(K)ein Konsens zwischen Washington und Jerusalem
Als Donald Trump 2016 die US-Wahl gewann, hofften viele, es handle sich um einen Ausrutscher – eine vorübergehende Neuausrichtung des amerikanischen Systems, bei der der Populismus dem politischen Organismus der USA einen Herzinfarkt versetzte.
Eine Zeit lang schienen die historischen Ereignisse dieses Narrativ zu bestätigen. Amerika erholte sich und übergab das Weiße Haus 2020 entschlossen in die Hände einer Figur des Establishments, Joseph Biden, der Trumps Sieg in die Annalen der Geschichte verwies.
Der „MAGAismus“ im Stile Trumps mag als etwas relativ Ungewöhnliches in die Geschichte der US-Politik eingehen, aber er ist kein Ausrutscher, wie Trumps zweite Amtszeit beweist. Für die Menschen in der gesamten arabischen Welt, insbesondere in den besetzten palästinensischen Gebieten, im Libanon und in Syrien, wirft Trumps Präsidentschaft unzählige Zukunftsfragen auf.
Im Laufe mehrerer Jahrzehnte hatte sich ein regelrechter „Washington-Konsens“ zu Palästina/Israel herausgebildet, der zwei Standards festlegte: Erstens wurde die israelische Souveränität über die 1967 eroberten arabischen Gebiete – einschließlich der Golanhöhen, Ostjerusalems, des Westjordanlands und des Gazastreifens – allgemein abgelehnt, wenn auch nur rhetorisch. Zweitens sah die Formel für eine endgültige Friedensregelung eine Zweistaatenlösung vor, bei der ein palästinensischer Staat neben einem sicheren Israel errichtet werden sollte.
In Trumps erster Amtszeit wurde deutlich, dass er bereit ist, diese Punkte in Frage zu stellen. Seine Regierung verlegte die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und bestätigte damit implizit Israels Anspruch auf eine ungeteilte Hauptstadt in Jerusalem. Trump erkannte auch die israelische Souveränität über die Golanhöhen an, ein syrisches Gebiet, das Israel seit 1967 besetzt hält. Diese wichtigen Beispiele zeigen, dass die US-Regierung sich den Grundprinzipien der letzten Jahrzehnte nicht mehr verpflichtet fühlt.
Seit Trumps Wiederwahl im November 2024 nannten Minister:innen der israelischen Regierung 2025 das „Jahr der israelischen Souveränität“. Was die Zweistaatenlösung betrifft, die jahrelang das Rückgrat der amerikanischen Rhetorik war, so macht Israel deutlich, dass es nicht beabsichtigt, eine solche jemals zuzulassen.
Skeptischer Optimismus am Golf
Saudi-Arabien und die Emirate versprechen sich von der Trump-Präsidentschaft gute Geschäfte, haben aber gelernt, dass politisch kein Verlass ist auf die USA. Derweil könnten die Saudis Trump zu einer härteren Gangart gegenüber Israel drängen.
Dies ist nicht nur eine Politik Netanjahus, sondern ein mittlerweile absoluter Konsens in der israelischen Politik, die sich in den letzten zwanzig Jahren immer weiter nach rechts und rechtsextrem verschoben hat. Die Präsenz des israelischen Militärs hat in den besetzten Gebieten, also sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen, drastisch zugenommen. In ersterem hat bereits eine De-facto-Annexion großer Teile der besetzten Gebiete stattgefunden. (Annexion bedeutet eine endgültige, administrative und rechtliche Einbindung des Territoriums, wodurch die Annexion über die Besetzung hinausgeht, d. Red.).
Bereits während der Biden-Administration wurde abgelehnt, dass die USA Druckmittel einsetzen, um eine Änderung des israelischen Verhaltens zu erzwingen. Dieses Muster wird sich unter der Trump-geführten Regierung wahrscheinlich nicht nur fortsetzen, sondern noch verstärken. Gleich am Dienstag, dem Tag nach seinem Amtsantritt, erließ Trump ein Dektret zur Aufhebung der US-Sanktionen, die die Biden-Regierung gegen israelische Siedlergruppen im Westjordanland verhängt hatte.
Wird Trump die Waffenruhe in Gaza durchsetzen?
Das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israelis und Hamas, das am vergangenen Sonntag in Kraft getreten ist, umfasst mehrere Phasen. In der ersten Phase sollen einige israelische und palästinensische Gefangene freigelassen werden. Der vollständige Abzug der IDF-Truppen aus dem Gazastreifen soll jedoch frühestens in der zweiten Phase erfolgen, während der Wiederaufbau des Gazastreifens erst in der letzten Phase geplant ist.
Es gibt erhebliche Befürchtungen, dass Israel ohne enormen amerikanischen Druck nicht zu den Phasen zwei oder drei übergehen wird. Tatsächlich hat Israel vor dem Abkommen bei mehreren Gelegenheiten sehr deutlich gemacht, dass es nicht die Absicht hat, den Streifen kurz- bis mittelfristig zu verlassen. In den israelischen Medien wird darüber ganz offen gesprochen, und in verschiedenen Teilen des Gazastreifens haben die IDF Straßen ausgebaut, Außenposten errichtet und langfristige Infrastruktur geschaffen, die im Falle eines baldigen Abzugs Israels nicht notwendig wäre.
Netanjahu hat erklärt, dass Sicherheitskontrolle „über das gesamte Gebiet westlich des Jordans“ Israels unumstößliches Recht ist, wobei er die Idee einer Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in den Gazastreifen ablehnt. In Abwesenheit der PA und aufgrund der offensichtlichen Disqualifizierung der Hamas kommen also nur nur bewaffnete palästinensische Gruppierungen und die IDF als Verwalter des Gazastreifens in Frage, was in großen Teilen des Streifens bereits der Fall zu sein scheint. Aber selbst die palästinensischen Gruppierungen, zu denen auch kriminelle Banden gehören, stehen unter strenger israelischer Kontrolle.
Trumps Wahl von Regierungsmitgliedern, die wahrscheinlich die Beziehungen zwischen den USA und Israel beeinflussen werden, lässt wenig Raum für Illusionen: Marco Rubio als Außenminister, der Israel „unerschütterliche Unterstützung“ versprochen hat, und Mike Huckabee, eine zutiefst ideologische Wahl für den Posten des US-Botschafters in Israel, der weder die Palästinenser als Volk noch das Westjordanland als besetztes Gebiet anerkennt.
Hinzu kommt Elise Stefanik als UN-Botschafterin, eine merkwürdige Wahl, da Stefanik den Vereinten Nationen äußerst kritisch gegenübersteht, auch aufgrund ihrer pro-israelischen Haltung. Israel habe ein „biblisches Recht auf das gesamte Westjordanland“, sagte sie am Dienstag bei ihrer Anhörung vor dem Ausschuss für Auswärtige Beziehungen des Senats.
Es ist unwahrscheinlich, dass Trumps Engagement für die palästinensische Autonomie so stark ist, dass er Netanjahu zum Abzug der IDF-Truppen drängen oder ein definitives Ende des israelischen Krieges gegen Gaza erzwingen wird. Wahrscheinlicher ist, dass viele Aspekte aus Phase 1 der aktuellen Vereinbarung erreicht werden, aber weder ein Truppenabzug noch eine dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten zustande kommen wird.
Mission erfüllt?
Während seiner Wahlkampagne wurde von einigen die Meinung vertreten, dass sich durch Trumps übergeordneten Wunsch, als „Dealmaker“ und „Friedensstifter“ gesehen zu werden, vieles in den Beziehungen zwischen den USA und Israel verändern würde. Diesem Argument zufolge wird Trump während seiner Amtszeit keinen Krieg wollen, insbesondere in Anbetracht dessen, wie er in den vergangenen vier Jahren zu Konflikten Stellung bezogen hat, in die die USA bereits verwickelt sind.
Netanyahu wird Trump jedoch möglicherweise mit einer Lösung entgegenkommen, die beiden Politikern bietet, was sie brauchen. Im Jahr 2004, nach der von den USA angeführten Invasion des Irak, stand George W. Bush auf einem Flugzeugträger und erklärte, „die Mission ist erfüllt“. Das war sie natürlich nicht. Doch der politische Gewinn aus einer Erklärung, dass „der Krieg vorbei“ sei, mag verlockend sein. Auch wenn das israelische Militär in Teilen des Gazastreifens weiterhin präsent bliebe.
Eine solche „Lösung“ würde es Trump erlauben, sein Dealmaker-Image aufrecht zu erhalten. Israel könnte gleichzeitig seine Pläne weiter umsetzen, was die Idee eines palästinensischen Staates langfristig unmöglich machen und alle Hoffnung begraben würde, dass die Truppen aus den besetzten Gebieten abziehen.
All dies bleibt jedoch unter einem Vorzeichen – Trumps unberechenbarer Natur. Es ist durchaus möglich, dass Trump sich aus seinem eigenen Muster löst. Und sei es nur, weil er in der Vergangenheit bereit war, konventionelles Wissen in den Wind zu schlagen, wenn er glaubte, es nutze seinen Interessen.
Trumps unvorhersehbare Entscheidungsfindung könnte theoretisch sogar dazu führen, dass er einen Ansatz wählt, der sich mehr am Völkerrecht orientiert. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Gazastreifen der „Friedhof des Völkerrechts“ und der auf Regeln basierten Ordnung bleiben wird, ebenso wie der von zehntausenden unschuldigen Palästinenser:innen.
Die Ungewissheit der Freiheit
Zu Besuch im Folterkeller des Assad-Regimes, bei Kalaschnikow schwingenden Rebellen und einem ängstlichen Erzbischof. Karim El-Gawhary berichtet aus dem „neuen Syrien“. Eine historische Momentaufnahme.
Was für den Libanon und Syrien zu erwarten ist
Im Gegensatz zur Situation in Gaza gibt es gute Gründe für die Annahme, dass im Libanon eine echte Waffenruhe eingehalten wird. Die übergeordneten Interessen Israels und der USA stehen nicht im Widerspruch zur Aufrechterhaltung eines Waffenstillstands.
Israel ist nicht daran interessiert, den Libanon zu besetzen und zu besiedeln, sondern vielmehr daran, die Hisbollah ernsthaft zu schwächen und eine Dynamik zu gewährleisten, die seine nördlichen Gebiete vor Angriffen der Hisbollah schützt.
In den letzten Monaten scheint das erste Ziel bezüglich der Hisbollah erreicht worden zu sein; das zweite wird wahrscheinlich durch einen politischen Prozess erreicht werden. Mit der neuen Präsidentschaft von Joseph Aoun und der Ernennung des neuen Premierministers Nawaf Salam kann der Libanon einen Neuanfang wagen, der von der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Washington, in hohem Maße unterstützt wird.
Sollten die Israelis es jedoch für nötig halten, den Libanon erneut zu bombardieren, um den Zerstörungsprozess abzuschließen, werden sie dies unter Missachtung des Völkerrechts und höchstwahrscheinlich ungestraft tun, bevor sie an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Die Frage für den Libanon wird sein, wie er sich gegen Forderungen wehren kann, die die Souveränität des libanesischen Staates beeinträchtigen. Die Trump-Administration wird wahrscheinlich auf die Fortsetzung der derzeitigen politischen Konsolidierung im Libanon drängen, zu der auch die weitere Marginalisierung der Hisbollah gehört.
Die dringend notwendige Reformagenda im Land geht mit einer Schwächung der Hisbollah einher. So könnte es eine Übereinstimmung zwischen Beirut und Washington geben, aus der der Libanon wiederum Kapital schlagen kann.
Schließlich bleibt eine brennende Frage: Welche Politik wird die Trump-Administration gegenüber Syrien verfolgen? Wie wird sie auf die neuen Kräfte in Damaskus reagieren, die Baschar al-Assad gestürzt haben? Wie wird sie sich in der Kurdenfrage positionieren, zumal die kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces), die seit langem amerikanische Unterstützung genießen, erneut unter Druck geraten?
Die ehrliche Antwort auf all diese Fragen zu Syrien lautet einfach: ungewiss. Trump hat den Wunsch geäußert, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen, aber das war, bevor Assad gestürzt wurde. Einige spekulieren, dass seine guten Beziehungen zum türkischen Präsidenten Erdogan seine künftige Haltung beeinflussen könnten, aber das sind nur Vermutungen. Um es klar auszudrücken: Syrien hat Trump bisher nicht viel bedeutet, und so gibt es kaum Hinweise darauf, wie er reagieren wird.
Israel als der engste Verbündete der USA steht den neuen syrischen Machthabern in Damaskus sehr skeptisch gegenüber. Das Land hat die Chance genutzt, um weiter in syrisches Gebiet vorzudringen und die besetzten Gebiete zu vergrößern. Das bedeutet jedoch nicht, dass Trump an einem feindseligen Verhältnis zu Damaskus interessiert ist.
Dies ist eine Übersetzung des englischen Originals. Übersetzung von Clara Taxis.
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