Biodiesel - Urwaldvernichtung fürs Klima
"Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Das Bonmot des Philosophen Theodor W. Adorno mag hin und wieder überstrapaziert worden sein. Mit vollem Recht darf man es jedoch der deutschen Palmöl-Politik entgegenschleudern.
Mehr als 500.000 Tonnen Palmöl hat Deutschland 2018, das Jahr mit der aktuellsten Statistik, als Biokraftstoff importiert. Die Folge: Der Regenwald in Indonesien und anderen Ländern Südostasiens wird dezimiert, Ölpalmen breiten sich aus.
Die großen Tropeninseln Sumatra und Borneo, die einmal Paradiese der Artenvielfalt und Riesenspeicher von Kohlendioxid waren, haben sich in agrarindustrielle Komplexe verwandelt. Lässt man den Blick über die Tiefländer dieser Inseln schweifen, sieht man Palmölplantagen, so weit das Auge reicht.
Abermillionen Tonnen CO2 entweichen so in die Atmosphäre. Denn der üppige Regenwald hatte viel mehr des klimaschädlichen Gases gebunden als eine Palmölplantage von gleicher Fläche. Manche der vernichteten Regenwälder standen auf Torfböden, zusätzlichen CO2-Speichern, die mit ausgebrannt wurden.
Indonesische Regenwälder in Gefahr
Im Jahr 2015, als es wegen der Brandrodungen auf Sumatra und Borneo zu riesigen Feuern kam, stieg Indonesien zum weltweit viertgrößten Emittenten von CO2 auf. Ähnliche Brände loderten 2019. Die Treibhausgasstatistiken des vergangenen Jahres liegen noch nicht vor.
Indonesiens Regierung setzt auf die Produktion von Palmöl, um wirtschaftlich voranzukommen. 30 Prozent des Treibstoffs, den die Dieselautos der 270 Millionen Indonesier verbrauchen, sollen schon bald aus Palmöl stammen, hat die Regierung von Präsident Joko Widodo verkündet.
"Wenn es so weitergeht, wird es 2050 in Indonesien keine Regenwälder mehr geben", sagt Tom Kirschey vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), der sich bestens mit Wirtschaft und Umwelt in Südostasien auskennt. Neben der Produktion für den Binnenmarkt forcieren Indonesien und der kleinere Nachbar Malaysia den Export.
China und Indien sind große Kunden - und die Europäische Union. Etwa acht Millionen Tonnen Palmöl kauft Europa im Jahr, mehr als die Hälfte davon für Kraftstoffe, vor allem als Beimischung für den Diesel zum Antrieb von Fahrzeugen. Wenn ein Autofahrer 50 Liter Diesel tankt, ist in der Regel ein halber bis ein Liter Palmöl dabei. Nach Raps und Bioabfällen ist der Rohstoff aus Südostasien der drittwichtigste "Biotreibstoff". Dabei machen Altfette aus Asien, in denen wiederum Palmöl steckt, einen erheblichen Anteil der wiederverwendeten Bioabfälle aus.
Die Idee dahinter: durch die Beimischung von Biokraftstoffen soll der Verkehrssektor seine Klimabilanz aufbessern. Dadurch, dass Palmöl einen kleinen Anteil des herkömmlichen Erdöls ersetzt, aus dem der Diesel hauptsächlich besteht, sollten Autos etwas CO2 einsparen. Denn eine Ölpalme "verbraucht" beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre.
2009 entschieden sich die Europäer, unter starker Beteiligung Deutschlands, für diesen Weg. In der "Richtlinie Erneuerbare Energien I" sagt die EU, dass diese Politik die Nachfrage nach Palmöl steigern und damit den Anbau von Palmöl in Ländern wie Indonesien "begünstigen" werde.
Gleichzeitig definierte Brüssel die Fallhöhe. "Moralisch unakzeptabel" (sic) werde es der europäische Verbraucher finden, wenn das Palmöl auf Kosten von Flächen mit hoher Artenvielfalt produziert werde.
Von diesem Sockel des hohen moralischen Anspruchs sind die EU-Mitgliedstaaten nun hinabgestürzt. Denn zehn Jahre später muss die EU-Kommission einräumen: Was man nicht wollte, weil es moralisch verwerflich sei, ist nun eingetroffen. Der Regenwald musste den Ölpalmen weichen. Die "Ausdehnung der Produktionsflächen (für Palmöl, Anm. der Redaktion) auf Flächen mit hohem Kohlenstoffbestand" sei "zu beobachten", stellt die Kommission im März 2019 fest.
Klimabilanz des Palmöls ist schlecht
Neben dem Verlust der Artenvielfalt benennt die EU auch die zweite dramatische Konsequenz des Palmöl-Booms: Die Klimabilanz des Biodiesels aus Palmöl ist schlecht. Es werde kein CO2 eingespart, sondern sogar mehr CO2 emittiert als beim Verbrennen von normalem Diesel. "Die durch Urwaldabholzung verursachten Treibhausgasemissionen können ein bedeutendes Ausmaß erreichen und die Treibhausgaseinsparungen zunichtemachen", schreibt die EU wörtlich.
Rechne man alle Faktoren vom Anlegen der Plantagen auf "kohlenstoffreichem Boden" über den Raffinerieprozess bis hin zum Transport von Südostasien nach Europa ein, falle die Klimabilanz des Palmöls noch negativer aus. Allein die genaue Quantifizierung des negativen Effekts und der Regenwaldflächen, die dem Palmöl zum Opfer fallen, ist schwierig.
Die EU beruft sich auf mehrere Studien, die in der Bewertung der schädlichen Klimawirkung von Palmöl den gleichen Tenor haben, im Detail jedoch voneinander abweichen. Eine Studie kommt etwa zu dem Schluss, dass durch Diesel aus Palmöl mehr als doppelt so viel Kohlendioxid freigesetzt werden kann wie durch herkömmlichen Diesel.Palmöl angeblich "nachhaltig"
Auf solche Unsicherheiten beruft sich der Industrieverband Biokraftstoffe VDB, um die Nutzung von Palmöl als Dieselbeimischung weiterhin zu rechtfertigen. Aber der deutsche Lobbyverband für die nachwachsenden Energierohstoffe hat ein aus seiner Sicht noch gewichtigeres Argument: Für den Diesel werde nur Palmöl mit Nachhaltigkeitssiegel verwendet.
"Es wäre absurd, einen als nachhaltig zertifizierten Rohstoff nicht zu nutzen. Wir benötigen alle Mittel, um das 2030-Klimaziel der EU und der Mitgliedstaaten einzuhalten. Nachhaltig zertifiziertes Palmöl trägt dazu bei", sagt Elmar Baumann, Chef des VDB, im Panorama-Interview. Wenn es nach Baumann geht, belegt das Nachhaltigkeitssiegel, dass für das an Tankstellen in Europa gelieferte Palmöl kein Regenwald gerodet wurde.
Dass es in Indonesien generell zu Rodungen kommt, bestreitet Baumann keineswegs. Aber für den europäischen Biodiesel werde eben nicht gerodet. Beistand bekommt er vom wirtschafts- und energiepolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Joachim Pfeiffer. Er halte es, wenn es nachhaltig produziert werde, für "absolut akzeptabel", Palmöl dem Diesel beizumischen, sagt Pfeiffer im Interview mit Panorama.
Indonesien liefert mehr als 90 Prozent des als klimafreundlichen Biodiesel verwendeten Palmöls nach Europa. Wie sieht es in den Anbaugebieten aus? Freie Recherche in Indonesien ist für Europäer praktisch unmöglich. Aber wir stehen seit Jahren mit investigativen indonesischen Journalisten in Verbindung, die für uns die Entwicklung in Sumatra und Borneo immer wieder unter die Lupe genommen haben.
Die Abholzung läuft "nachhaltig" weiter
Ein aktueller Besuch in Zentralkalimantan, also im Zentrum von Borneo, zeigt: Die Abholzung geht weiter. Bagger reißen Bäume aus. Rund um die Regenwaldreste breiten sich Ölpalmen aus. Das hier gewonnene Öl ist als "nachhaltig" zertifiziert. Schilder weisen darauf hin. Vor zehn Jahren, als wir mit den indonesischen Kollegen bereits in demselben Gebiet waren, war der Regenwald hier noch größer.
Das SPD-geführte Umweltministerium ist in der Bundesregierung für das Thema Palmöl zuständig. In einer Stellungnahme schließt sich der Ministeriumssprecher der Sachkritik von Panorama zunächst an und stellt auch die Aussagekraft von Nachhaltigkeitszertifikaten für Palmöl in Frage:
"Wir verfolgen den Einsatz von Palmöl in Kraftstoffen sehr kritisch", teilt uns der Sprecher mit und erläutert: "Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse - und dazu zählt auch Palmöl - verursachen sehr viele CO2-Emissionen. Der Rohstoff wird eigens für die Herstellung des Kraftstoffs erzeugt und womöglich von weither importiert. Selbst Biokraftstoffe, die als nachhaltig zertifiziert sind, können umwelt- und klimaschädliche Effekte haben. (…) Die Folge sind die Entwaldung tropischer Regenwälder oder die Trockenlegung von Feuchtgebieten - alles verbunden mit hohen Treibhausgasemissionen. Dies ist zum Beispiel häufig die Folge von Palmölplantagen."
Klare Worte. Dennoch weigert sich die Bundesregierung, dem Palmöl den Status eines klimafreundlichen Kraftstoffs abzuerkennen. Bis 2030 dürfen Mineralölhändler weiterhin zertifiziertes Palmöl dem Diesel beimischen und sich die angeblichen Treibhausgaseinsparungen anrechnen lassen. Das lässt die neue EU-Richtlinie "Erneuerbare Energien" zu.
Frankreich betrachtet Palmöl nicht mehr als klimafreundlich
Ganz anders reagiert Frankreich auf die verheerenden Erkenntnisse aus dem Palmölanbau in Südostasien. Seit dem 1. Januar 2020 gilt Palmöl in Frankreich nicht mehr als klimafreundlicher Treibstoff. "Irgendwann muss man 'Stopp!' sagen", meint Bruno Millienne, Abgeordneter der liberalkonservativen Partei "Mouvement démocrate". Er hat die entsprechende Gesetzesänderung in der Assemblée Nationale angestoßen.
"Wir wissen doch nun, dass der Anbau von Ölpalmen zu Entwaldung führt. Dadurch entweichen unglaublich große Mengen CO2 in die Luft, und das heizt die Atmosphäre an. Wir sind an einem Punkt, wo wir als Abgeordnete kohärent sein und nach den Realitäten handeln müssen", erklärt Millienne im Panorama-Interview. "Diese ökologischen Fragen müssen raus aus der kleinlichen Tagespolitik. Das hat was mit Humanismus zu tun. Wollen wir das Wohl des Planeten oder nicht? Der Frage muss man sich parteiübergreifend stellen", ergänzt der 60-jährige liberal-konservative Parlamentarier, der mehrere Enkelkinder hat. Die deutschen Konservativen scheinen davon nichts wissen zu wollen.
Als wir CDU-Mann Joachim Pfeiffer fragen, warum Deutschland sich in der Palmöl-Politik kein Beispiel an Frankreich nehme, steht er auf und bricht das Interview ab. Deutschland hat sich mit der Biodiesellüge arrangiert. Man wolle andere Grundstoffe wie pflanzliche Abfälle stärker fördern, sagt der Sprecher des Umweltministeriums.
Er gibt der Hoffnung Ausdruck, dass dadurch der Anteil von Palmöl im Diesel sinken werde. Man plädiere dafür, die Mengen des für Diesel verwendeten Palmöls nicht auszuweiten, beschwichtigt Biokraftstoff-Lobbyist Elmar Baumann. Die Mengen sollten "gedeckelt" werden und nicht weiter ansteigen, sagt er. Das heißt: mit der Verbrennung von "zertifiziertem" Palmöl in deutschen Dieselmotoren geht es in den kommenden Jahren weiter, als gäbe es ein richtiges Leben im falschen.
Inge Altemeier & Stefan Buchen
© ARD/Panorama 2020