Kein Frieden ohne palästinensische Einheit

Die Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah wollen sich verbünden - vor allem aus der Not heraus. Der Versöhnung ist schwierig, die Gefahr eines Scheiterns ist groß. Gerade deshalb sollten die USA und Europa den Prozess unterstützen. Ein Kommentar von René Wildangel

Von René Wildangel

Der Versuch des amerikanischen Außenministers John Kerry, den Nahostkonflikt beizulegen, ist gescheitert. Es gibt nicht den ursprünglich anvisierten Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern, nicht einmal ein bloßes "Rahmenabkommen"; nie waren seit Beginn des Friedensprozesses die israelische Regierung und die PLO in ihren Positionen so weit voneinander entfernt.

Auf Seiten Israels liegt dies vor allem daran, dass die Regierung mehr denn je im rechten Spektrum verankert ist: Die Hardliner der stärksten Fraktion, des Rechtsblocks von Regierungschef Benjamin Netanjahu, und die Siedlerpartei Ha-Beit ha-Yehudi ("Jüdisches Heim") geben seit den bisher letzten Wahlen den Ton an. Mit ihnen ist ein Kompromiss kaum vorstellbar.

Dies schwächte die palästinensische Führung zusätzlich. Dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas mangelt es ohnehin an politischer Legitimität, seit 2009 regiert er quasi per Notverordnung. Die letzte Wahl gab es im Januar 2006 – sie gewann die Hamas, seitdem hat es keine reguläre Parlaments- oder Präsidentschaftswahl mehr gegeben. Und nun, nach neun Monaten Verhandlungen mit Israel, steht Abbas mit leeren Händen da.

Dies ist der Hintergrund des überraschenden Abkommens zur innerpalästinensischen Versöhnung, das den Namen "Al-Shati" trägt, den Namen des Flüchtlingslagers, aus dem der in Gaza regierende Hamas-Ministerpräsident Ismail Hanija stammt. Das Abkommen ist der Versuch eines Befreiungsschlags des Präsidenten und seiner angeschlagenen Fatah-Partei.

Kontraproduktive Spaltung

Benjamin Netanjahu im Kabinett in Jerusalem; Foto: dpa/picture-alliance
"Reißen Sie Ihren Pakt mit der Hamas in Stücke": Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hatte bekräftigt, dass er nicht mit einer Palästinenserführung verhandeln wird, die mit der Hamas verbündet ist.

Noch schlimmer steht es allerdings um die im Gazastreifen regierende Hamas. Sie hat nach dem Militärputsch in Ägypten gegen die Muslimbrüder ihren wichtigsten Bündnispartner verloren, zudem hat die neue Militärregierung die Lebensader des Gazastreifens zerstört, die Tunnelwirtschaft. Seitdem leidet Gaza unter einer doppelten Blockade, da auch Israel den Güter- und Personenverkehr mit dem Gazastreifen nur sehr eingeschränkt zulässt.

Die Hamas treibt autoritär und repressiv ihre konservativ-islamische Agenda voran, das hat sie viel Popularität gekostet. Vor allem aber fehlt ihr das Geld, um ihre Verwaltungsbeamten in Gaza zu bezahlen, und die Kompetenz einer Regierungspartei, die dem Wohl der Bevölkerung verpflichtet ist.

Die seit der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Fatah und Hamas 2007 bestehende Spaltung ist für die Palästinenser in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Die räumliche Trennung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland ist vorangeschritten, Israel erlaubt nur selten Reisen zwischen den beiden Gebieten. Die Rede vom Gazastreifen als "Hamastan" und der Westbank als "Fatahland" ist fatal, denn das besetzte palästinensische Gebiet ist gemäß Völkerrecht eine Einheit aus Gazastreifen, Westbank und Ostjerusalem.

Die Entfremdung ist gewachsen, die Wunden nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen sind tief. Bereits mehrere Abkommen scheiterten, obwohl es für die Versöhnung in der Bevölkerung eine überwältigende Zustimmung gibt.

Kein Frieden ohne Versöhnung von Hamas und Fatah

Nun soll eine neue "Technokratenregierung gebildet werden, der keine Parteimitglieder angehören. Obwohl die Hamas die formale Anerkennung Israels verweigert, hat Präsident Abbas angekündigt, dass diese Regierung die 2007 aufgestellten drei Bedingungen des Nahostquartetts annehmen soll: die Anerkennung des Staates Israel, die Akzeptanz aller vorangegangenen Verträge zwischen Israel und Palästina sowie einen Gewaltverzicht. Nach sechs Monaten sollen dann erstmals wieder freie Wahlen in Palästina stattfinden. Ob das gelingt, ist längst nicht klar. Es stehen die Eigeninteressen der beiden Parteien im Wege, auch könnte Israel eine Wahl in Ostjerusalem unterbinden.

Der israelische Ministerpräsident hat angekündigt, nicht mehr zu verhandeln, solange eine Regierung von "Hamas-Terroristen" gestützt würde, die Israel vernichten wollten. Das ist wenig glaubwürdig: In der Vergangenheit hat Israel bereits mit der Hamas verhandelt. Die Hamas ist auch nicht mehr jene Terrororganisation, die den Oslo-Prozess mit furchtbaren Selbstmordattentaten in Israel scheitern ließ.

US-Außenminister John Kerry nach Gesprächen in Tel Aviv; Foto: Reuters
Mission des Scheiterns: US-Außenminister John Kerry führte das Aus für die Friedensgespräche auf drei Ursachen zurück: Israel habe nicht wie vereinbart eine letzte Gruppe von palästinensischen Gefangenen freigelassen, die Palästinenser hätten (anders als vereinbart) Anträge auf einen Beitritt zu 15 internationalen Organisationen gestellt und sich außerdem ohne Vorankündigung und Zustimmung mit der Hamas ausgesöhnt.

Seit dem Gaza-Krieg 2012 setzt sie einiges daran, den Raketenbeschuss durch andere radikale Gruppen wie den Islamischen Dschihad einzudämmen und den mit Israel vereinbarten Waffenstillstand einzuhalten. Auch die Kerry-Gespräche lehnte sie nicht einfach ab, sondern verlangte, dass ein mögliches Abkommen den Palästinensern zur Abstimmung vorgelegt wird. Zahlreiche Hamas-Führer haben zudem zumindest indirekt die Grenzen von 1967 und damit die Zweistaatenlösung akzeptiert.

Die EU und die USA tragen eine Mitverantwortung

Die EU sollte gegenüber den beiden größten palästinensischen Parteien, aber auch gegenüber Israel die Umsetzung des Versöhnungsabkommens fordern. Schließlich tragen die EU und die USA eine Mitverantwortung für die desaströse Entwicklung nach den Wahlen 2006, die man erst als fair und demokratisch feierte, um dann dem Wahlsieger, der Hamas, die Anerkennung zu verweigern; so konnten sich die Islamisten zu politischen Märtyrern stilisieren.

Die USA rüsteten damals die Sicherheitskräfte im Westjordanland auf - die Hamas sollte niedergekämpft werden. Die islamistische Partei wurde in der Westbank brutal unterdrückt, zahlreiche Hamas-Politiker, unter ihnen gewählte Abgeordnete, verschwanden ohne Prozess in israelischer Haft. Die Blockadepolitik gegen den Gazastreifen ist gescheitert: Die Hamas regiert bis heute. Den Preis zahlen die 1,7 Millionen überwiegend jungen Menschen, die dort leben.

Letzte Chance für eine innerpalästinensische Versöhnung?

Die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen und autoritären Tendenzen in der Westbank sind ebenso bedenklich wie der Polizeistaat der Hamas im Gazastreifen. Der Versöhnungsprozess ist da der einzige Weg, die gespaltenen Palästinensergebiete wieder zusammenzuführen und eine legitime politische Vertretung zu schaffen. Diesmal sollte nicht nur die Durchführung von Wahlen international unterstützt werden.

Der Versöhnungsprozess braucht Rahmenbedingungen: Zwischen Westbank und Gaza muss die Bewegungsfreiheit garantiert sein, Sicherheitskräfte und Verwaltungsapparate müssen vereint, die Zivilgesellschaft muss eingebunden werden. Angestrebt wird als Fernziel der Beitritt der Hamas zur PLO, die als legitime Vertretung aller Palästinenser anerkannt ist.

Die Gefahr eines Scheiterns ist groß. Es könnte aber die letzte Chance für eine innerpalästinensische Versöhnung sein. Europa sollte diesen Prozess unterstützen. Denn mit einer andauernden Spaltung der Palästinenser und ihres Territoriums gibt es keine Aussicht auf Frieden.

René Wildangel

© Qantara.de 2014

Der Historiker und Nahost-Experte René Wildangel, 40, leitet das Regionalbüro Palästina der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de