Tunesien vor dem Tourismuskollaps
Normalerweise sind die Cafés im islamischen Fastenmonat Ramadan am Abend voll und die Stimmung ist gelöst, wenn die Tunesier nach dem Fastenbrechen die warmen Sommernächte genießen - bei Tee, Kaffee und Wasserpfeife auf der Terrasse. Doch seit dem Anschlag von Sousse an der Mittelmeerküste haben nicht nur die meisten Touristen das Land verlassen, auch viele Einheimische leben sehr zurückgezogen. Beya überlegt sich jetzt zweimal, ob sie aus dem Haus geht. Das Attentat hat sie verängstigt. "Ich habe ein Kleinkind und keine Lust mehr, an den Strand zu gehen oder an andere Orte, wo viele Menschen sind und wo das Risiko besteht, dass ein Verrückter irgendetwas anrichtet und erst nach einer halben Stunde reagiert wird."
Britische Reisewarnung
Die Mittdreißigerin ist wütend auf die Polizei. Hätte die schneller reagiert, als am 26. Juni ein Student in Sousse am Strand das Feuer auf ausländische Touristen eröffnete, wären weniger Menschen ums Leben gekommen, glaubt sie. "Ich fühle mich überhaupt nicht beruhigt. Wer weiß, wie das beim nächsten Mal ablaufen wird. Ich denke schon, dass es ein nächstes Mal geben wird."
Vor weiterem Terror gegen Touristen warnt auch die britische Regierung. Sie hat nach dem Anschlag ihre Sicherheitshinweise für Tunesien verschärft. Trotz der verstärkten Anstrengungen der tunesischen Regierung sei die Sicherheit der Touristen in dem nordafrikanischen Land zurzeit nicht gewährleistet. Ein weiterer terroristischer Anschlag sei "hochwahrscheinlich", so der britische Außenminister Philip Hammond. Andere europäische Staaten wie Deutschland oder Frankreich haben ihre Reisehinweise hingegen bis jetzt nicht verschärft.
Seit dem Anschlag in Sousse sind mehrere Tausend Polizisten zusätzlich im Einsatz, um Strände, Hotels und andere touristische Attraktionen zu schützen. Vergangene Woche töteten tunesische Sicherheitskräfte mehrere führende Köpfe der Brigade "Okba Ibn Nafaa", einer Al-Kaida nahestehenden Gruppierung. Sie wird von Tunesien für die beiden Anschläge in Sousse und auf das Bardo-Museum in der Hauptstadt Tunis verantwortlich macht. Gleichzeitig hatte sich aber auch die Terrororganisation "Islamischer Staat" zu den Anschlägen bekannt. 15.000 Personen, die verdächtigt werden, dschihadistischen Gruppen nahezustehen, wurden seit Anfang des Jahres überprüft, so die tunesischen Behörden. Mehrere Hundert seien seit dem Angriff in Sousse festgenommen worden.
"Die Einzigen, die noch kommen, sind die Deutschen"
Trotz der verstärkten Sicherheitsvorkehrungen sind die Strände seit Ende Juni wie leer gefegt, denn die meisten Urlauber haben ihre Reisen storniert. Die Reservierungen sind im Juli im Vergleich zum Vorjahr um fast 60 Prozent zurückgegangen und Kreuzfahrtschiffe laufen schon seit dem Anschlag auf das Bardo-Museum den Hafen von Tunis nicht mehr an.
"Die Einzigen, die noch kommen, sind die Deutschen", sagt Faker Salem, stellvertretender Direktor eines Hotels im Ferienort Hammamet, eine Autostunde südlich von Tunis. "Die Deutschen bleiben uns treu. Da haben wir immerhin ein paar Reservierungen. Aber die anderen Nationalitäten? Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergeht." Salem schließt nicht aus, dass er das Hotel nach dem Sommer schließen muss. "Wir hoffen ein bisschen auf einheimische Gäste und auf die Algerier, die sind auch wichtig. Aber was nach dem Sommer kommt? Wir wissen überhaupt nicht, wie die Nebensaison aussehen wird. Was sollen wir ohne Kunden tun?", klagt der Hotelmanager.
Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Tunesien. Er erwirtschaftet rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Fast 500.000 der insgesamt elf Millionen Tunesier und ihre Familien leben davon. 35 Leute sind zum Beispiel im Luxushotel "Palais Bayram" in der Altstadt von Tunis beschäftigt. Erst im Februar hatte es nach sieben Jahren Renovierung wieder eröffnet. Ein schwerer Start: "Nach dem Anschlag von Bardo waren wir niedergeschmettert", sagt Managerin Karima Souid. "Wir hatten Angst vor einer Eskalation der Gewalt und dass die Anschläge sich von den Grenzregionen in die Städte ausbreiten. Der Anschlag von Sousse hat uns erledigt".
Zweckoptimismus und Antiterrorgesetz
Souid schickt ihre Gäste nur noch in Begleitung eines privaten Sicherheitsdienstes aus dem Haus, das in der ehemaligen Residenz eines Muftis aus dem 18. Jahrhundert liegt. Den meisten Umsatz macht ihr Hotel zurzeit mit Tunesiern, die das Restaurant nutzen. Die Hotelchefin und ehemalige Abgeordnete der tunesischen verfassungsgebenden Versammlung übt sich in Zweckoptimismus. "Das wird ein fürchterliches Jahr für Tunesien, aber wir machen weiter. Wir nutzen die Zeit, um uns zu verbessern."
Tunesiens Regierung setzt indessen auf ein neues Antiterrorgesetz. "Es wird der Polizei und den Untersuchungsrichtern ermöglichen, effizienter zu arbeiten", so Premierminister Habib Essid. Dass damit auch individuelle Freiheiten der Bürger eingeschränkt werden, müsse man in Kauf nehmen, um diese langfristig vor den Bedrohungen durch den Terrorismus zu schützen. Das Parlament wird voraussichtlich am 25. Juli über das Gesetz abstimmen.
Sarah Mersch
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