Im harmonischen Einklang mit der muslimischen Gemeinschaft
"Happy Christmas!" – "Same to you" erwidert Akram Masih mit einem Lächeln, wobei sich sein Schnurrbart auf und ab bewegt. Akram ist verheiratet und Vater von sieben Kindern. Wie die Mehrheit der Einwohner der sogenannten France Colony arbeitet er als Helfer und Reinigungskraft bei der Capital Development Authority, der lokalen Regierungsbehörde Islamabads in Pakistan.
Es ist kurz vor Mitternacht und in den engen, verwinkelten Gassen und unebenen Wegen der France Colony, ein Slum, inmitten eines gehobenen Viertels in Islamabad, herrscht eine rege und fröhliche Stimmung.
Menschen beglückwünschen und umarmen sich gegenseitig, manche wärmen sich in der eisigen Kälte am Holzfeuer auf, denn es mangelt an Gas in dieser Siedlung. Von den Küchenfeuern her weht der Duft süßer und deftiger Speisen durch die eisige Luft.
Zwischen Weihnachtsliedern und Bollywood-Klängen
Die Menschen singen Weihnachtslieder. Aus manchen Häusern tönen die Klassiker der Bollywood-Filme. In der kleinen protestantischen Kirche spricht der Pastor einige Worte zum Auftakt der Mitternachtsmesse in die Lautsprecher. Die Kirche ist von Männern und Frauen gleichermaßen gut besucht.
Die Frauen tragen die farbenfrohe traditionelle pakistanische Tracht, salwar kameez genannt. Lange seidene Schals, die sogenannten dupatta, verschleiern zusätzlich zu den weiten Kleidern den Brustbereich und fallen leicht über ihre Rücken.
Der Pastor hält die Messe durchweg in Urdu, der lokalen Lingua franka und Nationalsprache Pakistans. Zum Schluss der Messe wird das "Vater Unser" gemeinsam gebetet, der Weihnachtskuchen angeschnitten und mit allen in der Gemeindekirche geteilt. Die Klänge einer dholak-Trommel und eines Harmoniums sorgen für die musikalische Begleitung der Messe.
Im Anschluss führt Akram Masih eine Gruppe von jungen interessierten Muslimen direkt ins Herz der France Colony, zu dem kleinen Gemeindeplatz, um die liebevoll dekorierte Weihnachtskrippe zu zeigen.
Am darauffolgenden Abend sitzen Familie und Verwandte in Akrams kleinem zu Hause. Sie sitzen gemütlich und eng beisammen auf dem Bett, auf einer Matratze auf dem Boden, auf Plastikstühlen oder hocken vor dem Gasofen, um für sich und die Gäste pakistanischen Milchtee zuzubereiten und sich aufzuwärmen.
Am heutigen Abend ist auch Akrams älterer Bruder Petrus zu Besuch, der seine eigene lokale Nichtregierungsorganisation vor fünf Jahren erfolgreich gegründet hat. Aufgrund der finanziellen Unterstützung einer internationalen NGO werden Bildungs- und Gesundheitszentren in der Siedlung unterhalten.
Weihnachtsgala als Premiere
"In den letzten paar Jahren hat sich die Art und Weise des weihnachtlichen Feierns verändert. Seit der Liberalisierung der Medienlandschaft in Pakistan in der Ära des ehemaligen Präsidenten Musharraf, bekommen unsere Feste und unsere Gemeinschaft vermehrt Aufmerksamkeit seitens der Medien, der Öffentlichkeit sowie der Politik", so Petrus.
"Die lokale Regierung in Islamabad ist bemüht und hat an verschiedenen Orten der Stadt Weihnachtsbäume aufgestellt und veranstaltet zum ersten Mal eine Weihnachtsgala. Deshalb versuchen wir, die muslimische Mehrheit über unsere Glaubensgemeinschaft und unsere Feiertage aufzuklären", erklärt er.
Die Feste werden auch immer mit den in der Siedlung lebenden Muslimen zusammen gefeiert. Im Allgemeinen habe sich auch das nachbarschaftliche Verhältnis mit Muslimen außerhalb der Siedlung verbessert.
Seit der Gründung der France Colony im Jahr 1979 hat sich auch die Sozialstruktur dieser Gemeinschaft verändert. Es leben derzeit ungefähr 650 Familien in der Siedlung, mehrheitlich sind sie katholisch. Nur 15 bis 20 Familienhaushalte sind muslimisch geprägt. Akrams Familie selbst ist katholisch, was aber seiner Ansicht nach unerheblich ist.
Nicht alle arbeiten noch als Helfer oder als Reinigungskraft, sondern haben sich als Kleinunternehmer, z.B. als Schneider, Handwerker, oder Lebensmittelverkäufer, selbständig gemacht. Einige Bürger bekleiden sogar einen höheren Posten im Dienst der lokalen Regierung. Auch hat sich der Bildungsgrad verbessert: Fast alle Kinder besuchen die höhere Schule und einige gehen zur Universität.
Doch noch immer werden Pakistans Christen zahlreichen gesellschaftliche Aufstiegschancen verwehrt, meint Kinzia, die älteste Tochter Akrams: "Zwar hat die gesellschaftliche Diskriminierung der Christen in Pakistan merklich abgenommen. Doch unsere Talente werden nicht gefördert, weshalb wir weiterhin unseren Weg nach oben erkämpfen müssen. Als pakistanische Bürger aber können wir Probleme ansprechen. Und manchmal wird unsere Stimme auch erhört."
Nusrat Sheikh
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de