"Verweigerung ist nicht illegal"
"Wenn man den Wehrdienst verweigert, wird man zunächst vorgeladen. Sie reden dann mit dir und erklären dir, dass deine Aufstiegschancen gut sind und dass du in der Armee eine hochrangige Stellung bekleiden kannst. Sobald die feststellen, dass du aus Prinzip verweigerst, also nicht aus Furcht oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ziehen sie andere Saiten auf", erinnert sich Khaled Farrag, 34, ein Wehrdienstverweigerer aus Rama, einer arabisch-palästinensischen Gemeinde in der israelischen Region Oberes Galiläa. Farrag stammt aus der dortigen Gemeinschaft der Drusen. Säkulare Drusen sind die einzigen Mitglieder der ansässigen palästinensischen Bevölkerung in Israel, die wehrpflichtig sind.
"Man zitiert dich vor einen größeren Ausschuss und verurteilt dich zu einer Haftstrafe. Ich bekam zwei Monate", erzählt er. Er saß die Gesamtstrafe in Sätzen zu je 21 Tagen ab, was dem zulässigen Höchststrafmaß entspricht. "Die ließen mich zum Wochenende frei und verurteilten mich dann erneut, als sie feststellten, dass ich meine Einstellung nicht geändert habe."
"Auch nach meiner Freilassung musste ich mich vor weiteren Ausschüssen erklären. Das gesamte Verfahren dauerte insgesamt sieben Monate", so Farrag. "Dabei war ich ganz auf mich allein gestellt. Nur meine engste Familie hat mich unterstützt", berichtet er weiter.
Farrag gründete daraufhin Urfod – Refuse: Your People Will Protect You, eine Jugendbewegung, die darauf abzielt, junge Drusen zu unterstützen, die nicht in der israelischen Armee dienen wollen.
Wachsender Widerstand
Die Bewegung nahm vor zwei Jahren ihre Arbeit auf, als zehn junge Frauen und Männer ein Unterstützernetz für Wehrdienstverweigerer knüpften. Es umfasst Psychologen, Rechtsanwälte und eine telefonische Helpline.
Dies ist zwar nicht die erste drusische Anti-Wehrpflichtorganisation – das Druze Initiative Committee wurde bereits 1972 gegründet und besteht bis heute – aber nach eigenen Angaben ist es die einzige Bewegung, die Christen und Muslime einschließt und die nicht im Rahmen einer politischen Partei tätig ist.
"Uns verbindet die Überzeugung, dass wir alle Palästinenser sind und dass die Wehrpflicht für Drusen ein Mittel der Israelis ist, uns zu spalten", erklärt die 24-jährige Hadiya Kayoof, Koordinatorin des Beratungsnetzes der Organisation, gegenüber Qantara.de.
In einem Bericht der NGO Baladna, die sich der Förderung arabisch-palästinensischer Jugendlicher in Israel widmet, heißt es analog dazu, dass die Rekrutierungsstrategien der israelischen Armee eine Spaltung der palästinensischen Bevölkerung herbeiführen, die seit 1948 auf dem Staatsgebiet Israels lebt.
Die Drusen sind eine religiöse Minderheit, die heute im Libanon, in Syrien, in Jordanien und in Israel lebt. In Israel gehören ihr etwa 130.000 Menschen an. Nach einer Vereinbarung zwischen der israelischen Regierung und Religionsführern aus dem Jahr 1956 gilt für männliche Drusen ab einem Alter von 18 Jahren die Wehrpflicht. In Israel müssen Frauen zwei Jahre und Männer drei Jahre in der Armee dienen.
Fragmentierungsstrategie
"Wir müssen die Rekrutierungsstrategie im Rahmen der israelischen Politik von 'teile und herrsche' sehen", meint Nadim Nashif, Direktor von Baladna, gegenüber Qantara.de. "Es ist leichter, kleine Gruppen zu beherrschen als eine nationale Minderheit. Denn eine nationale Minderheit kann kollektive Rechte einfordern", erklärt er.
Im Februar 2014 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, das erstmals die christlich-arabische Bevölkerung in Israel als Minderheit anerkennt. Eben darin sehen Kritiker des Gesetzes den Versuch, "zu teilen und zu herrschen".
Der von Baladna verfasste Bericht verweist auf die jüngsten Bemühungen der israelischen Regierung, palästinensische Christen zum freiwilligen Wehrdienst in der israelischen Armee zu bewegen. Im Sommer 2015 verschickten die Israelische Armee Einladungsschreiben an 800 Schulabgänger aus christlichen Familien.
Einige Führer der christlichen Gemeinschaft, insbesondere Pater Gabriel Nadaf, ein orthodoxer Priester aus Nazareth, unterstützen diese Anwerbung. Sie argumentieren, der Wehrdienst eröffne mehr soziale Mobilität und sei ein Türöffner für spätere Jobs. Trotz des Drucks von offizieller Seite sei die Zahl der christlichen Freiwilligen in der Armee mit jährlich 130 bis 150 Personen laut Nashif weiterhin gering.
Die staatliche Politik zur Förderung einer eigenen Identität der Drusen führte 1976 zur Entwicklung eines separaten Lehrplans für Schulen.
Zur Zeit der arabisch-jüdischen und arabisch-israelischen Kriege von 1947 bzw. 1948 und der darauf folgenden Gründung des Staates Israel kämpften einige Drusen Seite an Seite mit der jüdischen paramilitärischen Organisation Hagana in der Operation "Nakba" (Unglück), bei der 700.000 arabische Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Teilweise war dies die Folge der vorhandenen Spannungen und der Marginalisierung der Drusen. Doch einige Drusen traten auch gegen die zionistischen Streitkräfte an.
"Es gibt eine ganz spezielle, dreifache Bindung zwischen der jüdischen Bevölkerung und der drusischen Gemeinschaft – sie betrifft unser Blut, unser Leben und unsere Völker", erklärte einst der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu anlässlich seines Besuchs der drusischen Gemeinschaft in Nordisrael.
Überrepräsentiert und doch unterprivilegiert
Nach Angaben der israelischen Armee sind die Drusen im Vergleich zu den israelischen Juden überrepräsentiert. Doch der Patriotismus und die Unterstützungsbereitschaft lassen unter der drusischen Bevölkerung nach, wie aus einer jüngst verfassten Studie hervorgeht. Die Menschenrechtsorganisation Adalah verweist darauf, dass Drusen unter der armen Bevölkerung Israels überrepräsentiert sind und auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden. Dies reiche von der Landpolitik über die Zuweisung staatlicher Ressourcen bis hin zum Schulwesen.
"Viele Menschen aus meinem Dorf besuchen keine weiterführende Schule", sagt Kayoof, eine angehende Anwältin aus Isfija im Norden Israels. "Viele Drusen treten in die Armee ein, weil ihnen im zivilen Leben die Arbeitslosigkeit droht", ergänzt sie. Nach Auffassung von Kayoof entscheiden sich einige Drusen also eher aus wirtschaftlichen denn aus ideologischen Gründen für den Wehrdienst. "Wir wollen den Menschen klar machen, dass Verweigerung nicht illegal ist. Und wir wollen Ihnen Ihre Optionen zeigen", so Kayoof.
Wehrdienstverweigerer stoßen in ihren eigenen Familien immer noch auf Ablehnung. Farrag war hier eher die Ausnahme. "Die meisten bekennenden Verweigerer stammen aus links-nationalistischen, palästinensischen Familien, die keine zionistische Bewegung oder Partei unterstützen würden", so Farrag. "Doch viele, die sich unserer Bewegung anschließen, gehören der 'schweigenden Mehrheit' an und sind dem Druck ihrer Familien ausgesetzt", erklärt er.
Lediglich sieben von insgesamt 65 in Urfod organisierten Verweigerern bekannten sich öffentlich zu ihrer Entscheidung. "Viele tun so, als sprächen die Drusen mit einer Stimme", meint Farrag. "Doch das stimmt nicht. Die Mehrheit unserer Gemeinschaft schweigt einfach. Man will vor allem 'neutral' bleiben."
Ylenia Gostoli
© Qantara.de 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers