Vom Leben gezeichnet
Seit 2011 nehmen die Schreckensmeldungen aus Syrien kein Ende. Mittlerweile tobt im Land ein brutaler Krieg, die Medien berichten von Gewaltexzessen, unter denen besonders die Zivilbevölkerung leidet, ein Ende scheint in weite Ferne gerückt.
Der Wunsch, diese Situation wenigstens etwas zu lindern, war eine wichtige Motivation des in Berlin lebenden Künstlerpaares Nora und Fritz Best, ihr Projekt "Cutting Away the Void" zu initiieren. Ende 2013 haben sie sich auf den Weg in die jordanische Hauptstadt Amman gemacht, um im Dar al Jerha / House of the Syrian Wounded mit den dort behandelten Flüchtlingen zu arbeiten.
Ungewisse Zukunft
Die Frauen und Männer, die dort leben sind meist schwer verletzt und haben eine ungewisse Zukunft vor sich. Während zwei Wochen haben die Künstler morgens mit den Erwachsenen im Zentrum gearbeitet, Porträts von ihnen gemacht, Gespräche geführt und die persönlichen Geschichten der Flüchtlinge aufgezeichnet. Abends boten sie Linol-Schnitt-Workshops für Kinder und alle anderen an, die sich dafür interessierten.
Viele syrische Flüchtlingskinder gehen derzeit nicht in die Schule und diejenigen, die eine Schule besuchen, werden erst nachmittags unterrichtet, nach den jordanischen Kindern. Die Lehrer müssen dabei in Doppelschichten arbeiten.
Der abendliche Kunst-Unterricht war deshalb für die Kinder eine willkommene Gelegenheit, ihren Alltag zumindest für eine kurze Zeit zu vergessen und über ihre Erlebnisse zu berichten. "Anfangs waren sie noch sehr von der Revolutionsrhetorik der Erwachsenen beeinflusst, aber nach und nach haben sie sich geöffnet und angefangen, über ihr Leben und ihre Träume zu reden", berichtet das Ehepaar Best.
Kindliche Perspektiven und Erwachsenen-Ideale
Die Bilder, die von den Kindern gemalt wurden, erzählen von dem Leben, das sie in Syrien zurück lassen mussten: von dem Kleid, das noch im Schrank hängt, vom Eis, das sie früher essen konnten, von den Bäumen, die ihre Häuser umgeben, von ihren geliebten Großeltern. Aber auch von Waffen und dem revolutionären Ruf nach Freiheit. Diese seltsame Mischung aus einfacher kindlicher Perspektive und großen Idealen und Losungen, die eher der Welt der Erwachsenen entsprechen, machen die Bilder der syrischen Flüchtlingskinder so berührend und verstörend zugleich.
Es sind die Bilder einer Generation, die zu früh der Kindheit entrissen wurde und sich jetzt oft alleine in der Welt der Erwachsenen zurecht finden müssen – einer Welt, in der jeder mit gewaltigen Problemen konfrontiert wird.
Von genau diesen Problemen erzählen auch die Berichte der verletzten Frauen und Männer im Dar al Jerha / House of the Syrian Wounded, die von den Künstlern aufgezeichnet worden sind und zusammen mit ihren Porträts gezeigt werden. Es sind Geschichten, die von der Tragik der syrischen Revolte erzählen, die als revolutionäre Bewegung der einfachen Menschen anfing und sich zu einem verheerenden Krieg entwickelte, wobei niemand verschont wird.
Es sind Geschichten von Frauen, die bei dem Versuch, ihre Kinder zu schützen, schwer verletzt wurden und jetzt alleine in der jordanischen Hauptstadt Amman leben. Und es sind Geschichten von jungen Männern, die sich schließlich am bewaffneten Kampf gegen das Assad-Regime beteiligten – sei es aus jugendlicher Begeisterung für die "revolutionäre Sache" oder aus der naiven Vorstellung heraus, dass der Kampf nur von kurzer Dauer sein würde und am Ende ein freies Syrien entstehen könnte. Doch nun sind sie alle fürs Leben gezeichnet, viele von ihnen so schwer verletzt, dass kein normales Leben mehr möglich ist.
Nora und Fritz Best haben eine Reihe von einfühlsamen Porträts geschaffen, die in Verbindung mit Zeugenaussagen die erschütternde Geschichte des heutigen Syriens erzählt. Für beide Künstler standen bei dem Projekt zwei Aspekte im Vordergrund: Dokumentation und Traumaverarbeitung.
Die Technik für die Porträts wurde gezielt ausgewählt: Bei Linolschnitt wird mit einem schwarzen, negativen statt eines weißen Untergrundes angefangen. Das Bild entsteht durch das Wegschneiden von Material. Bei dem fertigen Druck erscheinen die weggeschnittenen Linien als schwarz und ergeben das Bild.
Vertrauensbildendes Arbeiten
"Wir wollten mit einer Technik arbeiten, die ein verlangsamtes Arbeiten ermöglicht und uns die Zeit gibt, eine engere Beziehung und gegenseitiges Vertrauen mit den Porträtierten aufzubauen", erzählt Fritz Best. Die Porträtierten wiederum waren eingeladen, die Technik zu erlernen, so dass sich die Zusammenarbeit zu einem Dialog entwickeln konnte.
Für die Projekt-Teilnehmer hatte die intensive Beschäftigung mit der handwerklich-künstlerischen Technik und die Gespräche während des Workshops sogar eine fast therapeutische Wirkung: Sie hat ihnen ein Werkzeug gegeben, ihre Geschichten freizulegen, sich mit schmerzhaften Erinnerungen auseinanderzusetzen und ein Stück Selbstbestimmtheit wieder zu erlangen.
Abgeschlossen wurde das Projekt mit einer Ausstellung in Amman, in der die entstandenen Arbeiten gezeigt wurden – in der Hoffnung, das Projekt weiterführen zu können. "Cutting Away the Void" ist eine beeindruckende Dokumentation, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen, die meistens von der medialen Berichterstattung vergessen werden oder nur am Rand erwähnt werden: die einfachen Syrer, mit ihren Träumen und Leiden.
Charlotte Bank
© Qantara.de 2014