem anderen in Angriff nimmt und es versteht – auf der Basis einer gelungenen Verknüpfung von staatlichen und tribalen Strukturen – Tradition, Islam und Moderne zu einer glücklichen Symbiose zu vereinen.
Nach westlichen Maßstäben müsste das hässliche Wort "Diktator" auf ihn angewandt werden, aber westliche Maßstäbe sind nicht immer in der Lage, politische und gesellschaftliche Strukturen angemessen zu beschreiben. So ist er zwar ein absoluter Monarch, ein politischer Alleinherrscher, zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Aber er ist einer, der den Ölreichtum nicht für sich alleine, seine Dynastie und seinen Hofstaat einsetzt, sondern die gesamte Bevölkerung teilhaben lässt, Gastarbeiter eingeschlossen.
Die Verfassung von 1996 beinhaltet das Verbot der Diskriminierung auf Grund von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion, Wohnort oder sozialer Zugehörigkeit, außerdem den Schutz von Leben und Eigentum von Ausländern. Und so fühlen sich selbst die Gastarbeiter wohl im Lande; sie sind sich einig, dass es ihnen im Sultanat besser geht als in den Emiraten oder in Saudi-Arabien, auch wenn sie wissen, dass das politische Ziel "Omanisierung" lautet, und dass sie wieder gehen müssen, wenn ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird.
Techniker, Ingenieure und Musiker kommen aus Europa, Tourismusfachkräfte aus Ägypten und Tunesien. Inder, Pakistani und Balutschen leben mit ihren Familien seit Generationen in den Küstenstädten, sie kamen als Kaufleute in jenen Zeiten als Oman seine Hochblüte als Seefahrernation erlebte. Die besten Restaurants werden von Pakistanern und Indern geführt. Inder spielen überhaupt eine große Rolle in Berufen, in denen etwas zu organisieren ist. Und jene Arbeiter, die mit den Händen zupacken, in der Öl- und Gas-Industrie, im Baugewerbe und in den Haushalten, stammen aus Afghanistan, Sri Lanka, Bangladesch.
Weniger arrogant und hochnäsig
In Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten, in Südasien – den Arbeitskräfte entsendenden Gebieten – gelten die Omani als nicht so arrogant und hochnäsig wie die Bewohner der anderen ölreichen Staaten auf der arabischen Halbinsel, wenngleich es auch in Oman für Expats schwierig bis unmöglich ist, mit den Einheimischen zu verkehren. Sie bilden soziale Enklaven und pflegen Umgang untereinander.
[embed:render:embedded:node:21937]Außenpolitisch versucht die Regierung das diplomatische Kunststück, mit all den untereinander eng verfeindeten Staaten der Region gut Freund zu sein. Geopolitisch am äußersten Rand Südostarabiens gelegen und außerhalb der Brandherde, kann sich der Sultan auch immer wieder als Vermittler profilieren, etwa in der Palästinafrage, im Jemenkrieg, in der Qatarkrise, hält sich dabei aber im Hintergrund.
Bisher schafft er es, sein Sultanat aus den geostrategischen Machtkämpfen der Region herauszuhalten. Oman nimmt nicht Teil an der derzeitigen von Saudi-Arabien angeführten Koalition in dem absurden und menschenverachtenden Krieg, der auf jemenitischem Boden und auf Kosten der jemenitischen Bevölkerung gegen den Iran geführt wird.
Mit der Strategie des Fernhaltens, setzt man sich freilich auch dem Vorwurf aus, die jeweils andere Seite zu begünstigen. So gab es den Verdacht von iranischem Waffenlieferungen über omanisches Territorium nach Jemen, die aber vermutlich ohne Wissen und Billigung der Behörden erfolgt sind. Und es herrscht eine gewisse Angst im Lande, dass der Krieg nach Oman überschwappen könnte, dass die terroristischen Gruppen, die sich im jemenitischen Machtvakuum tummeln, ihre Aktivitäten über die rund dreihundert Kilometer lange gemeinsame Grenze ausdehnen könnten.
Reformwilliger Sultan
Der Arabische Frühling hat 2011 auch in Oman zu Demonstrationen geführt, aber verglichen mit dem Aufruhr anderswo verliefen die Ereignisse gemächlich. Es ging um mehr Wohlstand und höhere Löhne, gegen Korruption hoher Beamter und gegen einzelne Minister. Und die Demonstranten verlangten mehr politische Freiheit.
Der Sultan reagierte rasch mit Reformen im Staatsapparat und einer Regierungsumbildung, mit Erhöhung des Mindestlohns und der Schaffung von Beamtenposten. Das Parlament wurde aufgewertet, es hat nicht mehr nur beratende, sondern auch gesetzgebende Kraft; Gesetzesentwürfe müssen nun beiden Kammern zur Genehmigung vorgelegt werden, bevor der Sultan sie absegnet.
Es herrscht eine angenehme, gelassene, ruhig bis heitere Atmosphäre im Lande. Gewiss hat daran die Religion ihren Anteil, die Ibadiya, eine muslimische Lehre, der rund zwei Drittel der Bevölkerung anhängen. Nach deren Rechtsschule müssen religiöse Texte und Glaubensinhalte immer wieder, entsprechend den Anforderungen der Zeit neu interpretiert werden, eine Richtung also, die Modernismen gegenüber aufgeschlossen ist, andererseits aber das, was sich bewährt hat, gerne beibehält. Zudem darf man die eigenen religiösen Überzeugungen niemandem aufzwingen. Daraus folgt eine liberale Haltung gegenüber Andersdenkenden.
Von seinen Untertanen wird der Sultan nicht nur geachtet, sondern geliebt, sie nennen ihren autokratischen Herrscher respektvoll 'unsere Majestät'. Aber er ist 77 Jahre alt, als Schwerkranker weilte er monatelang zur Darmkrebs-Behandlung in Deutschland, in Garmisch-Partenkirchen besitzt er ein Anwesen.
Das Erfolgsmodell Oman in seiner gegenwärtigen Form hängt wesentlich an der charismatischen Persönlichkeit des Monarchen, und so blicken auch die Bewohner des Oman in eine unsichere Zukunft.
Ingrid Thurner
© Qantara.de 2018
Die Autorin ist Ethnologin und Publizistin, sie lehrt, forscht und schreibt zu den Themen Mobilitäten, Fremdwahrnehmungen und Anthropologie des Islam und ist Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.