Kairos populärste Musikband
Der Platz unter einer Brücke inmitten der ägyptischen Hauptstadt Kairo ist zum Mekka aller Kulturinteressierten Ägyptens geworden: Wo sich früher eine Müllkippe befand, ist inzwischen Kairos größtes Kulturzentrum entstanden - das Sawy-Zentrum. Hier treten populäre ägyptische Jugendbands auf, die sich in den letzten Jahren zahlreich gegründet haben. Gemeinsam ist ihnen, dass sie mit diversen Stilrichtungen experimentieren und diese mit arabischen Klängen kombinieren: Moderne Rhythmen wie Pop, Jazz und Reggae werden mit arabischen und türkischen Instrumenten - Ud, Nai, Kanun, Mizmar, Tabla und Bendir - in Einklang gebracht.
Auf diese Weise kommt es zu einem Dialog verschiedener Kulturen in musikalischer Form. Eine dieser Bands heißt Wust El Balad. Sie wurde 1999 gegründet, ihr Aufstieg erfolgte durch Auftritte in Musikklubs, wie im Cairo Jazz Club oder im After Eight, sowie in Kulturinstituten, wie etwa dem Goethe-Institut.
Harmonische Verknüpfungen
Die Gruppe Wust El Balad ist vor allem für ihre synthetischen Musikklänge bekannt. Auch wenn die Gruppe sich sudanesischer oder oberägyptischer Folklore, der Rockmusik, der Reggae- und der Popmusik bedient, so entwickeln die acht Jugendlichen doch stets ihren eigenen Stil. Die verschiedenen Genres werden harmonisch miteinander verknüpft, es entstehen die unterschiedlichsten Kombinationen, weil die Töne bis ins Unendliche immer wieder zusammengeführt werden können. In den Texten der Stücke geht es meist um "Gott und die Welt" - von sufisch-mystischen Texten und Liebesballaden bis hin zu politischen Themen ist alles dabei. Der absolute Publikumsfavorit aber ist "Antika" - ein Liebeslied, das die Herzen der ägyptischen Jugendlichen höher schlagen lässt. Besungen wird eine Frau, die das Herz ihres armen Liebenden zu einer Antiquität in ihrer Wohnung gemacht hat.
Politische Texte
"Wo ist der Frieden, Onkel Sam?" ist eines der politischen Lieder - ein heiteres Stück mit Jazzelementen und einem gewitzten Wortspiel, das gegen Präsident Bush und den Irakkrieg gerichtet ist. "Salam" heißt auf Arabisch Frieden, ist aber auch ein Ausdruck des Erstaunens. So schmunzelt das Publikum, wenn die Jungs den Chorus singen: "Ya salam (Also, wirklich...), wo ist der 'salam' (Frieden), Onkel Sam?" Auch die texanischen Wurzeln des US-Präsidenten werden auf die Schippe genommen - auch wenn der Name nicht erwähnt wird, so lässt sich leicht erraten, wer da – in texanischen Stiefeln - auf einer Kuh reitet.
In einem weiteren politischen Lied thematisiert Wust El Balad die Tatsache, dass man zwar Häuser stehlen könne, aber kein Vaterland - eine Anspielung auf die Entwurzelung der Palästinenser. Um die Freundschaft des koptischen Mina und des muslimischen Scheich Amin geht es in einem anderen Stück. Dabei werden die Toleranz und die Brüderlichkeit von Kopten und Muslimen behandelt. Eines der neuesten Lieder ist der Legende Che Guevara gewidmet. "Auf den Lippen ein bitteres Lächeln (…) träumte er von einer freien Welt." Wenn das Publikum in den Refrain einfällt und der Name Che Guevara minutenlang unter dem Beifall von mehr als tausend ägyptischen Jugendlichen ertönt, die das Bild des vor fast 40 Jahren gestorbenen argentinischen Freiheitskämpfers unter einer Kairoer Brücke heraufbeschwören, scheint die Szene geradezu surrealistische Züge anzunehmen.
Beliebt bei den Jugendlichen
Eine CD konnte die Gruppe bisher nicht produzieren. Vielleicht setzt der ägyptische Musikmarkt zu sehr auf die Vermarktung von gut aussehenden Frauen und Männern, denn bisher hat es keine der jungen Musikgruppen geschafft, sich in der arabischen Musikwelt zu behaupten. Bei den Jugendlichen aber kommt Wust El Balad gut an, weil die Musiker es verstehen, auf gewitzte Art und Weise und in einer leicht verständlichen Sprache Geschichten zu erzählen, mit denen sich die Jugendliche identifizieren können. Ein Hauch von Religion, Politik, Liebe und Revolution. Was will man mehr als Jugendlicher?
Sherif Abdel Samad
© Qantara.de 2006