Lasst uns nicht über Politik reden!
Die Gelehrten der islamischen Azhar-Universität begrüßen zivilgesellschaftliches Engagement - aber nur, solange es unpolitisch bleibt. Dieser Eindruck konnte jedenfalls entstehen, als in Berlin drei Azhar-Gelehrte über Islam und Zivilgesellschaft diskutierten. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Muslimischen Akademie Deutschland, der Berliner Humboldt-Universität und der ägyptischen Botschaft . Ein Kommentar von Lennart Lehmann
Wie steht der Islam zur Zivilgesellschaft? Oder wie verhält sich die Zivilgesellschaft zum Islam? Hört man die traditionellen Denker der traditionsreichen islamischen Azhar-Universität in Kairo, dann muss man fast schon annehmen, die Theologen dort seien zu einem Sprachrohr des Präsidenten Mubarak mutiert.
Normalerweise werden muslimische Theologen nicht müde, zu betonen, Religion und Staat seien im Islam untrennbar. Jedoch während zivilgesellschaftlich Engagierte in Nahost immer mutiger ein Ende der Bevormundung und mehr Gestaltungsbeteiligung fordern, halten sich die Azhar-Theologen in Hinblick auf Zivilgesellschaft und Politik auffällig bedeckt. Ziviles Engagement ja, aber bitteschön nur dort, wo es möglichst unpolitisch ist.
Verallgemeinerungen und Plattitüden
Konservative islamische Theologen bemühen gerne Plattitüden – so z.B. "Alle Menschen sind gleich" und "Frauen und Männer sind gleichberechtigt". Letztendlich bleiben ihre Aussagen aber immer vieldeutig.
Ein Beispiel liefert der Religionsgelehrte Abdel Ghany Shama: "Im Islam gibt es keinen Zwang. Wenn Gott wollte, dass alle an ihn glaubten, dann wäre das auch so. Aber Gott will die Vielfalt." Man könnte daher annehmen, Gott sei allmächtig, also muss er die Welt so gewollt haben, wie sie ist. Mit all ihren Schattenseiten.
"Der Islam verbietet die Resignation", weiß Shamas Azhar-Kollege, der Literaturwissenschaftler Abdoulla Mohammed Abdoul Shafi Ali Abou Hasha. "Eine gute Gesellschaft bekämpft die Not", sagt Hasha bezogen auf den gemeinnützigen Einsatz der Bürger.
"Der Islam will Gerechtigkeit!" – Zivilgesellschaft, das ist für ihn vor allem eine "Bedürfnis befriedigende Gesellschaft". Zivilgesellschaften sind Organisationen, die Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen bauen. "Leute, die für die Gesellschaft arbeiten."
Aber was soll in den Schulen unterrichtet werden, möchte man fragen. Wer bestimmt dort den gesellschaftlichen Diskurs? Religiöse Vereine, die in Ägypten viel Einfluss durch soziales Engagement gewonnen haben, die Koranschulen und Armenspeisungen betreiben, aber zum Teil aus den Golfstaaten finanziell unterstützt werden, sind für Hasha "eine Katastrophe".
Soziale Bewegungen als gesellschaftliches Übel
Genauso wie die Ibn-Khaldun-Stiftung des Soziologen und Bürgerrechtlers Saad Eddin Ibrahim oder die Partei des Oppositionspolitikers Aiman Nur: "Sie haben nichts für die Gesellschaft getan, nur Meinungen produziert. Sie sind politische Händler und Fälscher", so Hasha.
Meinungen zu produzieren, einen sozialen Diskurs mitzubestimmen, das sprechen die Azhar-Gelehrten normalen Zivilisten ab. Gefährlich ordnen sie soziale Bewegungen ein, die nach Macht streben. Wie z.B. die Aktivisten der Kifaya-Bewegung und die Islamisten. "Die Ideologisierung des Koran muss aufhören. Ideologisierung leugnet die Realität."
Simple Logik
Auch Elsayed Elshahed, Mitglied des Obersten Rates für Islamische Angelegenheiten in Kairo und Mitarbeiter der islamischen Religionspädagogischen Akademie in Wien, will ausdrücklich nicht über Politik reden, wenn er über Zivilgesellschaft redet.
"Das führt uns nur zu einer polemischen Diskussion", meint er. Und weiter: "Die Komponenten des Glaubens sind Verinnerlichung, Artikulation und Tun. Das ergibt zusammen die Wort-Tat-Identifikation."
Anders ausgedrückt: Der Islam verurteilt Heuchler und Lügner (wer tut das nicht?). Wer Gutes fordert, muss auch danach handeln. "Der Islam befiehlt, dass alle gemeinsam nach dem Guten suchen." Aber was ist das Gute? Da gehen die Meinungen bekanntlich auseinander.
Jedenfalls sollte man Theologen der Azhar-Universität nicht um Rat fragen, wenn es um die Idee einer partizipierenden, offenen Zivilgesellschaft geht.
Lennart Lehmann
© Qantara.de 2005
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Dossier: Demokratie und Zivilgesellschaft
Im Westen wird häufig die Frage nach der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie gestellt. Für viele Intellektuelle in islamisch geprägten Ländern hingegen verhindert nicht die Religion eine Demokratisierung ihrer Gesellschaften. Sie machen eher die Angst der Regierenden vor einem Machtverlust, Korruption und Vetternwirtschaft verantwortlich.