Neue Präsidentin des türkischen Verfassungsgerichts
Die neue türkische "Power Lady" ist blond, Professorin und hat dem ehemaligen Minister- sowie Staatspräsidenten Süleyman Demirel viel zu verdanken.
Nein, die Rede ist nicht von der ehemaligen türkischen Ministerpräsidentin Tansu Ciller, und wir schreiben auch nicht das Jahr 1993. Es geht um Tülay Tugcu die kürzlich zur Präsidentin des Verfassungsschutzgerichts gewählt worden ist.
Tugcu ist ab sofort die Nummer 6 im Staatsprotokoll. Wie die Politik ist auch das Rechtswesen in der Türkei mehr eine Männer-Domäne. Da will es für eine Frau etwas heißen, sich dort behaupten zu können. Ihre Wahl bedurfte nicht weniger als 59 Wahlrunden im elfköpfigen Gremium, und die Entscheidung fiel erst, als der Kandidat der Regierungspartei AKP seinen freiwilligen Rückzug erklärte.
Für Demokratie und Laizismus
Aber die, die 1993 - als Ciller an die Macht kam - noch ausgelassen feierten, weil sie ganz einfach in Tansu Ciller ein emanzipatorisches Zeichen gegen den islamischen Fundamentalismus sahen, blicken nun eher verhalten auf Tülay Tugcu, die es geschafft hat, sich gegen männliche Konkurrenz und eine weibliche Mitstreiterin durchzusetzen.
So hat Tugcu zum Beispiel 2001 für die Auflösung der islamistischen "Tugend-Partei" - der radikalen Vorläuferin der derzeitigen eher gemäßigt islamistischen Regierungspartei - gestimmt. Sie hat sich auch gegen die Aufnahme von Absolventen der Imam-Hatip Schulen, also der Schulen an denen Geistliche und Prediger ausgebildet werden, an die Polizei-Schulen ausgesprochen.
Ferner war Tugcu in der Gruppe der Richter, die die Klage der rechtsextremistischen Partei der Nationalistischen Bewegung MHP gegen die Annäherung und Angleichung an die EU-Normen abgelehnt haben. Die Kopftuch tragende Parlamentarierin Merve Kavakci bekam mit Frau Tugcus Stimme fünf Jahre Politikverbot. Der jetzige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurde mit ihrer Zustimmung verwarnt, als er trotz Verurteilung als islamischer Aktivist die AKP, also die heutige Regierungspartei, gründete.
So war auch Tugcus erste Rede nach der Wahl mehr als demonstrativ: Das Verfassungsgericht, so die streitbare Juristin, werde weiterhin Atatürks Reformen und Prinzipien, wie dem demokratischen laizistischen Rechtstaat, verbunden bleiben.
Kurze Amtszeit
Viel mehr ist ansonsten über Tülay Tugcu nicht bekannt. 1942 in Ankara geboren, genoss sie eine gute Ausbildung. Nachdem sie lange Zeit als freie Rechtsanwältin tätig war, ging es mit ihrer Karriere steil aufwärts. 1982 wurde sie in das Oberste Verwaltungsgericht und 1999 vom damaligen Staatspräsidenten Süleyman Demirel in das Verfassungsgericht gewählt.
Verheiratet mit einem Anwalt, ist Tugcu zweifache Mutter. Und: Ihr Schwager, ein in der Türkei bekannter Kolumnist, ist ein erklärter Hauptfeind der moderaten Islamisten.
Dass Tülay Tugcu es jedoch eines Tages bis an die Spitze schaffen würde, damit hat wohl keiner gerechnet. In der Presse konnte man über sie lesen, Tugcu sei die Kandidatin derjenigen gewesen, die eine baldige Neuwahl befürworteten. Denn tatsächlich wird Tugcu nicht lange im Amt bleiben. In zwei Jahren wird sie pensioniert.
Die Umstände, unter denen Tugcu ins Amt der Verfassungsgerichtspräsidentin gewählt wurde, weisen aber eine gewisse Ähnlichkeit mit den Umständen auf, unter denen der jetzige Staats- und frühere Verfassungsgerichtspräsident Ahmed Necdet Sezer gewählt wurde.
Sezer, der 1998 zum Oberhaupt des Verfassungsgerichts gekürt worden war, wurde zwei Jahre später Staatspräsident. Jedoch hat Tugcu kurz nach Amtsantritt ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie es nicht darauf abgesehen habe, die erste Frau im Amt des Staatspräsidenten zu werden.
Yesim Kasap
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
Qantara.de
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