Imran Khan vor dem Aus?
In Pakistans Hauptstadt Islamabad herrscht ungewohnte Hektik. Seit Tagen werden geheime Treffen, spezielle Abendessen und Pressekonferenzen abgehalten. Alles dreht sich um die Frage, ob die Opposition genügend Stimmen im Parlament zusammenhat, um die Regierung von Imran Khan zu stürzen. Das Oppositionsbündnis PDM (Pakistan Democratic Movement) ein Zusammenschluss aus den Parteien PML-N (Pakistan Muslim League – Nawaz) von Nawaz Sharif, PPP (Pakistan People’s Party) von Asif Ali Zardari und der islamistischen JUI (Jamiat Ulama-e Islam) von Fazal ur-Rahman will mit einem Misstrauensvotum die vierjährige Amtszeit von Premier Khan beenden.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit konnte das Bündnis in den letzten Wochen und Monaten genug Stimmen für das Misstrauensvotum gegen Khan sammeln. Der Regierung scheinen nun die Optionen auszugehen. Hastig werden Großkundgebungen organisiert, Statements abgegeben und möglichen Abweichlern in den eigenen Reihen harte Konsequenzen angedroht.
Am 18. März drangen aufgebrachte Anhänger von Khans Regierungspartei PTI (Pakistan Tehirk-e Insaf) in das Sindh House in Islamabad ein, wo sie versuchten, abtrünnige Abgeordnete der eigenen Partei einzuschüchtern. Imran Khan besitzt nur eine hauchdünne Mehrheit im Parlament und jede Stimme zählt.
Indes versucht die PTI, Abweichler aus der eigenen Partei mit Hilfe des Verfassungsgerichts von der Abstimmung ausschließen zu lassen, doch auch hier scheinen die Aussichten nicht gut zu sein. Am Freitag kommentierte der Oberste Richter Bandial während der Anhörung, dass kein Abgeordneter an eine Fraktionsdisziplin gebunden sei.
Spannender Polit-Krimi in Islamabad
So erlebt das Land einen der spannendsten politischen Krimis der letzten Jahre und sein Ausgang bleibt ungewiss. Imran Khan selbst wirkt in seinen Auftritten aggressiver als sonst. In einer Kundgebung nannte er die Oppositionsführer Banditen, Diebe und Handlanger, die er gnadenlos verfolgen werde. Khans verbale Entgleisungen und persönliche Angriffe auf die Oppositionspolitiker ist die pakistanische Öffentlichkeit gewohnt, doch neu ist, dass er dafür von eigenen Koalitionspartnern kritisiert wird. In einem Interview riet der Vorsitzende der Koalitionspartei PML-Q (Pakistan Muslim Leauge – Qauid-e Azam), Parvez Ilahi, dem Premier: "erst nachdenken, dann abwägen und danach sprechen.“
Es wirkt so, als herrsche wieder Wahlkampf und genau das werfen Kritiker Imran Khan vor: Auch nach vier Jahren an der Regierung sei er im Wahlkampfmodus geblieben, anstatt die wirklichen Probleme des Landes anzugehen. Seine populistischen Tiraden gegen die Opposition haben aber weder die versprochenen Millionen Arbeitsplätze noch die günstigen Wohnungen für die Armen gebracht. Die Menschen ächzen unter der schlimmsten Inflation der letzten Jahrzehnte. In den vier Jahren der PTI-Regierung Imran Khans wurde dreimal der Finanzminister gewechselt, aber eine stringente Finanzpolitik fehlt immer noch.
Wären das nicht schon genug Probleme, haben sich inzwischen verschiedene Lager innerhalb der PTI gebildet. Der bekannteste Flügel wird von Jahangir Tareen, einem reichen Geschäftsmann aus dem Punjab, angeführt. Tareen war maßgeblich an Imran Khans Regierungsbildung beteiligt. 2018 düste sein Privatjet von einer Stadt zur anderen, um unabhängige Abgeordnete im Parlament davon zu „überzeugen“, sich der PTI anzuschließen. Man munkelt, dabei sei auch Geld geflossen. Nachprüfen lässt sich das nicht, doch derartige Kuhhandel haben eine lange Tradition im Land.
Vor einigen Jahren tauchten heimlich gefilmte Aufnahmen von Politikern – auch der PTI – auf, die größere Summen Geld für ihre Zustimmung im Parlament einsackten. Tareen ist selbst kein unbescholtenes Blatt. 2020 wurden seinem Konsortium von Zuckerfabriken in einer Untersuchung Marktmanipulation, Steuerhinterziehung und Korruption unterstellt. Es kam zum Bruch zwischen Khan und seinem ehemaligen Förderer, auch wenn nach außen Einheit demonstriert wurde. Inzwischen haben sich viele PTI-Parlamentarier mit Tareen verbündet. Sie werfen dem Premierminister vor, die gewählten PTI-Abgeordneten zu Gunsten eigener Vertrauter und Berater von wichtigen Entscheidungsprozessen und Posten ausgeschlossen zu haben. Besonders in der Provinz Punjab herrscht eine große Unzufriedenheit mit der Parteiführung.
Rückzug der Militärs aus der Politik?
Neben den Abweichlern aus der eigenen Partei loten auch die Koalitionspartner der Regierungspartei ihre Optionen aus. Das sind vor allem die PML-Q (Pakistan Muslim League – Qaid-e Azam) und die MQM (Mutahidda Qaumi Movement). Die PML-Q wird von den Chaudhry-Brüdern aus Gujrat dominiert, einer Großgrundbesitzerfamilie aus dem Norden Punjabs. Die MQM ist die Partei der Urdu sprechenden Minderheit aus Karachi und der Provinz Sindh. Beide haben in den letzten Tagen auf höchster Ebene mit Vertretern des Oppositionsbündnisses PDM verhandelt. Insider berichten von einer grundsätzlichen Einigung mit PDM. Doch man hält sich noch bedeckt.
Hinter dem ganzen politischen Schachzug wird der gewiefte Taktierer Asif Ali Zardari, Co-Vorsitzender der PPP, einer der Mitgliedsparteien des Oppositionsbündnisses, vermutet. Sollte das Misstrauensvotum gegen Imran Khan am 28. März gelingen, wäre es eine Sensation. Denn Khan war mit Hilfe der mächtigen Militärs an die Macht gekommen. Sein Scheitern würde auf den Rückzug des Militärs aus der Politik hindeuten oder zumindest auf ein Abrücken der Streitkräfte von Khans Partei PTI. In einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen beteuerte der Pressesprecher der Streitkräfte man sei neutral und werde sich nicht in die politischen Entwicklungen einmischen.
Mit Spannung erwarten die Pakistanis am 28. März den Showdown zwischen Regierung und Opposition in Islamabad.
© Qantara.de 2022
Mohammad Luqman ist Islamwissenschaftler und Südasienexperte mit einem besonderen Forschungsschwerpunkt auf Pakistan.